Das Kinoplakat und die damit einhergehende Werbung für „12 Meter ohne Kopf“ verheißt nichts Gutes, allenfalls deutschen Abenteuerklamauk um die legendäre norddeutsche Seeräubergestalt Klaus Störtebeker (geb. um das Jahr 1360), aufbereitet im Stil von „Fluch der Karibik“
(fd 36 113), womöglich noch „gewürzt“ mit Gags und Kalauern im filmischen Brackwasser anderer Trendfilme – quasi „Klausi und die starken Männer“. Doch nichts von alledem erwartet einen, und es wird sich vielleicht sogar als Bumerang für diesen „handfesten“, höchst unterhaltsamen Abenteuerspaß erweisen, dass er das Publikum auf dem falschen Fuß erwischt. Auch hat Sven Taddickens Film absolut nichts mit handelsüblichen Fernsehmehrteilern wie etwa „Störtebeker“ von Miguel Alexandre (2006) zu tun; er meidet vielmehr souverän jedes flache, familienkompatible Pathos einer Piratenfilm-Kopie, ebenso wie vordergründiges, im Computer generiertes (Pseudo-)Hollywood-Flair. Nein, „12 Meter ohne Kopf“ ist eine durch und durch eigene, „handgestrickte“ Abenteuer-Legende, eine Rock’n’Roll-Fantasie in aufwändig und akribisch rekonstruiertem spätmittelalterlichem Ambiente, zudem eine lustvolle Spekulation über Leben, Denken und Wirken einer Hand voll „Halbstarker“, die ebenso wild und rücksichtslos wie naiv und beinahe kindlich gegen die Ordnung und das Kapital, gegen die Obrigkeit und jede Form von administrativer Einengung rebellieren; junge „Outlaws“, die raufen und saufen, die plündern – und töten.
Für eine solche Art anarchisch-impulsiven Freiheitsdrangs, der deutlich an modernere Epochen gemahnt, bedarf es fast zwangsläufig einer entsprechend aufmüpfigen Rock-Musik (u.a. von The Clash) – und eines ganz und gar gegenwartsbezogenen Sprachsystems voller flapsiger Alltagsformulierungen und Floskeln, die in ihrem Gebrauch deutlich dem zeitgenössischen Sprachgebrauch entstammen. Das wirkt im Kontext des historischen Ambientes zwar oft auch als komischer Anachronismus, ist aber vor allem eines: ein erstaunlich gut funktionierende Brücke zwischen Historie und Gegenwart.
Sven Taddicken („Emmas Glück“, fd 37 744) nutzt die Legende von Klaus Störtebeker, der Ende des 14. Jahrhunderts an der Ost- und Nordseeküste als ein Anführer der Likedeeler sein Unwesen als Seeräuber getrieben haben soll und im Herbst 1401 von den angefeindeten hanseatischen „Pfeffersäcken“ enthauptet wurde, im Kern für eine pralle Freundschaftsgeschichte im Widerschein eines Zeitenwandels hin zur „(früh-)kapitalistischen“ Moderne; denn Störtebekers Geschichte ist auch die seines besten Freundes, Bundesgenossen und Vertrauten Gödeke Michels, der im existenziellen Ringen um einen Lebenssinn die andere Seite ein und derselben Medaille ist. Als Störtebeker bei einer Kaperfahrt schwer verletzt wird und faktisch eigentlich tot sein müsste, setzt bei dem bis dahin allseits gefürchteten und respektierten Piraten unumkehrbar ein Gesinnungswandel ein: Störtebeker erkennt, dass er plötzlich Angst um sein Leben hat und er sich immer mehr Gedanken über Sinn und Unsinn seines räuberischen Handelns wie seiner bisherigen Existenz macht.
Als noch die Liebe im kleinen ostfriesischen Seehafen Marienhafe dazu kommt, kriselt es umso mehr: Die frühen, gemeinsam mit Michels ausgesponnenen Träume von Rebellion, Umsturz und ungezügelter Freiheit machen bei Störtebeker dem bürgerlichen Wunsch nach einem festen Ort im Leben, nach Geborgenheit und nach Liebe Platz. Womit sich das Verhältnis zu Gödeke Michels polarisiert: Voller Vertrauen auf ihre unverbrüchliche Freundschaft, will Michels die vermeintlich nur kleine Existenzkrise Störtebekers mit immer brachialeren Aktionen überspielen; doch die Mannschaft meutert, versagt zwei so unterschiedlichen Kapitänen die Gefolgschaft und trägt zu massiven Autoritätskonflikten bei. Da funktionieren weder behutsame Gruppen- und Gesprächstherapien noch die Entdeckung einer Kanone aus dem fernen Orient, mit der man die Koggen der handelstreibenden Kaufleute auf den Meeresboden schickt – freilich nur vorübergehend, denn die Mächtigen, allen voran der schmierig-geschmeidige Simon von Utrecht, rüsten nach und reagieren knallhart.
Das alles ist in keinem Moment dröges und papierenes Betroffenheitskino deutscher Provenienz, sondern ein höchst vitales Beispiel für lustvolles, amüsantes und unbekümmert mutiges Genre- und Ausstattungskino mit Substanz, das vor allem so gut funktioniert, weil man tatsächlich den Wind und die Wellen zu spüren scheint und eine Art „Spirit“ diese Kinofantasie durchweht. Es macht Spaß, den Schauspielern bei ihrer Arbeit zuzusehen und zu verfolgen, wie sie sich austoben, spielerisch einen Weg zwischen Komik und Ernsthaftigkeit bahnen und deutlich Freude haben an diesem legendenbildenden Seemannsgarn, das Sven Taddicken mit kraftvollen Strichen ausspinnt. Am Ende ist man tatsächlich froh, dass es im hohen Norden Deutschlands solch fulminante Sagen wie jene der Vitalienbrüder gibt – wozu braucht man da noch Hollywood?