Ein Eldorado ist es wahrhaftig nicht, das Belgien des Bouli Lanners, das der dürre Streuner Elie und der wohlbeleibte Oldtimer-Händler Yvan bis zur französischen Grenze durchqueren. Das einzige, was in der wallonischen Landschaft noch goldgelb glänzt, sind die weiten Rapsfelder, eingefangen in bestechenden Scope-Totalen und rockig-westernesken Gitarrenklängen. Der belgische Regisseur und Drehbuchautor Lanners hat mit „Eldorado“ einen europäisierten Western und mit Elie und Yvan ein umgemodeltes „Laurel & Hardy“-Duo geschaffen, das lakonisch und mit unfreiwilligen Poesie-Anwandlungen dem schwarzen Humor seines gemächlichen Road Movies begegnet. Dabei verheißt schon die erste Begegnung der beiden einen für das Genre untypischen Stillstand: eine Patt-Situation, in der statt Spitzhacke und Revolver ein Kompott-Glas voller Münzgeld und ein Hockey-Schläger die Szenerie beherrschen. Völlig erschöpft und den Schläger griffbereit, lauert Yvan eines Feierabends vor seinem Bett. Dorthin verkroch sich der auf frischer Tat ertappte und angeblich bewaffnete Einbrecher Elie mit seiner mickrigen Beute. Elie ist ein Junkie, wie er im Buche steht: abgemagert, fahrig und verhuscht. Für sein behäbiges Pendant Yvan handelt es sich um einen klaren Fall von Beschaffungskriminalität, doch Elie schwört, seit zwei Wochen clean zu sein. Sein einziges Begehren: ein Bus-Ticket zu seiner Mutter an der belgisch-französischen Grenze. Zähneknirschend packt Yvan den jungen Mann auf den Beifahrersitz seines himmelblauen 79er-Chevrolet und fährt los. Yvan, der seinen kleinen Bruder wegen einer Überdosis Heroin verlor, schließt Elie ins Herz und glaubt an ihn, genauso wie er zuvor starrköpfig und einsilbig gegen seine Arbeitskollegen für einen wettkampf-untauglichen „Ami-Schlitten“ argumentierte.
Der fahrige Elie mit der roten Baseball-Kappe und der kurzbehoste Yvan mit der stoischen Gelassenheit wirken wie zwei aneinander haften gebliebene Magnete, die durch surreal bebilderte und bevölkerte Landschaften rollen und dabei unweigerlich all deren verfügbare Skurrilitäten auf sich ziehen. Sie treffen auf einen alten Mann, der Autos mit Beulen von angefahrenen Verkehrsopfern sammelt und Yvan prophezeit, dass er über Gräber wandeln werde. Die beschwipste Weiterfahrt endet trotz „ausgeklügelter“ Weckhilfe, bestehend aus dem an der Wagendecke angeklebten Haarschopf des übermüdeten Fahrers, im Sekundenschlaf-Crash. Ein Nudisten-Pärchen im Camper erweist sich als Retter in der Not, und als den beiden unter einer Brücke ein Dobermann mit zusammengebundenen Pfoten aufs Autodach knallt, soll dieser mittels „goldenem Schuss“ von seinem Leiden erlöst werden. Lanners Antihelden scheinen ihrer absurden Umwelt nur mit noch wahnwitzigeren Einfällen begegnen zu können. Wie zwei Traumwandler begeben sie sich auf einen tückenhaften Weg zum Glück, bis ihnen im bürgerlichen Eldorado von Elies Eltern die erdrückende Realität ihres sozialen Außenseitertums unter die Nase gerieben wird. Der Eigenbrötler und der Junkie raufen sich zusammen, schweigen sich hartnäckig an und können sich nur langsam und mit gegenseitiger Hilfe von ihren Grundbedürfnissen, der Einsamkeit und dem Heroin, verabschieden.
Mit glaubwürdig dosierten Pleiten und Pannen inszeniert Lanners seinen zweitägigen Road-Trip durch ein Land, das man eigentlich in zwei Stunden durchquert hat. Minimalistisch und zurückhaltend wird die ungewöhnliche Freundschaft als Äquivalent eines schmerzhaft verloren gegangenen, schützenden Geschwisterverhältnisses porträtiert, das sich nie aus seinem Irrwitz befreien kann und will und sich zunächst noch Schritt für Schritt hoffnungsvoll fortentwickelt. Leichthändig hält Lanners dabei die Balance zwischen absurder Komik und Tragik und versetzt die Zuschauer damit in eine ähnlich gelassen melancholische Stimmung, wie sie seine kongenial verkörperte Hauptfigur Yvan zur Schau trägt. Elie und Yvan suchen in dieser unaufgeregt vorgetragenen Erzählung lediglich jemanden zum Festhalten, während farbenkräftige Anbauflächen und tiefgrün aufragende Baumwipfel an ihren Autoscheiben vorüberziehen. Diese Naturerfahrung stilisiert Lanners zum Sinnbild einer morbiden, aber verheißungsvollen Freiheit, zum Gegensatz des Molochs Großstadt, der Elie untergehen ließ und in dem der Film gegen Ende einen 180-Grad-Haken schlägt. Selbst zu diesem Zeitpunkt verliert sich „Eldorado“ nicht in Rührseligkeit; vielmehr wird über Yvan ein unabänderliches, ermutigendes Muss zur Fortbewegung vermittelt – auf der Strecke wie im Leben. Zu sehr sind die Figuren mit ihrer Einsamkeit und Verlorenheit verwachsen, als dass man den schon zuvor anschwellenden Determinismus nicht als natürliche, finale Konsequenz ansehen könnte. Alles andere hätte den berührenden Film auch seiner tief menschlichen Kraft und seinen Titel der trügerisch viel versprechenden Bedeutung beraubt.