Ein Mann, der schreit

Drama | Frankreich/Belgien/Tschad 2010 | 90 Minuten

Regie: Mahamat-Saleh Haroun

Ein Vater und sein Sohn arbeiten in einem Luxushotel in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Die latente Rivalität zwischen den beiden schlägt in offene Eifersucht um, als der Vater zugunsten seines Sohns seinen Job verliert. Die in langen Einstellungen entwickelte, minimalistisch inszenierte Vater-Sohn-Geschichte vor dem Hintergrund eines vergessenen Krieges verdichtet sich zu einem parabelhaften Drama, das weniger auf emotionale Teilhabe als auf Zeichenhaftigkeit setzt. Aus afrikanischer Perspektive wird dabei aufschlussreich von den Krisen und Problemen des Tschad erzählt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
UN HOMME QUI CRIE
Produktionsland
Frankreich/Belgien/Tschad
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Pili Films/Entre Chien et Loup/Goi-Goi Prod.
Regie
Mahamat-Saleh Haroun
Buch
Mahamat-Saleh Haroun
Kamera
Laurent Brunet
Musik
Wasis Diop
Schnitt
Marie-Hélène Dozo
Darsteller
Youssouf Djaoro (Adam) · Diouc Koma (Abdel) · Émile Abossolo M'bo · Djeneba Kone (Djeneba) · Heling Li (Mme Wang)
Länge
90 Minuten
Kinostart
07.04.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Cine Global
DVD kaufen

Diskussion
Die Menschen nennen Adam „Champion“. Dabei schwingt viel Respekt mit, auch ein wenig liebevolle Ironie, denn Adam ist seit 30 Jahren Bademeister in einem Luxushotel in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Die Zeiten als zentralafrikanischer Schwimmmeister sind lange vorbei. Als erster Film aus dem Tschad fand „Un homme qui crie“ von Mahamat-Saleh Haroun 2010 den Weg in den Wettbewerb von Cannes. Afrikanische Filme sind, wenn man von einigen nordafrikanischen Staaten und Südafrika absieht, eine Seltenheit im internationalen Festivalzirkus wie auch in den europäischen Kinos. Diejenigen, die den Weg dorthin finden, sprechen zwar über Afrika und sind dort entstanden, doch Regisseure, Team und Schauspieler kommen meisten aus dem westlichen Ausland, etwa bei „Blood Diamond“ (fd 37 991) oder „Der ewige Gärtner“ (fd 37 414), aber auch beim Dokumentarfilm „Kinshasa Symphony“ (fd 40 063). Der Blick von außen auf Afrika dominiert nach wie vor die Leinwände, was auch mit der afrikanischen Filmindustrie zusammenhängt, deren minimal budgetierte Produkte in der Regel für den heimischen Markt zugeschnitten sind. Mahamat-Saleh Haroun stammt aus dem Tschad, er hat in Paris und Bordeaux Journalismus studiert; Youssouf Djaoro, der Adam spielt, kommt ebenfalls aus dem Tschad, während Diouc Koma, der Darsteller von Adams Sohn Abdel, in Paris geboren wurde. „Un homme qui crie“ ist also ein Film von einem afrikanischen Regisseur mit afrikanischem Hauptdarsteller, gedreht mit europäischen (Stil-)Mitteln; der Rhythmus ist getragen, an mancher Stelle ein wenig zu kunstfertig gedehnt. Bis auf wenige emotionale Ausschläge bleibt der Regisseur auf Abstand zu den Figuren, was die Parabelhaftigkeit der Geschichte unterstreicht. In langen Einstellungen, in bisweilen übermäßig schwelgend-schön und minimalistisch komponierten Bildern erzählt der Film eine tragische Vater-Sohn-Geschichte vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs im Tschad. Am Anfang tollen Vater und Sohn gemeinsam im Pool herum; Abdel arbeitet als Assistent seines Vaters. Der Regisseur spielt mit dem Größenunterschied der beiden: Sie schlendern durch einen Gang in die Sonne, wobei der riesige Sohn den Arm um die Schultern des Vaters legt. Dann sitzt Abdel neben Adam im Beiwagen von dessen klapprigem Motorrad – auf einmal ist der Sohn kleiner als der Vater. Schon diese Bilder, aber auch ein kleiner Tauchwettkampf der beiden im Pool raunen von einem Konkurrenzverhältnis, von Brüchen in der Harmonie. Beiläufig sickern Nachrichten vom Bürgerkrieg in die Erzählung, doch der Krieg scheint weit weg von der Hauptstadt und den dortigen Sorgen. Die gibt es auch: Das Hotel, in dem Adam und Abdel arbeiten, wird privatisiert, eine Entlassungswelle steht bevor. Abdel wird Bademeister, während Adam wegen seines Alters von seiner Lebensaufgabe entbunden wird und den Posten des Schrankenwärters bekommt. Adam, der „Champion“, fühlt sich degradiert und neidet seinem Sohn zunehmend dessen Jugend. Der Konflikt ist vorprogrammiert; der Vater verrät seinen Sohn. Abdel wird in den Kampf gegen die Rebellen an die Front gezwungen: Der Bürgerkrieg ist plötzlich im Herzen der Familie, im Wohnzimmer angekommen, in der Hauptstadt, wo Adam im verwaisten Luxushotel wieder seinen Job als Bademeister ausüben darf. Pflichtbewusst klammert er sich trotz Ausgangssperre daran fest – etwas anderes bleibt ihm nicht. Schließlich macht er sich auf die Suche nach seinem Sohn, fährt auf seinem Motorrad durch die Wüste, bewehrt mit einer Taucherbrille gegen Sand und Staub. Auch wenn die Geschichte sehr einfach konstruiert ist und das Handeln der Figuren in diesem Rahmen mitunter marionettenhaft vorherbestimmt wirkt, bleibt doch ein wesentlicher Effekt: Langsam dringt einer der vergessenen Bürgerkriege in Afrika ins Bewusstsein, das Drama eines Kontinents, seiner dysfunktionalen, korrupten Regierungen und globalen Verflechtungen. In Cannes wurde „Un homme qui crie“ mit dem Preis der Jury ausgezeichnet – ein politisches Bekenntnis.
Kommentar verfassen

Kommentieren