„They’re mopping up the butcher’s floor/of your broken little hearts/o children“: Ein Song von Nick Cave & the Bad Seeds wird verwendet, um im ersten Teil der Verfilmung des siebten „Harry Potter“-Bands einen emotionalen Tiefpunkt zu markieren. Und um einen filmischen Höhepunkt zu begleiten, der die Qualitäten dieser Adaption auf den Punkt bringt. Der Song ertönt aus einem Radio in einem Zelt, das Harry und Hermine als Unterschlupf dient. Ihre Situation ist denkbar elend: Sie befinden sich auf einer verzweifelten, strapaziösen Suchwanderung, immer auf der Flucht vor den Schergen des Zaubereiministeriums, das mittlerweile unter den Einfluss des bösen Lord Voldemort geraten ist. Außerdem hat der Dritte in ihrem Bunde, Ron, kurz zuvor wütend seine Freunde verlassen, frustriert von der Mission und um Hermines Willen eifersüchtig auf Harry. Und dann spielt das Radio diesen schmerzlichen Song; Harry nimmt Hermines Hand und beginnt, mit ihr zu tanzen: ein Zeichen der Nähe zwischen den beiden, die außer einander so ziemlich alles verloren haben, aber wohl auch eine Art Protest gegen den Kriegszustand, in den sie geraten sind und der ihre Teenager-Normalitätvöllig zerstört hat, in der man tanzen und sich in Ruhe mit den eigenen verwirrten Gefühlen befassen kann. David Yates macht daraus einen traurig-schönen Moment, der so im Roman nicht vorkommt, aber eine gelungene filmische Sprache findet für das prekäre Beziehungsdreieck zwischen Ron, Harry und Hermine.
Dabei erweist sich die Entscheidung, die Verfilmung des letzten „Potter“-Romans auf zwei Filme zu dehnen, erzählerisch als großes Plus: Während man bei der Verfilmung von „Harry Potter und der Halbblutprinz“
(fd 39 389) gegen Ende den Eindruck hatte, den Machern sei die Zeit fortgelaufen, weil der Showdown das dramatische Potenzial der Buchvorlage förmlich verschenkte, haben Drehbuchautor Steve Kloves und Regisseur David Yates diesmal genug Freiraum, um Joanne K. Rowlings reichen Stoff ohne Hektik umzusetzen. Erfreulich ist, dass sie dies nicht nutzen, um nur noch mehr Action und Effekte auf die Zuschauer loszulassen, sondern um die Figuren und ihre zwischenmenschliche Dynamik auszuloten. Das gilt für treffend umrissene Nebenfiguren – etwa den erstmals eingeführten, von Rhys Ifans verkörperten Zeitungsverleger Xenophilius Lovegood –, vor allem aber für die drei jugendlichen Hauptfiguren.
Dass es kein fiktives Lied aus der Zaubererwelt ist, das aus dem Radio ertönt, sondern ein reales aus der „Muggel“-Welt, ist bezeichnend: Die Zaubererschule Hogwarts fällt als Handlungsrahmen weg, das Fantasy-Abenteuer rückt näher an die Wirklichkeit. Dazu trägt die stärkere Einbeziehung „nichtmagischer“ Schauplätze bei, aber auch die Tatsache, dass mit der Machtübernahme des dunklen Lords das „Böse“ nicht mehr als etwas Numinoses erscheint, sondern sich ganz konkret als totalitäres System manifestiert. Natürlich gibt es noch, wie in den Teilen zuvor, die spektakulären magischen Spannungssequenzen, in denen sich Harry, Ron und Hermine mit gezückten Zauberstäben gegen Flüche und Monster wehren. Sie müssen sich aber auch mit dem gar nicht so übersinnlichen Schreckbild eines faschistoiden Machtapparats auseinander setzen, der sich die Verfolgung als minderwertig gebrandmarkter Menschen – aller, die nicht „reinblütige“ Zauberer sind – auf die Fahnen geschrieben hat. Der spielerische Humor, den frühere „Potter“-Teile entfalteten, bleibt angesichts dieser Entwicklungen konsequenterweise weitgehend auf der Strecke, flackert nur kurz auf und dann oft als Galgenhumor. Dafür bekommen selbst Figuren wie die Hauselfen, bisher komische Sidekicks, mehr „menschliches“ Format und werden in die Partisanen-Tragik des verzweifelten Widerstands einbezogen, den Harry und seine dezimierten Getreuen dem Machtstreben Voldemorts entgegensetzen. Der Tod eines Elfen – auch im Roman ein ergreifender Höhepunkt – setzt denn auch stimmig die Zäsur, mit der Teil 1 des „Potter“-Finales schließt.
Verluste und Frustrationen prägen die Mission, die Harry, Ron und Hermine als Erbe ihres bereits in Teil 6 ermordeten Mentors Dumbledore erfüllen müssen. Gleich zu Beginn belegt Hermine ihre Eltern mit einem „Obliviate“-Zauber, der deren Gedächtnis manipuliert: Die Kamera zeigt, wie Hermines Abbild aus den Familienfotos verschwindet, als hätten ihre Eltern nie eine Tochter gehabt. Für Zuschauer, die die Bücher nicht gelesen haben, mag dies – wie noch manche andere Facette der Verfilmung – etwas kryptisch bleiben; die „Potter“-Fans, also die eigentliche Zielgruppe, wird jedoch den Schmerz der jungen Hexe lebhaft nachvollziehen, die sich da gerade selbst aus dem Leben und der Erinnerung ihrer Eltern auslöscht, damit diese sich weit weg von ihr eine neue Existenz aufbauen und somit sicher vor Voldemorts Rache sind – ein Abschied, dem bald noch weitere schmerzhafte Trennungen folgen. Die Suche nach den Horkruxen, jenen magischen Gegenständen, die Harry, Ron und Hermine eliminieren müssen, um Voldemort letztlich besiegen zu können, zwingt sie, ihre übrigen Gefährten hinter sich zu lassen; die Mühen und Gefahren der folgenden Reise fordern ihren Preis. Und die titelgebenden „Heiligtümer des Todes“? Sie werden nur mittels einer Märchenerzählung, die liebevoll als Trickfilmsequenz umgesetzt ist, knapp eingeführt und bereiten den Boden für das endgültige Finale der Saga. Bleibt zu hoffen, dass dieses angesichts der großen Endschlachten, die es bewältigen muss, der Maxime treu bleibt, den Special-Effects-Zauber in den Dienst der Geschichte zu stellen und nicht umgekehrt. Teil 1 der „Heiligtümer des Todes“ ist mit seinem Gespür für das menschliche Drama seiner Figuren jedenfalls zum bisher grimmigsten, aber auch stärksten Teil der Filmreihe geworden.