Das Geheimnis der Flamingos

Dokumentarfilm | USA/Großbritannien 2008 | 78 Minuten

Regie: Matthew Aeberhard

Ein unwirtlicher Natronsee im Norden Tansanias ist das Nistgebiet der Zwergflamingos. In atemberaubenden Bildern verfolgt der Naturfilm das Leben der Tiere von der Zeugung bis zum Tod. Obwohl die Inszenierung alle Register filmischen Erzählens zieht, überspannt der Film den Bogen der Vermenschlichung nicht. Neben reizvoll choreografierten Sequenzen wird auch die Grausamkeit der natürlichen Abläufe nicht unterschlagen. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
THE CRIMSON WING: MYSTERY OF THE FLAMINGOS
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Natural Light Films/Kudos Pic./Walt Disney Studios
Regie
Matthew Aeberhard · Leander Ward
Buch
Melanie Finn
Kamera
Matthew Aeberhard
Musik
The Cinematic Orchestra
Schnitt
Nicolas Chaudeurge
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm | Tierfilm
Externe Links
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Diskussion
In den 1950er-Jahren begann der Schotte Leslie Brown, sich mit den Zwergflamingos zu befassen, die im unwirtlichen Natronsee im Norden Tansanias brüten. In seinem 1959 veröffentlichten Buch „The Mystery of the Flamingos“ beschreibt Brown das hochalkalische, etwa 60 Kilometer lange Gewässer als „fauligsten Flecken der Erde“ – wohl auch deshalb, weil der Forscher sich auf dem Weg zu den Nistplätzen der Vögel die Füße lebensgefährlich verätzte. Der gleichnamige Naturfilm schlägt einen deutlich anderen Ton an. In oft berauschend schönen Bildern widmet er sich dem seltsamen, für Menschen kaum zugänglichen Gebiet und seinen Bewohnern. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Dokumentation und Erzählfilm: Zunächst wird eine unbelebte „Naturbühne“ voller rauchender Vulkanschlote und glucksender Moraste etabliert, bevor die ausgewachsenen Flamingos in Scharen an den Ort ihrer Geburt zurück kehren. Die ersten Bildfolgen konstruieren einen von kraftvoller Perkussion getragenen Balztanz zuckender Krummschnäbel und einem flimmernden Wald von rosa Stängelbeinen. Aus dem Gewimmel des Federviehs, das Matthew Aeberhard und Leander Ward in einer reizvoll choreografierten Sequenz wie eine Ballettformation agieren lassen, pickt sich die Kamera im Filmverlauf Individuen heraus, um den Zyklus von Geburt und Tod nachzuerzählen. Gegen ein bisschen „Pink Porno“ ist auch nichts einzuwenden. Dabei wird suggeriert, dass das in jenem Akt gezeugte weibliche Küken dasselbe Tier ist, das vom Schlüpfen über die ersten wackligen Gehversuche bis zum Jungfernflug über den See zur Protagonistin der Geschichte wird. Dennoch wird der Bogen der Vermenschlichung nicht überspannt. Die Schallmauer zum Kitsch durchbrechen die Flamingos allein im emotionalen Höhepunkt des Films, wenn zur Flugsequenz die Geigen jauchzen, als würde im nächsten Augenblick Robert Redfords Doppeldecker aus „Jenseits von Afrika“ (fd 25 508) durchs Bild schweben. Auch der Kommentar – der den Bildinhalt generell allzu oft verdoppelt – läuft hier aus dem Ruder. Ansonsten entgeht der Film der Gefahr, lediglich eine rosa Revue und daunenweiche Coming-of-Age-Story zu sein; er unterschlägt nicht die Grausamkeit, mit der die Schwachen im natürlichen Lebensraum ausgegrenzt und ausgemerzt werden. Noch vor den Schakalen und Fischadlern erfüllen vor allem die Marabus – mit ihrer buckligen Gestalt und Schnäbeln wie Schlachtermessern – die Schurkenrolle. Man zuckt zusammen, wenn die gedrungenen Jäger sich blitzschnell das eine oder andere Flamingoküken schnappen. Ins Gedächtnis der kleinen Zuschauer dürften sich jene Szenen noch viel nachhaltiger einbrennen, in denen gezeigt wird, wie sich der wenige Zentimeter tiefe Natronsee selbst gegen die Tiere wenden kann. Manches Küken irrt zu lange abseits der festen Salzflächen im alkalischen Wasser herum. Dabei wickeln sich dicke Manschetten aus Salzkristallen um seine Beine; das Tierchen findet aus der mörderischen Brühe nicht mehr heraus, ist bald über und über mit Salz überzogen und dem Tod geweiht. In solchen Momenten der Agonie wird das abschätzige Urteil des Forschers Leslie Brown, der See sei „stinkend“ und „scheußlich“, um einiges verständlicher. Auf einer weiteren Ebene deutet Browns allzumenschliche Abneigung gegen diese (filmisch allerdings sehr ergiebige) Landschaft aber an, warum die Zwergflamingos, die sich von den Blaualgen des Sees ernähren, weitgehend unbehelligt leben: Menschen sind ihrem Lebensraum bisher fern geblieben. Der Natronsee ist das einzige Brutgebiet, das die Tiere in Ostafrika haben. Wie lange noch? Das ist die Frage, die ein Film wie „Das Geheimnis der Flamingos“ zwar provozieren, aber nicht beantworten kann.
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