Auch Boshaftigkeit ist eine Begabung. Wo sie sich nicht äußert, wo Brüllen und Schlagen sich verbieten, kommt die Sprache als hintergründige Äußerung in Frage. Im Fall der befreundeten Mittvierziger in Danièle Thompsons Gesellschaftskomödie ist es nicht nur sozial erfreulich, dass sie beim gemeinsamen Abendessen ausgiebig zu Wort kommen, ihre Ängste hinter guter Laune und gezielt ausgebreiteten Erfolgsmeldungen verbergen und so nicht zum Amokläufer mutieren. Das von eloquenten Gemeinheiten strotzende Stimmenfestival ist auch filmisch ein Gewinn. Jede winzige Spur der Maskerade registriert die Regisseurin in wechselnden Stimmungstupfern und staunenden Kamerablicken, in denen sich wie von selbst die Wahrheit einer Diktatur des Scheins verfängt.
Es ist der 21. Juni, und auf den Straßen von Paris feiert man die Fête de la Musique. Die Scheidungsanwältin ML und ihr seit kurzem arbeitsloser Gatte Piotr, selbsternannter Gourmet polnischer Herkunft, geben eine Dinnerparty in ihrer frisch eingerichteten Wohnküche. Ein Architekt, ein junger Mann, der während seiner Arbeit an der Küche eine Affäre mit ML begonnen hatte, ihre Schwester mit dem 30 Jahre älteren Freund, ein Ärztepaar, MLs Tanzlehrerin und ein prominenter Strafverteidiger samt Ehefrau sind die Gäste. Das scheinbar gesellige Zusammensein wird schnell zum Katalysator für Beziehungsprobleme aller Art, die sich in einem Konzert aus subtilen Sticheleien und weniger zurückhaltenden Kommentaren entladen. Manches Paar führt seinen Ehekrieg über gesellschaftliche Codes hinweg. Da helfen auch keine höflichen Floskeln, die Provokationen und Enthüllungen aus den Untiefen von Therapiestunden mit adrettem Schein versehen sollen. Thompson begnügt sich nicht mit dieser kammerspielartigen Grundkonstellation. Sie lässt die Spannungen in einem sich über Monate hinziehenden Handlungsstrang anschwellen. Als ML ein Jahr später das Dinner mit den gleichen Gästen wiederholt, haben sich nicht nur die Frisuren, sondern auch die zwischenmenschlichen Konstellationen verändert. Der Reigen um Lügen, Verstellungen und ungeahnte Geheimnisse nimmt erneut seinen Lauf.
Der gut geölte und stimmig besetzte Ensemblefilm setzt ganz auf die klassischen Elemente der in Frankreich seit Marivaux so beliebten Sittenkomödie: Er betrügt sie, die einen anderen liebt. Trotz dieser eher einschränkenden Vorgaben gelingt es Thompson mit leichter Hand, vom Fiasko der besten Absichten zu erzählen, vom Liebesleid heutiger Großstädter, die verzweifelt alle Energie darauf verwenden, die Fassade aufrecht zu erhalten. Sie ist klug genug, um ihr neurotisches Personal mit Komplexität und Nuancen anzureichen, wenn sich hinter unsympathischen Zügen tiefe Wunden und hinter der Zynikermaske eine lange gehütete Menschlichkeit verbergen. Anders als das Vorbild Chabrol kommt sie ohne das Mittel der Karikatur aus, lässt jedem die Chance zur Entwicklung und platziert hinter den scharfzüngigen Dialogen einige gut abgehangene Lebensweisheiten. Schade nur, dass der deutsche Verleihtitel mal wieder verharmlosend dazwischen funkt. „Affären À La Carte“ als Entsprechung des vieldeutigen französischen „Le code a changé“ beleidigt die Erwartungen an eine intelligente und dennoch vergnügliche Komödie, die keinerlei verhüllender Posen im Titel bedarf.