Ein einzelner Mann, abgerissen, durstig und hungrig, schleppt sich durch eine öde Wüstenlandschaft zu einem von Gunslingern bevölkerten Kaff, das schon bessere Tage gesehen hat. Hinter dem Stoppelbart erkennt man Denzel Washington. Er geht, wie einst Gary Cooper, zielstrebig und ohne sich umzudrehen nach Westen. Wäre nicht die Erde verbrannt, der Himmel düster und Asche überall in der Luft, so könnte man meinen, einen Western zu sehen. Der Mann trägt einen Rucksack mit sich, in dem er das angeblich letzte Exemplar der Bibel versteckt hält. Alle anderen Kopien des heiligen Buchs sind zerstört worden, nachdem religiöse Konflikte die Hölle auf Erden bewirkten und vor 30 Jahren einen nuklearen Holocaust ausgelöst hatten. Der Name des Wanderers ist Eli, und er befindet sich auf einer Mission von Gott, dessen Stimme ihm befohlen hat, das Buch nach Westen zu tragen. Da haben wir’s: Die Hughes-Brüder, die auch in ihren früheren Produktionen „Menace II Society“
(fd 30 609), „Dead Presidents“
(fd 32 236) und „From Hell“
(fd 35 306) schon freimütig Anspielungen auf Gott und die Apokalypse versteckt hatten, haben einen religiösen Western gemacht!
Eli trägt nicht nur die Bibel mit sich herum, sondern auch eine Machete, von der er ausgiebig Gebrauch macht, sobald sich jemand ihm und seiner Mission in den Weg stellt. In dem abgewrackten Kaff, in dem er nach Wasser und Batterien für seinen iPod sucht, legt er gleich eine ganze Heerschar von wilden Kerlen um. Schließlich ist ja auch die Bibel nicht zimperlich im Umgang mit dem Schwert. Der Herrscher über die „Stadt“, ein gewisser Carnegie, der in seinen Mußestunden ein Buch über Mussolini liest, stellt sich ihm entgegen. Carnegie ist ein Widersacher, mit dem nicht zu spaßen ist. Das Einzige, was ihm fehlt, sind die Hörner. Wie Eli gehört er der älteren Generation an, deren Überlebende sich noch an die Zeit vor dem schrecklichen Ereignis erinnern können. Auch er ist hinter der einzigen verbliebenen Bibel her, weil er glaubt, sie könne ihm die Macht verleihen, alle Menschen widerstandslos nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. „High Noon“ ist nicht weit entfernt; nur Carnegies blinde Frau und deren wie aus einem Modemagazin entsprungene Tochter stehen der finalen Abrechnung noch im Wege.
Endzeitdramen haben momentan Hochkonjunktur. Nach Roland Emmerichs „2010“
(fd 39 581) kam das kafkaeske Zwei-Personen-Stück „The Road“ (auf das das deutsche Publikum noch bis Mai warten muss), und nun ist es „The Book of Eli“. Im Gegensatz zu Emmerichs wilder Zerstörungsorgie und der nihilistischen Ausweglosigkeit von „The Road“ muss man dem Film der so lange beschäftigungslos gewesenen Hughes-Brüder zugute halten, dass er eine Menge Stilwillen besitzt. Selten hat verbrannte Erde auf der Leinwand so gut ausgesehen, und selten hat sich ein Kameramann bemüßigt gefühlt, den Überresten einer vergangenen Zivilisation so kunstfertige Perspektiven abzugewinnen. Doch die Rechnung der Regisseure, „Mad Max“-Kino und Bibelfestigkeit miteinander zu versöhnen, geht schief. Wenn Denzel Washington seinem Teenager-Schützling das Beten vor dem Essen beibringt oder zu nächtlicher Stunde aus der Bibel zitiert, dann hat das nicht einmal eine Unze der Glaubwürdigkeit, die er an den Tag legt, wenn er einem Straßenräuber die Hand abschlägt. Ernst nehmen kann man diese Art Anbiederung an die Millionen wiedergeborener Christen in Amerika gewiss nicht, selbst wenn man gewillt sein sollte, über die zahllosen Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten des Films hinweg zu sehen. Einst besaßen die Hughes-Brüder auch einen Sinn für schwarzen Humor, aber der scheint ihnen gründlich abhanden gekommen zu sein. Es sei denn, die lachhafte Schlusswendung wäre komisch gemeint.