Reich des Bösen - Fünf Leben im Iran

Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 90 Minuten

Regie: Mohammad Farokhmanesh

Facettenreiche Studie über die iranische Gesellschaft, die an vier persönlich geprägten Fallbeispielen unterschiedliche politische und religiöse Positionen im bürgerlichen Milieu Teherans analysiert. Gegenwart und Zukunft der "condition humaine" im Iran werden kontrovers, aber im Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Perspektiven unter Berücksichtigung islamischer Werte diskutiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
brave new work Filmprod.
Regie
Mohammad Farokhmanesh
Buch
Mohammad Farokhmanesh
Kamera
Resa Asarschhab
Musik
Dariush Taghipour
Schnitt
Frank Geiger
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Um den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ist es in letzter Zeit ruhig geworden. Bis dato hatte sich der Populist jedoch mit fundamentalistischen, nicht selten antisemitischen Tiraden profiliert und damit die hierzulande verbreiteten, abschreckenden Klischees vom islamischen Gottesstaat befeuert. Gleichzeitig leuchteten verschiedene Dokumentarfilmer, beeinflusst vom differenzierten Blick iranischer Filmemacher, unter die Oberfläche, zuletzt Ayat Najafi und David Assmann mit „Football under Cover“ (fd 38 66) in den Alltag einer iranischen Frauenfußballmannschaft. Mit „Im Reich des Bösen“ liefert der in Hamburg lebende Mohammad Farokhmanesh nun weitere wichtige Fragmente zur Betrachtung eines Iran, hinter dessen religiöser Zwangskonformität sich – zumindest in den Städten – eine differenzierte, auch moderne Gesellschaft verbirgt. Farokhmanesh geht es weder um eine suggestive Abrechnung mit westlichen Iran-Bildern, noch um plakative Ausnahmeerscheinungen, sondern um ein Porträt gesellschaftlicher Normalität. Diese gleicht unter den aktuellen Umständen oft einem Ausnahmezustand, mit erheblichen Einschränkungen für die individuelle Freiheit. Im Fokus stehen die Wünsche und Realitäten der Generation um die 30, abgehandelt an vier Fallbeispielen mit unterschiedlichen persönlichen und politischen Visionen: Mahtab träumt von einer Karriere als Sängerin, doch das Gesetz verbietet ihr, alleine in der Öffentlichkeit aufzutreten. Setayesh ist eine erfolgreiche Fechterin, doch Frauensport wird im Iran nicht unterstützt. Abbas ist Angehöriger der islamischen „Basiji“-Miliz, Meidani leitet eine Sprachschule, in der Schüler beiderlei Geschlechts Englisch lernen, und vertritt als Geistlicher die Lehren des Islam. Ein facettenreiches Panorama eines Landes, das, so der Regisseur, „irgendwo zwischen Widerstand und Anpassung“ schwebt. Bewundernswert ist die zielgerichtete Ausdauer der weiblichen Protagonistinnen, ihre Ziele zu verfolgen und Berufe zu lernen, von denen sie nicht wissen, ob sie sie jemals ausüben dürfen. Das fordert nicht nur Hochachtung, sondern ist, im Falle von Setayeshs Musik, auch ausgesprochen hörenswert. Ihr Porträt vermittelt nebenbei auch eine Ahnung von Kulturtraditionen des Landes. Den männlichen Gesprächspartnern muss man immerhin zugestehen, dass sie die Lage ihrer Gesellschaft sehr genau reflektieren. Am Ende führt Farokhmanesh seine Protagonisten zum gemeinsamen Gespräch zusammen, das freilich mehr als einmal im Disput zu enden droht. Diese Geste zeigt, dass dem Regisseur mehr am Diskurs gelegen ist als am Sensationseffekt. In einem Interview räumte er ein, dass er die Szene einer illegalen Party, in der zu westlicher Musik getanzt und Alkohol getrunken wurde, um der Menschen willen nicht in den Film aufgenommen habe. Man könnte das als Selbstzensur auslegen, doch dem Film tut die Abwesenheit solcher Szenen gut. Jenseits der Lipppenstift-Fraktion, die Kosmetik, Coca-Cola und die Verbreitung von Britney Spears-Videos als Gradmesser der „condition humaine“ erachtet, erschließt „Im Reich des Bösen“ einen Wertehorizont, der islamische Werte ernst nimmt. Wenngleich, das macht der Film mehr als deutlich, ein rascher Erfolg dieses „Dritten Weges“, moderner Eliten in islamischen Ländern angesichts der kompromisslosen Strukturen des politisch-religiösen Systems nicht absehbar ist. Farokhmanesh inszenierte seine persönlich geprägten Porträts mit ruhiger Hand und einem langen Atem: sechs Monate brauchte er, um Gesprächspartner zu finden, die keine Angst hatten, sich öffentlich zu äußern. Während der Dreharbeiten mussten immer wieder neue Drehgenehmigungen beantragt werden, ein Außendreh endete im Gefängnis. Als fünfte Protagonistin wird die kleine Golsa gezeigt, die in einem bürgerlichen Elternhaus aufwächst – um die Zukunftsperspektiven ihrer Generation geht es in den Diskursen, die „Im Reich des Bösen“ mit persönlicher Nähe und analytischer Klarsicht geführt werden.
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