Ein Student absolviert ein Sommerpraktikum auf einer Wetterstation in der sibirischen Arktis und entwickelt zu dem älteren Meteorologen vor Ort ein spannungsvolles Verhältnis zwischen zaghaftem Teamgeist und gegenseitigem Misstrauen. Durch eine schlechte Nachricht aus der Außenwelt droht das Zusammenleben in der Station zu eskalieren. Eindrucksvoller Polarthriller, der seine Figuren geschickt in ein Netz aus Missverständnissen, falschen Entscheidungen und Zufällen verwickelt und den Generationenkonflikt mit dem Konflikt zwischen Mensch und Natur verbindet. In der Figurenzeichnung nicht immer stimmig, gelingt ihm dennoch ein intensives Bild, das die Situation des existenziellen Ausgeliefertseins wie auch aktuelle gesellschaftliche Bezüge umfasst.
- Sehenswert ab 16.
How I Ended This Summer
Thriller | Russland 2010 | 124 Minuten
Regie: Alexej Popogrebsky
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Filmdaten
- Originaltitel
- KAK YA PROVEL ETIM LETOM | KAK JA PROWJOL ETIM LETOM
- Produktionsland
- Russland
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Koktebel Film Co.
- Regie
- Alexej Popogrebsky
- Buch
- Alexej Popogrebsky
- Kamera
- Pawel Kostomarow
- Musik
- Dmitrij Katkhanow
- Schnitt
- Iwan Lebedew
- Darsteller
- Grigori Dobrygin (Pavel) · Sergej Puskepalis (Sergei)
- Länge
- 124 Minuten
- Kinostart
- 01.09.2011
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
In manchen Momenten, wenn sich das Licht um den einsamen Schauplatz dieses Films rötlich färbt, ist ein wenig von der Wärme zu spüren, die es auch in dieser frostigen Wildnis geben muss: ein Anflug von Sympathie zwischen zwei Männern, die verschiedener nicht sein könnten, aber doch sozusagen in einem Boot sitzen. Eine ruppige, doch gutgemeinte Geste, die einen Streit schlichtet. Ein kurzer Satz, der klarstellt: Wir sind ein Team. Aber das Wir-Gefühl stellt sich kaum ein zwischen den beiden, die in einer heruntergekommenen Wetterstation in der sibirischen Arktis zusammenleben und Messdaten per Funk weitergeben. Der erfahrene, wortkarge Meteorologe Sergej ist seit Jahren schon in der Einöde beschäftigt und begegnet seinem Kollegen, dem jungen Drei-Monate-Praktikanten Pavel, mit Skepsis, wenn nicht mit Argwohn.
„Wie ich diesen Sommer abschloss“ wäre eine korrekte Übertragung des russischen Originaltitels – die aber nicht gut klingt; wohl daher hat der deutsche Verleih die englische Übersetzung beibehalten. Der Ferienstimmung, die im Titel mitschwingt, wird Alexei Popogrebskys zweite Regiearbeit nach „Koktebel“ (fd 36 637) in den ersten Szenen gerecht – und vergiftet sie zugleich. Man sieht Pavel, der von Treibstofftonne zu Tonne hüpft, der sich auf radioaktiv strahlendem Gelände wie in der Kulisse eines Abenteuerfilms bewegt (offensichtlich gehört es zu den Aufgaben der Männer, einen stillgelegten Isotop-Generator mit dem Geigerzähler zu kontrollieren). Auch der ältere Sergei verspürt immer wieder das Bedürfnis, aus der Alltagsroutine auszubrechen und mit dem Boot in eine nahe gelegene Lagune zum Fischen zu fahren. Sergei könnte Pavels Vater sein. Immer wieder lässt Popogrebsky Ansätze zu einem produktiven Vater-Sohn-Verhältnis zu, und immer wieder scheint die Utopie der Freundschaft in den Graben zwischen zwei Generationen zu fallen, zwischen dem kommunistisch geprägten Sergei und Pavel, der in den Wirren des Kapitalismus aufgewachsen ist, mit dröhnender Kopfhörermusik und einem blutigen Computerspiel gegen die Einsamkeit kämpft. Das Spiel heißt „Stalker – der Schatten von Tschernobyl“, Referenz an einen Andrej-Tarkowskij-Film und zugleich Hinweis auf den verantwortungslosen Umgang mit risikobehafteten Technologien. Dem Nebenschauplatz des Minireaktors kommt im Filmverlauf eine tragische Rolle zu.
Die Unfähigkeit zur Kommunikation ist der Katalysator in dem Zwei-Personen-Drama, das sich zum klirrenden Duell zuspitzt. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist ein Funkspruch, der Sergei betrifft, aber den älteren Bewohner der Station nicht erreicht. Sergei hat sich nämlich – gegen die Bestimmungen – per Boot zum Fischen aufgemacht. Pavel nimmt die Mitteilung, dass Frau und Kind des Älteren verunglückt seien, entgegen, bringt es nach Sergeis Rückkehr aber nicht fertig, ihm die Hiobsbotschaft zu überbringen. Verkompliziert wird die Situation durch einen eskalierenden Konflikt der Männer um mangelndes Vertrauen und Pflichterfüllung: Pavel, ob des Funkspruchs verwirrt und ratlos, vergisst seine eigentliche Aufgabe und trägt hastig erfundene Werte ein, als sich Sergeis Rückkehr ankündigt. Der bemerkt die Schummelei und kann seine Wut über den Betrug kaum zügeln. Raffiniert, engmaschig ist das Netz aus Missverständnissen, Sprachlosigkeit und dummen Zufällen gewebt, das Popogrebsky über seine Protagonisten wirft. Mit subtilen Mitteln und nur spärlichem Dialog schildert er, wie Pavels Unreife und Scham schrittweise in Furcht und Hass umschlagen. Die Panik des Jungen, die geradewegs in die Katastrophe führt, überträgt sich durchaus auf den Zuschauer, doch eine der Qualitäten des Films liegt darin, die Tunnelperspektive Pavels wiederholt kritisch in Frage zu stellen. Nachvollziehbar ist die Desorientierung der Figur nicht zuletzt aufgrund des extremen Klimas und der Tatsache, dass es jenseits des Polarkreises, im arktischen Sommer, praktisch nicht dunkel wird. Mit atmosphärischen Zeitrafferaufnahmen vermittelt Popogrebsky die extreme Erfahrung von Zeit und Raum. Wie Mensch und Natur aneinander geraten: Auch darin fühlt man sich an Tarkowskij-Filme erinnert. Die Witterung schlägt ins Lebensfeindliche um, das Heizöl wird knapp, Pavel erfährt, dass ein rettender Hubschrauber unterwegs ist. Mit Befremden registriert man die kopflose Flucht des Jungen in die Schneewüste, um dort im Alleingang, ohne Sergei, eine Leuchtrakete zu zünden. Im dichten Nebel fliegt der Hubschrauber über Pavel hinweg. Dessen Panik wächst, als ein Eisbär seine Spur aufnimmt.
„How I Ended This Summer“ führt schnurstracks in den Abgrund, die kühl kalkulierte Struktur des Films lässt nicht viel Raum für darstellerische Extrarunden. Mit stoischem Gesichtsausdruck und vollem Körpereinsatz absolviert Grigori Dobrygin seine Rolle. Die zunehmende Verrohung wirkt absolut glaubwürdig, während der an sich überzeugend zwischen Härte und Vatergefühlen changierende Sergei Puskepalis mit dem Problem seines unscharfen Charakters geschlagen ist. Dass Sergei eine ambivalente Figur ist, geht völlig in Ordnung; dass es zu unauflösbaren Widersprüchen kommt, wenn die Perspektive (selten genug) von Pavel zu Sergei wechselt, scheint aufs Konto des Drehbuchs zu gehen. In solchen Momenten wird Sergei als dramaturgischer Funktionsträger missbraucht und, wenig glaubwürdig, zum Teilzeitschurken, der er substanziell nicht ist. Trotz kleiner Systemfehler: Popogrebsky zeichnet mit seinem kühlen, dichten Polarthriller ein intensives Bild von Ausgeliefertsein, Misstrauen und Paranoia in einer extremen Umwelt. Der Randlage zum Trotz scheint der Film mitten in Russland zu spielen; und sein Generationenkonflikt ist einer, der sich in allen Ex-Ostblockstaaten abspielen könnte. Und das Thema einer aus dem Ruder laufenden (oder quasi-terroristisch benutzten) Atomkraft trifft nach Fukushima jeden Zeitgenossen ins Herz.
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