Behutsam, aber mit hörbar verspielter Vorfreude „schleicht“ sich die Filmmusik an das vertraute „Sandmännchen“-Thema an: Während des traumwandlerisch schön gestalteten Vorspanns, der mittels Stop-Motion-Animation aus einfachen Materialien das Traum-Sujet liebenswert auf den Punkt bringt, scheinen die ersten sechs Töne („Sandmann, lieber Sandmann….“) regelrecht zu schweben, bevor sie sich, sacht in eine andere Welt gleitend, mit Kinderlachen vermischen und dann endlich im satten Streichorchester jubilieren. Womit man formvollendet in der watteweichen Welt des Traumlands ankommt, wo die Schlafschafe gerade darauf trainiert werden, möglichst einschläfernd über eine Hürde zu hüpfen. Dass das Schlafschaf Nepomuk für eine solche Arbeit viel zu aktiv und quicklebendig ist, bringt ihm glatt einen Verweis ein und lässt ihn beim Sandmann für einen neuen Job als Assistent vorsprechen. Just in dem Moment aber schlägt der Bösewicht Habumar zu: Er entreißt Nepomuk das Säckchen mit dem kostbaren Traumsand, der den Kindern Nacht für Nacht gute Träume bereitet. Bevor es jedoch zum Schlimmsten kommt und Habumar den Menschen Albträume bereitet, erhält Nepomuk den Auftrag, in die Wachwelt der Menschen zu reisen, um einen gestandenen Kapitän zu suchen, der dem Traumland beisteht. Über den Lichtstrahl eines Leuchtturms gerät er an den sechsjährigen Miko – der sich, ausgestattet mit Kapitänsmütze, Regenschirm und (übergroßen) Gummistiefeln, als tapferer Kapitän Scheerbart vorstellt. Dass Miko nur seinen verehrten Opa nachspielt, in Wahrheit aber recht ängstlich ist, nimmt der begeisterte Nepomuk nicht zur Kenntnis. So gerät Miko ins Traumland, gewinnt das uneingeschränkte Vertrauen des Sandmanns und träumt sich auf die Spur Habumars – zunächst freilich wenig erfolgreich, sodass sich der Fiesling an Mikos Angst regelrecht ergötzt und sie sich zunutze macht. Bis Miko begreift, dass ein Albtraum, vor dem man keine Angst hat, gar kein Albtraum mehr ist.
Es hat 50 Jahre gedauert, bis der beliebte Fernsehstar der abendlichen Kindersendung nun auch das Kino erobert. Zunächst gab es sogar zwei Sandmännchen, eines im Ost- und eines im West-Fernsehen, doch ab 1991 setzte sich die in Stop-Motion animierte Ost-Trickfilmpuppe als die beliebtere durch. Sie ist nun auch die liebenswürdige Identifikationsfigur in dem turbulenten und ereignisreichen Kinoabenteuer, das bunt und verspielt, fantasiereich und amüsant daher kommt, mitunter aber auch recht spannend wird, sodass sich besonders bei ganz jungen Kinobesuchern kaum Einschlafbereitschaft einstellen dürfte. Alles Bedrohliche wird freilich wohl dosiert im Schönen aufgefangen: Wenn sich die traditionelle Stoptrick-Technik bruchlos, ja durchaus elegant mit moderner Computer-Animation verbindet, dann dürfte das kleinen Zuschauern gänzlich wurscht sein, und doch werden sie die daraus resultierende prächtige Poesie der Bilderwelt aufnehmen, die sich durch den pointierten Einsatz der Filmmusik noch „satter“ und sinnlicher entfaltet. Es gibt viel zu bestaunen: den Sternenhimmel über dem Leuchtturm, die wunderlichen Metamorphosen von Mikos rotem Regenschirm, die düstere Luftschiff-Bar, in der Habumar den Traumsand mit Angst „verübeln“ will, vor allem aber das Traumland selbst mit Seilchen springenden Bärinnen, Igor, dem russischen Artisten am Himmelstrapez, dem Langeweileland, dem Kirschenpflücken vom Himmel (weil es kein oben und unten gibt, man also auch nicht herunterfallen kann), dem Sahneeisland und vielem anderen. Erwachsenen mag im Gegensatz dazu die betont grob gezimmerte reale Rahmenhandlung missfallen, die jedoch den Übergang vom echten zum Puppen-Miko ermöglicht und glaubwürdig die Themen von kindlichen Ängsten und „heilenden“ Traumkräften anklingen lässt. Dass Mikos Angst auch aus der Strenge seines überbesorgten Vaters resultiert, spiegelt sich unaufdringlich darin, dass Habumar von Ilja Richter gesprochen wird, der auch Mikos Vater spielt; ansonsten aber schert sich der Film herzlich wenig um allzu „tiefe“ Ausdeutungen und erweist sich als guter Verbündeter der jungen Kinogänger – eine im Kino weitgehend vernachlässigte Zielgruppe, die mit den üblichen (Pixar-)Bilderstürmen oft überfüttert und überfordert wird. Beim „Sandmann“ werden sie auf Augenhöhe abgeholt und zum Träumen, zum Fabulieren und auch zum beschaulichen Nachsinnen eingeladen. Auf Wiederträumen!