Soll man sich diesen Film besser im Kino ansehen oder auf die DVD warten? Leider sind beide Alternativen unbefriedigend: Den Zuschauern, die „My Name Is Khan“ sehen wollen, bleibt die Wahl zwischen einer stark gekürzten Kinofassung und dem Hoffen auf eine DVD-Veröffentlichung der etwa 160-minütigen Langfassung, die 2010 auf der „Berlinale“ präsentiert wurde, wobei das bildgewaltige Polit-Melodram im Heimkinoformat notwendigerweise an Reiz einbüßen wird. Schade, dass dem Kinopublikum nicht die volle epische Breite dieses seltsamen, aber auch mitreißenden und interessanten Films gegönnt wird. Dessen Hauptfigur, ein von Super-Star Shahrukh Khan verkörperter, unter dem Asperger-Syndrom (einer Form von Autismus) leidender indischer Muslim, wirkt ein bisschen wie eine Bollywood-Variante von Dustin Hoffmans „Rain Man“
(fd 27 420) und Tom Hanks’ „Forrest Gump“
(fd 30 995), die mitten in die Tragödien der jüngeren US-Geschichte hineinstolpert: Rizvan Khan ist ein hochintelligenter, durch seine Krankheit jedoch sozial isolierter Sonderling, der in den USA erfolgreich einen neuen Anfang wagt und seine große Liebe heiratet, aber dann im Zuge der Anschläge aufs World Trade Center 2001 heftigen Anfeindungen ausgesetzt ist. Als sein Ziehsohn – das Kind seiner Frau aus einer früheren Verbindung – von aggressiven Schulkameraden getötet wird, verzweifelt die junge Mutter und schickt ihren Mann in ihrer Verbitterung unwillentlich auf eine verrückte Mission: Er soll den Präsidenten der USA treffen und ihm sagen, dass er kein Terrorist ist. Natürlich lässt sich solch eine Begegnung nicht so leicht arrangieren, und so muss Rizvan zunächst eine abenteuerliche Odyssee durch die Vereinigten Staaten auf sich nehmen. Dabei wird er mit den hässlichen Auswüchsen der anti-muslimischen Stimmung und des „Kriegs gegen den Terror“ konfrontiert, findet aber auch immer wieder freundliche Aufnahme und Unterstützung und hilft selbst vielen Menschen weiter.
Formal verzichtet Regisseur Karan Johar („Kuch Kuch Hota Hai – Und ganz plötzlich ist es Liebe“, „In guten wie in schweren Tagen“, fd 35 894) zwar weitgehend auf Song-and-Dance-Nummern, bleibt aber ansonsten dem vom Bollywood-Mainstream her gewohnten dramaturgischen Masala treu: Auch hier werden komödiantische Töne unmittelbar von herzzerreißenden Tragödien abgelöst, Genre-Einflüsse vom Melo bis zum Road Movie mischen sich. Um Toleranz geht es dabei gleich auf zwei Ebenen. So fordert einerseits Rizvans „unnormales“ Verhalten aufgrund seiner autistischen Störung seine Umwelt heraus, andererseits wird politisch für die Überwindung religiöser und ethnischer Vorurteile plädiert. Im Mittelpunkt steht dabei die hysterische anti-islamische Haltung der USA im Besonderen und des Westens im Allgemeinen nach den Anschlägen vom 11.9.2001. Allerdings sind Buch und Regie klug genug, um dabei nicht in ein simples Bashing westlicher Entgleisungen zu verfallen. Interessant ist in diesem Kontext beispielsweise die Figur der von Kajol eindringlich verkörperten Mandira, Rizvans Ehefrau, an der sich unter umgekehrten Vorzeichen sozusagen noch einmal die Psychologie von 9/11 im Kleinen nachvollziehen lässt: Als sie ihr geliebtes Kind verliert, reagiert sie auf die traumatische Gewalterfahrung nicht anders, als die USA auf die Mordanschläge der Terroristen reagierten: mit Hass und Abgrenzung. Es bleibt an dem „reinen Toren“ Rizvan, der in der zweiten Filmhälfte immer mehr zum „Larger Than Life“-Helden wird, zwischen den verhärteten Fronten zu vermitteln und durch seinen persönlichen Opfergang das Herz seiner Frau sowie einer ganzen Nation zu erweichen.
So überkandidelt Rizvans Verstrickungen in die weltpolitischen Verwerfungen dabei bisweilen einherkommen, gibt es doch auch immer wieder großartige Sequenzen, in denen die Verstörung der autistischen Hauptfigur angesichts einer ihr unverständlichen, bedrohlichen Umwelt zur eindringlichen Anklage gegen inhumane und irrationale Ausgrenzungsmechanismen und Feindbilder wird. Nicht zuletzt gelingt das auch dank einer furiosen Kameraarbeit, die immer wieder versucht, die ganz besondere Perspektive des Helden auf seine Umwelt einzufangen. Einmal mehr wird dabei angesichts des aufklärererisch-erzieherischen Furors, den „My Name Is Khan“ in seinem Plädoyer für Toleranz und gegenseitigen Respekt an den Tag legt, wirkungsvoll das Vorurteil entkräftet, das Bollywood-Großkino liefere nur eskapistische Unterhaltung. Das macht den Film, so dick er seine Botschaft auch aufträgt, sehr sympathisch. Zumindest für westliche Zuschauer, rennt der Film doch hier, wo sich in den letzten Jahren der Blick auf die „Achse des Bösen“ längst gewandelt hat, offene Türen ein. In seiner Heimat wurde „My Name Is Khan“ allerdings zum veritablen Politikum. Nicht nur, weil der Film selbst neben dem Konflikt zwischen Orient und Okzident auch den Konflikt zwischen Hindus und Moslems in Indien kritisch thematisiert, sondern auch wegen des politischen Engagements seines Stars: Nachdem sich Shahrukh Khan, der sich als Moslem schon länger für die Entspannung des indischen Verhältnisses zu Pakistan stark macht, kritisch über die Diskriminierung pakistanischer Spieler in der indischen Cricket-Nationalmannschaft äußerte, riefen radikale Hindus zum Boykott seines neuen Films auf.