Miloš Formans „Amadeus“ feierte im September 2024 sein 40. Leinwandjubiläum; am 13. März 2025 erscheint er nun neu als „Ultimate Collector‘s Edition“ in 4KUHD. Der Film wäre wahrscheinlich schon ein Klassiker, wenn er sich damit begnügen würde, ein episches Biopic über Wolfgang Amadeus Mozart zu sein, den wohl prominentesten Komponisten aller Zeiten. Er geht jedoch einen Schritt weiter und versteckt in der Huldigung an Mozarts Genie eine geistreiche Abhandlung über die Mittelmäßigkeit der Welt. Ein Meisterwerk über Musik, Mord und die Menschlichkeit, die beides verbindet.
Das Sanatorium erinnert an Dantes Inferno: Schreiende, nackte Menschen kriechen, mit ihren eigenen Fäkalien bedeckt, über den kalten Boden und werden von Aufsehern geprügelt. Durch diese Vorhölle schreitet ein junger Priester, um eine verlorene Seele zu retten: Ein alter Musiker, mit bandagierter Kehle, sitzt in seiner Zelle und spielt eigene Melodien auf einem Instrument, das zu schön für diesen Ort zu sein scheint. Die Musik, mit der er sein Verlies füllt, ist gefällig, aber ihr scheint etwas zu fehlen. Bis er ein Stück anstimmt, das Erinnerungen weckt – eine unverkennbare Melodie zum Mitsummen. Ein Stück, das nicht er geschrieben hat, sondern der Mann, den er umgebracht hat: Wolfgang Amadeus Mozart. Erzählt wird hier nicht nur die Geschichte dieses großen Komponisten, sondern vor allem die des kleinen Komponisten, der in seinem Schatten steht und darin langsam verwelkt. Ein Mann namens Antonio Salieri, der seine letzten Tage in einem Sanatorium zubringt und miterleben muss, wie die Welt seinen Erzfeind in Erinnerung behalten wird.
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Das Leben des Anderen
Ein simpler Perspektivwechsel ist einer von „Amadeus“ größten Geniestreichen. Mozarts (Tom Hulce) Leben wird in Miloš Formans biografischem Film, der am 6. September 1984 uraufgeführt wurde, erzählt durch die Augen von Salieri (F. Murray Abraham) und dadurch mit dessen Schicksal unabdingbar verwoben. Die übliche Formel eines Komponisten-Biopics porträtiert in der Regel ein verkanntes Genie, das die Welt mit Musik beschenken könnte, wenn diese es nur zuließe. In solchen Filmen zerbrechen die größten Talente am Kleingeist ihrer Umwelt. Forman richtet das Rampenlicht nun genau auf einen dieser Kleingeister und zeigt in „Amadeus“, dass das Zerbrechen auf Gegenseitigkeit beruht – dass die bloße Existenz der überlebensgroßen Künstler ganz unbewusst die kleineren unter sich begräbt.
Nur die wenigsten Menschen können sich vorstellen, wie es sein könnte, ein Mozart zu sein, aber fast alle waren in ihrem Leben bereits ein Salieri. Sie kennen es, Leidenschaft, Fleiß und Mühe in etwas zu stecken, was anderen wie selbstverständlich zufliegt. Sie wissen, wie nah Bewunderung und Neid beieinander liegen. Die dadurch entstehende Empathie für den Emporkömmling sorgt für eine wunderbare Kombination aus Komik und Tragik. Man kann Salieri nur bedauern, wenn er all sein Herzblut in neue Kompositionen steckt und diese dann im Vorbeigehen von Mozart ad absurdum geführt werden; und gleichzeitig kann man sich ein Lachen nicht verkneifen, wenn die verbissenen Ambitionen von Salieri mit kindlicher Unschuld von Mozart in der Luft zerrissen werden.
Ein Komponist, dem der Erfolg verwehrt bleibt, weil er zufällig zur selben Zeit wie eine der größten Ikonen der Musikgeschichte lebt, ist derart unverhältnismäßig, dass es sowohl als Geschichte über Mythenbildung als auch als Satire ebendieser dient. Die bittere Ironie dabei ist, dass der Mythos Mozart durch Salieris leidenschaftliche Erzählungen erst zementiert wird.
Zum Sterben schön
Beim Schauen kann es fast in Vergessenheit geraten, dass Miloš Formans Film auf einem Theaterstück basiert. Die kinematische Kraft, die sich auf der Leinwand entfaltet, wirkt, als hätte sie schon immer in dieses Medium gehört. Groß inszenierte Musikszenen wirbeln durch das Kino, als wäre es ein Konzertsaal. Erst wenn man sich aus dem Bann des Filmes befreit, wird einem bewusst, dass der Film tatsächlich, wie so viele Theateradaptionen, mit vielen Dialogszenen arbeitet, die von den Darstellern so präzise umgesetzt sind, dass sie den gezeigten Opern an emotionalem Drive fast in nichts nachstehen.
Insbesondere Tom Hulce und F. Murray Abraham setzten sich als Hauptdarsteller-Duo ein Denkmal. Wenn die dramatische Gravitas von Abraham auf die kichernde Frivolität von Hulce trifft, passt jede Nuance. Von einer einseitigen Rivalität ausgehend, beginnen beide langsam, fast unmerklich, den jeweiligen Abstieg in ihre eigenen Höllen. Hulce wird zu einem Mozart, der langsam von Wahnsinn und Depression verzehrt wird, und Abrahams Salieri muss Stück für Stück die tiefe Zerrissenheit erkunden, gleichzeitig eine absolute Liebe zur Kunst und eine absurde Abscheu gegen den Künstler in sich zu tragen. Mozarts größter Neider ist auch sein größter Bewunderer und vielleicht der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der ihn wirklich versteht. Eine Erkenntnis, die sich erst in ihm festsetzt, als der Plan zum Mord bereits geformt ist.
Die paradoxe Beziehung der beiden gipfelt in einer der denkwürdigsten Szenen des Filmes, in der Salieri und Mozart gemeinsam an einer Komposition arbeiten. Sie reden über Musik, diktieren einander Fachbegriffe, die ein Großteil des Kinopublikums nicht verstehen wird. Als lausche man einer fremden Sprache. Doch plötzlich geschieht etwas Magisches: Die Wörter werden zu Noten, die Noten zur Musik, das Musik zum Gefühl. Die Blicke, die beide wechseln, die Feinheiten im Spiel der Darsteller, werden zu einer Symphonie der Emotionen, die auch nachvollziehbar ist, wenn man ihre Sprache nicht versteht. Sie spiegelt das wider, was Salieri sein Leben lang gesucht hat: die wahre Natur der Musik. Das Göttliche im Menschlichen. Endlich in greifbarer Nähe. Vor uns auf der Leinwand.
Jede Note an der richtigen Stelle
Eine simple, zeitlose Eleganz schwebt durch Formans „Amadeus“, wie durch die großen Mozart-Kompositionen. Die Dialoge fließen pointiert dahin, die großen Opernszenen akzentuieren das Geschehen wie ein Crescendo, jeder Moment ist mit präziser Intention an genau der richtigen Stelle. Eine temporeiche Komödie wandelt sich vor den Augen der Zuschauer in eine unabwendbare Tragödie, ohne dabei ihre Qualitäten einzubüßen. Alles unterlegt mit zeitloser Musik, deren Größe den menschlichen Abgründen, die hier gezeigt werden, gerecht wird. Und im Zentrum zwei schauspielerische Leistungen, die das Gewicht der Musikwelt auf ihren Schultern tragen. Miloš Forman erschuf mit „Amadeus“ einen Film, der Musik so ernst nimmt, wie es seine Figuren tun, und kann damit auch 40 Jahre nach seiner Premiere Kenner und Laien gleichermaßen verzaubern.
Salieri mag als Komponist nicht den Weltruhm eines Mozarts erreicht haben, doch als Filmfigur hinterlässt er sein eigenes Erbe: Selten gab es jemanden, der mit derart viel Hingabe über die Liebe zur Musik sprechen konnte. Nachdem man „Amadeus“ erlebt hat, möchte man aufgrund der schieren Kunstfertigkeit, die sich in jeder Facette des Filmes widerspiegelt, ebenso ins Schwärmen geraten wie Salieri, wenn er die Notenblätter Mozarts in fiebriger Ekstase durchblättert: Es ist unglaublich – ein Werk, so vollendet, wie nie ein Werk vollendet ist.