Bildgewaltiger Anti-Kriegsfilm, der den Unsinn des in die Sackgasse geratenen Krieges zwischen der türkischen Armee und kurdischen Freischärlern metaphorisch und nach einer authentischen Vorlage am Beispiel einer auf einem Berggipfel stationierten Einheit beschreibt. Stellenweise mit seinen eindrucksvollen Bildern und seiner wuchtigen Musik fast schon etwas zu spektakulär inszeniert, prägt sich die monumentale Poesie des Films dennoch ein. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
Der Atemzug: Lang lebe das Vaterland
- | Türkei 2008 | 124 Minuten
Regie: Levent Semerci
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Filmdaten
- Originaltitel
- NEFES: VATAN SAGOLSUN
- Produktionsland
- Türkei
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Fida Film/Creavidi
- Regie
- Levent Semerci
- Buch
- Mehmet Ilker Altinay · Levent Semerci
- Darsteller
- Ozgur Eren Koc (Resul) · Baris Bagci · Mete Horozoglu · Ilker Kizmaz · Engin Hepileri
- Länge
- 124 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
Diskussion
Das Vaterland wird in 2365 Meter Höhe verteidigt: Hier, auf dem Gipfel des Berges Karabal, irgendwo in der Region um die Stadt Van im Südosten der Türkei, hat eine 40-köpfige Einheit mit Wehrpflichtigen Posten bezogen. Ihr gegenüber liegen die „Terroristen“ – Freischärler, die sich um einen Medizinstudenten scharen, der „Doktor“ genannt wird. „Der Atemzug: Lang lebe das Vaterland“ porträtiert den Kampf um die Felsenwüste als bildstarke, hochemotionale Metapher über einen unsinnigen, 30 Jahre andauernden Krieg. Der erste lange Spielfilm des bisher vor allem als Regisseur von Werbefilmen in Erscheinung getretenen Levent Semerci wird von einer wuchtigen Bildsprache getragen, deren Wirkung man sich kaum entziehen kann – weder den Totalen des in klirrender Kälte über den Wolken gelegenen Stützpunktes, noch den mit Gespür für psychologische Feinheiten inszenierten Nahaufnahmen der Protagonisten. Hier entstand eine technisch perfekte Großproduktion nach einer authentischen Vorlage. Diese stammt von Drehbuch-Co-Autor Hakan Evrensel, der 1991 selbst auf dem Gipfel des 2800 Meter hohen Kato-Berges als Rekrut eingesetzt war. Seine Erinnerungen hat der Berufssoldat und spätere Journalist in dem Erzählband „Geschichten aus dem Südosten“ protokolliert.
Evrensels Aufzeichnungen handeln von dem schmalen Grat zwischen soldatischer Disziplin und sadistischem Wahnsinn, zwischen dem Zwang zum Durchhalten und Verzweiflung, und immer wieder von der Sehnsucht nach dem normalen Leben, nach Freundin und Familie. Im Film, vor allem im Finale, das in einem alles zerstörenden Blutbad endet, wird besonders oft nach der „Mama“ gerufen – eine angesichts des unwirtlichen Höhengrats geradezu groteske Vorstellung. In der zwischenmenschlichen Groteske liegt denn auch die eigentliche Stärke des Films, der mit dem donnernden Appell des Truppführers beginnt, in dem er den Soldaten ihren eigenen Tod voraussagt: „Leben deine Eltern noch? Ihnen schicken wir deinen Sarg. Sie werden euch das Blut abwaschen, dann wickeln sie eure Särge in die Landesfahne.“ Markige Einführungsworte eines Kommandanten, dessen innerer Monolog sich im weiteren Verlauf zu einer schizophrenen Saga zwischen Poesie, Zynismus und selbstzerstörerischem Rachetrieb entwickelt. So dürfte Evrensel in seiner Stellung den Unsinn des Krieges erkannt haben: als todessehnsüchtiges Perpetuum mobile, als Revierkampf, der in der Isolation der Felsenwüste zur Privatfehde zwischen zwei Fanatikern wird. Am Ende liegen die Leichen des Kommandanten und des „Doktors“ ineinander verhakt und blutüberströmt auf dem Boden.
Wie die literarische Vorlage beleuchtet auch der Film die Vorkommnisse aus patriotischer Perspektive. Zuschauer, die diese Parole „Lang lebe das Vaterland“ allzu ernst nehmen, kommen dabei jedoch nicht auf ihre Kosten. Semerci widmet den Film nicht dem „Vaterland“, wie etwa „120“ (fd 38725), sondern „den Hinterbliebenen“. Sein Krieg erzeugt keine Helden, sondern Wahnsinnige. Damit tritt er in die Fußstapfen US-amerikanischer Vietnam-Klassiker. „Der Atemzug“ ist eine Selbstkritik an einem in die Sackgasse geratenen „gerechten Krieg“, der zu Selbstzerstörung und Bruderkrieg verkommen ist. Vielleicht ist die monumentale Poesie, mit der Semercis Bilder daherkommen, dafür zu schön, vielleicht sind die Sehnsüchte der Männer in der Baracke ein wenig zu sentimental und ist die Musik ein Stück zu wuchtig – sehenswerte Bilder, die im Gedächtnis und sicherlich auch in der türkischen Filmgeschichte haften bleiben, produziert der Film allemal.
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