Wie ein frech hingeklatschter Farbklecks wirkt die kräftig fluchende Dame in schrill kreischendem Pink, die auf den Krankenhausfluren über den kleinen Oskar stolpert. Oskar lebt hier mit anderen kleinen Patienten in einer leicht surrealen Tristesse des Grau-Hellblau. Er ist schwer krank, sein Körper wird vom Krebs zerfressen. Die Dame in Rosa hingegen wirkt innerlich so erstarrt wie abgestorben. Pizza-Lieferungen von „Pinky Pizza“ gegen ein bisschen Zeit mit dem sterbenden Kind, das nicht mehr mit den Ärzten oder seinen Eltern reden möchte – ein Deal, der bald in eine symbiotische Freundschaft mündet. Rose heißt die überaus direkte Dame, die Blüten und Dornen besitzt, Oskar eine kleine Schneekugel mit einem Miniatur-Boxring schenkt und von ihren fantastischen Wrestling-Kämpfen als „Die Würgerin vom Languedoc“ erzählt. Der schweigsame Nachwuchs-Atheist Oskar verspricht im Gegenzug, dem lieben Gott jeden Tag seine Sorgen und Wünsche zu schicken – Briefe, die nicht mit den bunten Luftballons im Himmel, sondern im Büro seines sorgenvollen Arztes landen.
Eric-Emmanuel Schmitts Roman „Oskar und die Dame in Rosa“ war weltweit ein Riesenerfolg. Seine Verfilmung ist nicht weniger traumhaft schön geraten. Jean Pierre Jeunet kommt einem angesichts eines „Krankenhauses der verlorenen Kinder“ voll magischem Realismus in den Sinn. Die Wrestling-Szenen sind comic-haft überdreht, das Schicksal und der Umgang mit dem bevorstehenden Tod sind feinfühlig und herzzerreißend. So viele emotionale Richtungen schlägt Schmitts humorvolles Melodram ein, dass es fast schon ein kleines Wunder ist, dass sich der Film innerlich nicht selbst zerreißt. Wie leicht hätte die Balance verloren gehen können: zwischen den schlagfertigen Dialogen, den etwas altklugen Erkenntnissen und den tief traurigen Momenten eines viel zu früh zum Abschiednehmen gezwungenen, noch so lebensfrohen Kindes. Stattdessen lässt Schmitt Oskar über Rose den Rest seines Lebens in 13 Tagen verleben, wobei jeder Tag unterschwellig mit zehn Lebensjahren parallelisiert wird. Oskar lebt und leidet sich durch die Pubertät mit seiner ersten großen Liebe, der anämischen Peggy Blue, durch seine Midlife-Crisis und den Ruhestand. Durch Rose erkennt er, dass er nicht der einzige ist, der sterben muss, sondern „nur“ der erste; und dass er selbst auch eine Verantwortung gegenüber den Gefühlen seiner verhassten Eltern trägt, die Oskar nicht mehr ohne Angst in den Augen „Ich liebe dich“ sagen können und ihm danach ein Puzzle aus 18.000 Teilen in die Hand drücken.
Oskars Welt hingegen ist bevölkert von wundersamen Kindern mit noch wundersameren Krankheiten. Doch statt Befremden angesichts eines Schach spielend Intelligenz simulierenden Kindes mit Wasserkopf, eines ständig Süßigkeiten hortenden, fettsüchtigen Jungen oder eines nach Zuneigung heischenden Mädchens mit Down-Syndrom zu erzeugen, wirkt Oskars und Roses Blick auf das Krankenhaus-Sammelsurium wie ein Märchen. „Alle haben Angst vor mir, weil ich ein so schlechter Patient bin, weil ich ihnen beweise, dass ihre Medizin nichts wert ist“, sagt Oskar einmal und bohrt dabei nicht zum ersten Mal in der Wunde einer Erwachsenenwelt, die mit dem Unfassbaren konfrontiert wird. Schmitt unterteilt die Geschichte in die traurige Realität der Erwachsenen und in das fantasiereiche, nicht ganz zu fassende Zwischenreich der Kinder. Erst der farbenfrohe Einbruch von Rose und nicht zuletzt auch ihr letzter Rettungsanker, der Glaube an Gott, vermischen beide Welten. Die Tristesse der Realität bricht sich in ihren burlesken Wrestling-Erlebnissen – bis Oskars obligatorisches Kopftuch unter der Schirmmütze eines Tages die Farbe Rosa trägt. Michèle Laroque, Kinodebütant Amir und Max von Sydow als hoch betagter Doktor spielen dieses kleine Trio, das charakterlich auseinander strebt und sich doch angesichts des näher rückenden Endes so verbunden fühlt. Mit einer erstaunlichen Leichtigkeit springen sie in Schmitts tragikomischer Symbiose dreier Todgeweihter zwischen Fantasie- und Realebene und kommen weich auf dem heiklen Erzählboden auf, auch wenn sie dabei bisweilen gewaltig auf die Tränendrüse drücken. Dennoch ist diese Lösung einer emotionalen Erstarrung durch einen kleinen Körper, der im Sterben liegt, so anrührend und zugleich paradox lebensfroh inszeniert, dass „Schmetterling und Taucherglocke“
(fd 38648) hier wunderschön anrührend zu „Rose und Schirmmütze“ gerät.