Schach und Kino: keine glückliche Liaison. Das Grübeln über die richtige Taktik und den besten Zug ist nicht gerade eine aufregende Tätigkeit, die sich filmisch adäquat darstellen ließe. Filme mit einer tragenden Rolle für das königliche Spiel stellen eher die Spieler in den Vordergrund. Linkische, weltfremde oder psychisch kranke Charaktere wie in „Die Schachnovelle“ (fd 9443) oder „Lushins Verteidigung“
(fd 35 554) bieten genug Reibungsfläche für ein packendes Drama. Umso überraschender ist es, dass Caroline Bottaro in ihrem Regiedebüt eine ganz normale, hart arbeitende Hausfrau und Mutter in den Mittelpunkt rückt, die der Faszination des Schachspiels erliegt. Hélène, Zimmermädchen in einem Luxushotel auf Korsika, beobachtet während der Arbeit, wie ein Mann und eine Frau auf dem Balkon Schach spielen. Etwas ungewohnt Sinnliches geht von dem Paar aus: flirtende Blicke, einladendes Lächeln, weiche, wie in Zeitlupe aufgenommene Bewegungen. Mehrmals rutscht der Träger des Negligés herunter, das die Frau zumeist trägt und beim Auszug aus dem Hotel vergessen wird. Die Inszenierung macht deutlich, dass sich Hélène wie eine heimliche Beobachterin fühlt, die bei etwas Verbotenem zusieht. Eine erotische Anziehung geht von dem Spiel aus, die sich allerdings mit dem elektronischen Schachbrett, das Hélène ihrem Mann Ange zum Geburtstag schenkt, nicht wiederholen lässt. Der einfache Schiffsmonteur hat mit den 64 schwarz-weißen Feldern nichts am Hut. So brütet Hélène, mehr und mehr gefangen von der Magie des Schachs, nachts allein über dem Brett und vergisst die Zeit. In ihrem Bemühen, in die Geheimnisse des Spiels einzudringen, bittet sie Doktor Kröger, einen Arzt, bei dem sie nebenher putzt, um Hilfe. Hélène ist eine gelehrige Schülerin. Nicht nur, dass sie schon bald die wichtigsten Züge beherrscht – sie setzt auch ihren Mentor immer häufiger matt und nimmt sogar an einem lokalen Turnier tei. Doch über ihrer Obsession fürs Schachspiel vernachlässigt Hélène ihre Familie, und die häufigen Besuche bei dem Arzt sind außerdem Anlass für Tratsch.
Dass eine einfache Hausfrau mal eben so die hohe Kunst des Schachspiels erlernt und ihren Lehrer überflügelt, ist eine Behauptung des Drehbuchs, die man in ihrer Märchenhaftigkeit akzeptieren muss. Bottaro ging es nicht so sehr um die Darstellung von Fleiß und Mühe, die es braucht, um auf hohem Niveau Schach zu spielen, erst recht verweigert sie sich jenen Darstellungen von Genie und Wahnsinn, die einige Großmeister geprägt haben mag. Die Regisseurin erzählt nach dem Roman von Bertina Henrichs vielmehr eine leise, anrührende Geschichte von Befreiung und Emanzipation. Hélène wird durch ihre neue Leidenschaft, der sie sogar auf schwarz-weiß gekachelten Hotel-Terrassen nachgeht, lebensfreudiger, selbstbewusster und erfolgreicher. Endlich nimmt sie (und mit ihr der Zuschauer) die aufregende Landschaft Korsikas mit einsamen Buchten und rauen Klippen wahr und öffnet sich der Natur und somit dem Leben. Wenn sich Hélène am Schluss bei einem Turnier in gediegenem Ambiente mit Ärzten, Anwälten und Honoratioren des Ortes misst, hat sie sogar den sozialen Aufstieg geschafft. Wichtiger noch: Sie behauptet sich als Frau in einer Männerdomäne. Dass Bottaro den Kampf am Brett zum Kampf der Geschlechter hochstilisiert, bei dem die Gegner als arrogant, neidisch und intrigant charakterisiert werden, schießt allerdings übers Ziel hinaus. Ein kleines Manko, das Sandrine Bonnaire mit ihrer nuancierten und charismatischen Darstellung aber spielend wettmacht.