Materialreicher Dokumentarfilm über die Geschichte der Hölle, mit dem Rosa von Praunheim persönliche Jugendtraumata aufarbeiten will. Theologen, Kulturwissenschaftler, Fundamentalisten und Religionskritiker zeichnen im Gespräch mit dem Regisseur die Umrisse eines konfessionsübergreifenden Topos nach, der auch in der Moderne virulent geblieben ist. Allerdings begnügt sich der Film mit der additiven Anhäufung von Bildern, Texten und Theorien, ohne selbst eine klare Position zu beziehen.
- Ab 16.
Rosas Höllenfahrt
Dokumentarfilm | Deutschland/Niederlande 2009 | 90 Minuten
Regie: Rosa von Praunheim
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Niederlande
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Rosa von Praunheim Filmprod./ZDF/ARTE/BOS
- Regie
- Rosa von Praunheim
- Buch
- Rosa von Praunheim
- Kamera
- Elfi Mikesch
- Musik
- Andreas Wolter
- Schnitt
- Mike Shepard
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Was hat Rosa von Praunheim wohl umgetrieben, einen Dokumentarfilm über die Hölle zu machen? Eingangs nennt er seine „streng katholische“ Herkunft und das damit verbundene Verdikt, als praktizierender Homosexueller im Höllenfeuer zu schmoren. In seiner eigenwilligen, zwischen Pathos und Ironie changierenden Diktion spielt er auf sein Alter – er ist 67 – an, das ihm Fragen nach seinem jenseitigen Schicksal, insbesondere die nach dem Jüngsten Gericht, aufdränge. Eine erste kursorische Bestandsaufnahme fördert Widersprüchliches zu Tage: Während der Pfarrer im Beichtstuhl beschwichtigt, dass Sex und Onanie nicht mehr im Mittelpunkt kirchlichen Sündenverständnisses stünden, listet ein aktueller Beichtspiegel für Erwachsene „Mord, Folter, außerehelichen Geschlechtsverkehr und Homosexualität“ als Todsünden auf, die laut Katechismus ewige Verdammnis nach sich ziehen. Unterwegs auf dem Katholikentag 2008 in Osnabrück oder in Berliner Gemeinden, liest von Praunheim manche kuriose Meinung auf. Doch mit den innerkirchlichen Differenzen zwischen liberalen und konservativen Kräften will er es nicht bewenden lassen. Er stürzt sich vielmehr in eine ausgreifende kultur- und ideengeschichtliche Recherche, die ihn vom Gilgamesch-Epos bis zum Pfarrer von Ars führt und auch bei den anderen Weltreligionen Station machen lässt. Denn Himmel und Hölle sind konfessionsübergreifende Topoi, auch wenn man im Judentum höchstens ein Jahr lang in der „Gehenna“ darbt. Ein Imam beschreibt die muslimische Hölle als läuterndes Sanatorium, der Buddhismus zählt 32 verschiedene Höllen, allesamt aber nur Stationen auf dem langen Weg ins Nirvana – nur das Christentum beharrt auf ewigen Höllenqualen.
Zu filmischem Leben erweckt werden diese konzentrisch ausgebreiteten Ansichten insbesondere durch szenische Miniaturen, die mal als groteske (Höllen-)Fantasien, in der Regel aber als Lesung einschlägiger Texte gestaltet sind. Unter den Mitwirkenden, die aus der Bibel, Vergils „Aeneis“ oder Dantes „Göttlicher Komödie“ rezitieren, befand sich auch Melek Diehl, eine deutsch-türkische Schauspielerin, die nach den Dreharbeiten von einem Auto überfahren wurde. Ihr jäher Tod veränderte von Praunheims Fragehorizont, der von da an im Film nach der Seele forscht. Seine Gewährfrau ist die Kultursoziologin Viola Altrichter, die materialreich und mit feministischem Akzent die Entwicklung antiker Seelenvorstellungen von den Sumerern bis in die römische Kaiserzeit nachzeichnet. Doch erst mit dem Philosophen Hartmut Böhme und den Bildern eines Hieronymus Bosch bzw. den Dante-Illustrationen von Gustave Doré scheint die eigentliche Ebene der Auseinandersetzung erreicht: die mittelalterlichen Strafandrohungen des „Dies ira, dies illa“ mit seinen sadomasochistischen Horrorfantasien und sexuellen Unterströmungen, aus denen die Inquisition Jahrhunderte lang ihre Rechtfertigung schöpfte. Statt hier Position zu beziehen und eigene Thesen zu wagen, begnügt sich von Praunheim mit additiven Materialanhäufungen und Böhmes gewagtem Umkehrschluss, dass der Ursprung des Christentums in der Demütigung des Kreuzes sich in den mittelalterlichen Straf- und Leidensexzessen ins Gegenteil verkehrt habe – obwohl doch zuvor schon die Rede davon war, dass ägyptischen Höllenvorstellungen kaum weniger grausam ausfielen. Schwerer wiegt, dass der Film nach kurzen chronologischen Schlaglichtern auf Aufklärung und Humanismus unvermittelt in die Gegenwart springt, zu evangelikalen Kreisen, in denen „Stalingrad“ vor „KZ“ rangiert, wenn es darum geht, irdisches Leiden von der Höllenqual abzugrenzen, und ultrakonservatives Denken mit dem Hinweis gerechtfertigt wird, dass das Christentum schließlich „keine nette Religion für Spießbürger“ sei. Ergänzt durch Statements von Uta Ranke-Heinemann, der norwegischen Black-Metal-Band „Gorgoroth“ und Bildern vom schwulen Berliner „HustlaBall“, trudelt „Rosas Höllenfahrt“ vollends ins analytische Niemandsland. Es mag sein, dass die Dreharbeiten von Praunheim viel Neues erschlossen und ihn vielleicht sogar mit seiner früheren Vita ausgesöhnt haben; und sicherlich bietet die aufwändige Sammlung für all jene einen reichen Fundus, die sich mit historischen Aspekten des Themas beschäftigen. Doch mehr als die lapidare Erkenntnis, dass sich in den Höllenbildern menschlich-männliche Bedürfnisse nach Gewalt, Schmerz und dem Bösen spiegeln, sollte man nicht erwarten.
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