Dokumentarfilm | Großbritannien 2008 | 76 Minuten

Regie: Isaac Julien

Porträt des (Film-)Künstlers Derek Jarman (1942-1994), inszeniert als Erinnerungspuzzle aus Interviews, Filmausschnitten sowie privaten und historischen Aufnahmen, strukturiert durch Tilda Swintons "Letter to an Angel" als Off-Text. Der Film eröffnet tiefe Einblicke in Jarmans Gedankenwelt und entwirft die Chronologie eines Lebens, das Intimes und Öffentliches nicht trennte, sondern stark von den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 1970er- und 1980er-Jahre in England geprägt war. Die (von der Dokumentation etwas zu unkritisch adaptierte) kämpferische Haltung und die Selbstbespiegelungen des Künstlers mögen heute an Brisanz verloren haben, dennoch beeindrucken vor allem die Ausschnitte aus Jarmans Super-8-Arbeiten als Zeugnisse einer nahezu unerschöpflichen Kreativität. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DEREK
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Normal Films
Regie
Isaac Julien
Buch
Tilda Swinton
Kamera
Nina Kellgren
Musik
Simon Fisher Turner
Schnitt
Adam Finch
Länge
76 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl.)
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Diskussion
In den 1980er-Jahren kam kein Programmkino um Derek Jarman herum. Neben Peter Greenaway genoss der 1942 geborene britische Maler, Autor, Gärtner, unabhängige Filmemacher und Ikone der Schwulenbewegung Kultstatus innerhalb des Arthouse-Kinos. Greenaway überschritt irgendwann den Zenit und fiel mit seinen postmodernen, barock überladenen Gesamtkunstwerken bei Kritik und Publikum in Ungnade. Jarman starb 1994 an AIDS und geriet erstaunlich schnell in Vergessenheit. Für seine Muse und langjährige Lieblingsschauspielerin Tilda Swinton Anlass genug, um mit der von ihr mitproduzieren Dokumentation dem Freund zu huldigen, der in seinem letzten BBC-Interview auf die Frage, wie er in Erinnerung behalten werden möchte, sein bitteres Schicksal scherzend und doch auch prophetisch vorwegnahm: „Ich möchte am liebsten völlig verschwinden. Mich auflösen mit all meinen Werken.“ Tilda Swinton, die in „Derek“ ungeschminkt, in einer betont unglamourösen Aufmachung und mit einem ernsthaft nachdenklichen Gesichtsausdruck durch das heutige London spaziert, kommentiert dieses Verschwinden aus dem Off als „kollektive Amnesie“: „Es hat sich schon fast so angefühlt, als wären wir vorübergehend einer kulturellen Säuberung anheim gefallen – sehr seltsam, bis zu einem gewissen Grad sehr undurchschaubar und zugleich sehr real. Erst als ich 2002 den ,Brief an Derek’ geschrieben habe, bemerkte ich, dass wir alle so lange stumm gewesen sind. Und ich habe mich gefragt, wieso eigentlich.“ Jarman studierte im „Swinging London“ Malerei, arbeitete als Ausstatter für Ken Russell und griff irgendwann zur Super-8-Kamera. 1976 drehte er mit „Sebastiane“ (fd 38 944) seinen ersten Low-Budget-Spielfilm. Seitdem stand sein Name für Filme, die weniger von der Erzählung als von ihrer Visualität lebten. Zugleich nahmen sie Bezug zur eigenen Zeit. „Jubilee“ (1978) etwa widmete sich dem Großbritannien der späten 1970er-Jahre und beleuchtete mit wüsten, gewalttätigen Straßenszenen die Punk-Revolte im Kontrast zur repressiven Thatcher-Regentschaft. 1986 lief Jarman dann mit seinem Meisterwerk „Caravaggio“ (fd 26 021) zur Hochform auf, einem „malerischen Film“ über einen exzessiv und unkonventionell lebenden Maler. Er drehte Musikclips für The Smiths oder die Pet Shop Boys, widmete sich „Wittgenstein“ (fd 30 645), der Passionsgeschichte eines männlichen Liebespaars in „The Garden“ und kehrte mit „Blue“ (fd 30 686), einer Sehgewohnheiten herausfordernden Hommage an das Blau von Yves Klein, zum Schluss wieder zum Experimentalfilm zurück. Im Endstadium seiner AIDS-Erkrankung fast erblindet, tauchte Jarman die Leinwand in ein tiefes Blau und ließ die Tonspur triumphieren, mit einem Soundteppich aus Musik, Stimmen, Geräuschen, Lyrik, monotonen Aufzählungen von Medikamenten-Nebenwirkungen, Reflexionen über den Bosnien-Krieg und die Kälte des Pflegeheims. Tilda Swintons aus dem Off ertönender und den hypnotisierenden Bilderfluss strukturierender „Letter to an Angel“, ein Brief, den sie acht Jahre nach Jarmans Tod im „Guardian“ veröffentlichte, ist Teil des über weite Strecken meditativen Erinnerungspuzzles von Isaac Julien, auch er ein Ex-Mitstreiter in Jarmans „Factory“. Die inzwischen zum Weltstar aufgestiegene Britin vermisst darin Jarmans „Gegengift zum Disco-Licht des Vermarktbaren“. Der wehmütige und anklagende Text ist zugleich eine Abrechnung mit dem desaströsen Zustand britischer Filmkultur, die unter der Regierungszeit von Tony Blair endgültig ihre internationale Relevanz eingebüßt hat. Anhand einer imposanten Bandbreite von Interview-Auszügen, Filmausschnitten, privaten und historischen Aufnahmen führt Julien in Jarmans Gedankenwelt ein und entwirft die Chronologie eines Lebens, das Privates, Intimes und Öffentliches nicht trennte und von den gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen zweier Jahrzehnte britischer Geschichte geprägt war – und vielleicht gerade deshalb heute mitunter schmerzlich überholt wirkt. Es grenzt schon an Obsession, mit welcher Militanz Jarman im notorisch schwulenfeindlichen England in Interviews immer wieder seine Homosexualität thematisierte und provokativ von seinen Vorlieben und Praktiken sowie vom emanzipatorischen Kampf der Schwulenbewegung berichtete. Von dieser heroischen Vehemenz lässt sich auch „Derek“ anstecken und verliert sich bisweilen in einer ermüdenden Redundanz des immer gleichen Aspekts. Dass jede Aussage sogleich mit Aufnahmen aus Jarmans uferlosem Privatarchiv bezeugt wird, ob als Demonstrant auf der Straße, Unruhestifter, Party-Gänger, wild pinselnder Maler oder Hobby-Gärtner vor der Kulisse des Atommeilers von Dungeness, hinterlässt angesichts dieser offenbar langjährigen narzisstischen und eitlen Selbstinszenierung einen schalen Nachgeschmack. Da hilft auch seine Neigung zur Selbstironie nicht weiter, wenn er sich über die Zehntausende von Besuchern seines Gartens als Pilger von „St. Derek of Dungeness in the wilderness of illness“ lustig macht. Ein Gewinn hingegen sind die vielen Ausschnitte aus den heute nur schwer zugänglichen Super-8-Arbeiten, die im Geist von Andy Warhols Künstlerkommune die Kollektivarbeit preisen, den Vorrang der Kunst vor der Verwertbarkeit als Produkt verteidigen und den Stempel einer betörend kreativen, aber auch fernen Aufbruchstimmung tragen.
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