Die abenteuerliche Biografie des Sängers, Komponisten, Dichters, Schauspielers, Filmemachers, Malers, Liebhabers und Provokateurs Serge Gainsbourg ist natürlich eine Steilvorlage für ein Biopic, andererseits zugleich auch dessen Überforderung durch pure Stofffülle. Immerhin hat das musikalische Schaffen Gainsbourgs im vergangenen Jahrzehnt auch hierzulande retrospektiv eine Wieder- oder Neuentdeckung erfahren, nicht zuletzt durch die andauernden Karrieren von Jane Birkin und Tochter Charlotte Gainsbourg. Da man mit etwas Glück und Pop-Wissen einigermaßen auf der Höhe der Informiertheit zwischen Boris Vian, „Poupée de cire, poupée de son“, France Gall, „Harley Davidson“, Brigitte Bardot, „Je t’aime“, „Melody Nelson“, „Lemon Incest“, der Reggae-Version der „Marseillaise“ oder den Anzüglichkeiten gegenüber Whitney Houston sein kann, steht der eigenwilligen Annäherung des Filmemachers und Comic-Stars Joann Sfar an den französischen Superstar und Außenseiter nichts im Wege.
Sehr geschickt und mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vervielfältigt Sfar zu Beginn die Realitätsebenen seiner biografischen Erzählung, die zwischen Kindheitstraumata, jüdischer Identität und Künstler-Bohème zu vermitteln versucht. In Gainsbourg steckt von Beginn an ein Außenseiter, der zwischen Selbstzweifeln, Entfremdung, Ängsten und der Lust an der Transgression hin- und hergerissen ist. Der Künstler erscheint so als Getriebener und Gelockter, mal als dunkle „Fresse“, dann wieder als bockiges Kind, das mit Wonne fremde Schienbeine malträtiert. Als dieses Kind älter wird, verwandelt es sich in den etwas schmierigen Kettenraucher und Kampftrinker „Gainsbarre“, ein vom Künstler selbst ins Leben gerufenes Alter Ego. So verblüffend der Ansatz Sfars zunächst auch ist: Das aufregende Spiel mit den unterschiedlichen Realitäts- und Bewusstseinsebenen wird recht zügig hintertrieben durch ein letztlich doch (trotz aller Rückblenden, Verschränkungen und kommentierenden Montagen) chronologisches Erzählen entlang mal mehr, mal weniger bekannter biografischer Stationen. Da ist der Kunstmaler Gainsbourg, der von Francis Bacon beeinflusst und mit Salvatore Dalí befreundet ist (eine weitere Inspirationsquelle von Sfars filmischem Diskurs) und nebenher eine poetisch-musikalische Ader in sich trägt, die von Boris Vian aktualisiert wird. Jetzt beginnt die Karriere des jazz-affinen Chansoniers Gainsbourg, der auch Lieder für France Gall schreibt und diese gegen ihren Spießer-Vater aufwiegelt. Spätestens dann aber, wenn sich Gainsbourg zum Pop-Star wandelt, dockt der Film doch recht umstandslos beim kollektiven Pop-Wissen der Franzosen an: Selten zuvor wurde der erste Auftritt eines Stars derart glamourös in Szene gesetzt wie der von Brigitte Bardot in diesem Film. Wer Bardot nur als schrullige, rechtsextreme Tierschützerin kennt, wird sich wundern. Aus heutiger Perspektive mag auch erstaunen, wie schlecht Jane Birkin in „Gainsbourg“ wegkommt; sie erscheint als kapriziöses Püppchen, das nie an das Format der übermächtigen Bardot heranreicht.
Im letzten Drittel macht es sich der Film dann einerseits zu leicht, andererseits aber dem Zuschauer auch schwer. Man muss sich schon etwas auskennen mit der Biografie Gainsbourgs, um im Sog aus Selbstzerstörung, Einsamkeit und Ambition den Überblick zu behalten. Wenn Sfar sich jetzt seinerseits bei den von Gainsbourg selbst geschaffenen Bilderwelten („Histoire de Melody Nelson“, „L’homme à tête de chou“) bedient, wird der Mythos Serge Gainsbourg quasi verdoppelt. Geradezu hermetisch erscheint die Hinwendung Gainsbourgs zum (amtlich gespielten) Reggae und die damit verbundene, genüsslich vollzogene Provokation der Single „Aux armes et caetera“ für Le Pens „Front National“. Doch vielleicht gehört ein solcher Zug des Insiderhaften dazu, wenn man sich einem ohnehin schon als Mythos inszenierten Leben mit dem Anspruch nähert, von einem „vie héroïque“ erzählen zu wollen. Wer kein konventionelles, zum gelingenden Bildungsroman stilisiertes Biopic erwartet, keine kritische Dekonstruktion eines Mythos, und sich zudem etwas in die Materie eingearbeitet hat, der wird von der bisweilen etwas kunstgewerblich geratenen Hommage an einen genialischen Außenseiter gewiss nicht gelangweilt werden. Was bei eine derart schillernden Gegenstand wie Serge Gainsbourg aber ohnehin einem Wunder gleichkäme.