Eine junge Peruanerin leidet an mysteriösen Krankheitssymptomen, in denen sich nach Überzeugung der Indios die Traumata niederschlagen, die ihre Mutter während des Bürgerkriegs erlitt. Nach dem Tod der Mutter möchte sie Geld auftreiben, um diese in ihrem Heimatdorf bestatten zu können - was einen steinigen Weg hinaus aus den vererbten Ängsten bedeutet. Das magisch-realistische, ruhig erzählte Porträt begleitet die Entwicklung seiner Hauptfigur ebenso anteilnehmend wie diskret und verknüpft das Gespür für starke symbolisch-metaphorische Bilder mit der aufmerksamen Beobachtung des Alltagslebens in der peruanischen Hauptstadt Lima.
- Sehenswert ab 16.
Eine Perle Ewigkeit
Drama | Spanien/Peru 2009 | 97 Minuten
Regie: Claudia Llosa
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- LA TETA ASUSTADA
- Produktionsland
- Spanien/Peru
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Vela Prod./Oberón Cinematográfica/Wanda Visión
- Regie
- Claudia Llosa
- Buch
- Claudia Llosa
- Kamera
- Natasha Braier
- Musik
- Selma Mutal
- Schnitt
- Frank Gutiérrez
- Darsteller
- Magaly Solier (Fausta) · Marino Ballón (Onkel Lucido) · Susi Sánchez (Aída) · Efraín Solís (Noé) · Bárbara Lazón (Perpétua)
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Der Originaltitel von Claudia Llosas Film, „La teta asustada“, bedeutet soviel wie „Die verschreckte Brust“: Die Hauptfigur des Films glaubt, dass sie die traumatischen Erlebnisse ihrer Mutter bereits als Baby aufgesogen hat, in Anlehnung an die Überzeugung der indigenen Bevölkerung Perus, dass böse Erfahrungen über die Muttermilch von einer Generation auf die andere übertragen werden. Nun, als junge Erwachsene, trägt Fausta schwer an diesem Erbe. Welche Schrecken sie belasten, schildert die Exposition des Films, der bei der „Berlinale“ mit dem „Goldenen Bären“ geehrt wurde. In einer schlichten, eindringlichen Sequenz hebt die brüchige Stimme einer alten Frau in der Inkasprache Quechua zu einem Sprechgesang an, in dem sie in drastischer Offenheit schildert, wie sie während des Bürgerkriegs von marodierenden Kämpfern vergewaltigt und zur Fellatio an ihrem ermordeten Mann gezwungen wurde. Die Bilder zeigen die schwache Greisin auf einem Bett in einem ansonsten kahlen Zimmer liegen; bei ihr ist die Tochter, die sie umsorgt und die, ebenfalls in einem Sprechgesang, der Erzählung der Mutter antwortet. Schließlich stirbt die Mutter und hinterlässt ihren Schmerz der Tochter, bei der er sich in Form quälender Ängste manifestiert. Claudia Llosa, die Nichte des Schriftstellers Mario Vargas Llosa, findet dafür ein vieldeutiges Motiv: In Faustas Vagina steckt eine Kartoffel, die potenzielle Vergewaltiger abschrecken soll. Ein „Versiegelung“ des Traumas, allerdings mit Nebenwirkungen, denn die Knolle verursacht in Faustas Körper Entzündungen und behauptet darüber hinaus ein hartnäckiges Eigenleben: Sie keimt, weshalb Fausta regelmäßig die Triebe kappen muss, die aus ihr herauswachsen.
Von diesem Ausgangspunkt aus verfolgt die Filmerzählung Faustas schwierigen Weg in eine Zukunft, in der sie die Dämonen der Vergangenheit abschütteln kann. Die Familie von Faustas Onkel, bei der die junge Frau wohnt, lebt vom Ausrichten von Hochzeiten und hat in Faustas Cousine selbst eine junge Braut im Haus, was dem Film die Gelegenheit bietet, ausgiebig die entsprechenden Feierlichkeiten zu beobachten und dem Leiden an der Vergangenheit die ungebrochene Vitaliät der Menschen entgegenzusetzen. Bevor der große Tag seiner Tochter ansteht, möchte der Onkel, dass Fausta für die Beerdigung ihrer Mutter Sorge trägt. Da Fausta die Tote in ihrem Heimatdorf beisetzen will, was teure Transportkosten verursacht, muss sie allerdings zunächst Geld auftreiben. So nimmt sie trotz ihrer Phobie, alleine das Haus des Onkels zu verlassen, einen Job als Hausmädchen in der Villa einer wohlhabenden weißen Pianistin an. Diese lauscht zufällig Faustas Gesang, als sie bei der Arbeit ein Volkslied vor sich hin singt, und bietet dem Mädchen die Perlen einer kaputten Kette als Preis für weitere Lieder an. Fausta lässt sich auf den Handel ein.
Mit der Frage, ob es rechtzeitig gelingen wird, die nötigen Mittel für das Begräbnis auftreiben, hat der Film einen dramaturgischen Fokus; dieser dient allerdings weniger als Mittel zum Spannungsaufbau denn als lose gesponnener roter Faden für eine Entwicklungsgeschichte, die an den Befindlichkeiten der Figuren mehr als an einer zielgerichteten Handlung interessiert ist. Entsprechend nimmt sich Llosa viel Zeit für ruhige Einstellungen und Passagen, in denen es zum einen Faustas frappierendes, enigmatisches Gesicht und ihre Körpersprache zu studieren gilt und die darüber hinaus Schlaglichter auf das Alltagsleben in der peruanischen Hauptstadt Lima werfen. Auf Rückblenden in die Zeit des Bürgerkriegs zwischen Regierungstruppen und der maoistischen Guerilla-Organisation „Leuchtender Pfad“, dem von 1980 bis 2000 etwa 70.000 Menschen zum Opfer fielen, verzichtet Llosa ebenso konsequent wie auf Erläuterungen zu dem Konflikt. So eng ihr Film aufgrund seiner magisch-realistischen Einbettung an Peru bzw. Lima gebunden ist, so allgemeingültig ist er in seinem Umgang mit den Kriegsgräuel; hier geht es nicht um politische Aufarbeitung, sondern um die Frage, wie für die von Gewalt traumatisierten Menschen ein Weiterleben möglich ist. Politisch wird der Film eher, wenn es um die Begegnung der jungen Indio-Frau aus dem Wellblechhüttenviertel mit der weißen „Madame“ in der Villa geht: Zwar trifft Fausta in der Musikerin jemanden, der ihr auf eine aufmerksame Art zuhört, wie es ihr in ihrer lebhaften Familie kaum zuteil wird; doch satt echter Anteilnahme offenbart sich dahinter ein eigensüchtiges Interesse sowie alte Ausbeutungsstrukturen, wenn sich die Künstlerin die Lieder der indigenen Dienerin „aneignet“, die Melodien in ihr eigenes Konzert einbaut und den Ruhm ganz für sich einstreicht. Darin mag sich vielleicht auch eine kritische Selbstreflexion der Regisseurin andeuten; die Sensibilität, mit der sie den Spannungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen den sozialen Milieus und den Ethnien nachspürt, spricht allerdings von einer wesentlich anderen Haltung, als sie die ambivalente Figur der Musikerin an den Tag legt.
Kommentar verfassen