Figuren, die das normale Spektrum menschlicher Zielstrebigkeit in einem Maß überschreiten, das ihr Denken und Handeln in die Nachbarschaft des Unwahrscheinlichen oder Übermenschlichen rückt, haben Werner Herzog zeitlebens fasziniert. Ob Sieg oder Niederlage das Ergebnis dieser Obsessionen war, spielte nie eine entscheidende Rolle. Es sind der Weg und die Determination, die Herzog interessieren. Deshalb hätte er das Leben des einstigen Schwarzwaldjungen Dieter Dengler, der nach seiner Emigration als amerikanischer Bomberpilot über Laos abgeschossen wurde, vermutlich auch dann nacherzählt, wenn Dengler nicht als strahlender Held auf einen Flugzeugträger zurückgekehrt wäre. Zwischen „Fitzcarraldo“
(fd 23 356) und „Grizzly Man“ (fd 2006) hat sich Herzog vielen (realen und imaginierten) Figuren genähert, deren extremes Verhalten andere Filmemacher entweder abgeschreckt oder zur Erzählung einer romantisierenden Heldengeschichte animiert hätte. Weder das eine noch das andere gibt es bei Herzog. Dass er über den im Jahr 2001 verstorbenen Dieter Dengler gleich zwei Filme gedreht hat (der zweite ist die Dokumentation „Little Dieter Needs to Fly“; 1977), erlaubt die Vermutung, dass Dengler für Herzog eine Art Krönung seiner unermüdlichen Suche nach menschlicher Integrität und Selbstbehauptung auch im Angesicht widrigster Umstände ist.
Dengler war gerade fünf Jahre alt, als amerikanische Bomber sein im Schwarzwald gelegenes Heimatstädtchen angriffen. Er tat, was Buben seines Alters überall in Deutschland zu dieser Zeit taten: Er schaute aus dem Fenster seines Elternhauses fasziniert den auf ihn zukommenden Flugzeugen entgegen. Was Dengler schon damals von anderen unterschied, war die Tatsache, dass er statt Furcht nichts als den brennenden Wunsch verspürte, später einmal selbst Flieger zu werden. Herzog hat diesen Moment als Schlüssel zu Denglers Psyche begriffen und ihm in beiden Filmen eine zentrale Rolle eingeräumt. Schon als Junge besaß Dengler jene Entschlossenheit, die ihm später im Dschungel von Laos das Leben rettete. Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs ging er in die USA und erfüllte sich seinen Wunsch, indem er Pilot bei der Navy wurde. Zu Beginn des Vietnamkriegs fand er sich auf einem Flugzeugträger im Golf von Tonkin wieder. Bei einem Bomber-Einsatz über Laos wird seine Maschine abgeschossen. Dengler wird von Pathet-Lao-Kämpfern gefangen genommen und monatelang unter unmenschlichen Bedingungen in einem primitiven Lager festgehalten. Er entwickelt einen Fluchtplan, entkommt tatsächlich mit ein paar Mitgefangenen aus der Hölle des Lagers, nur um sich sogleich in einer anderen Hölle, dem Dschungel, wiederzufinden.
Es gibt fundamentale Unterschiede zwischen „Little Dieter Needs to Fly“ und „Rescue Dawn“, die nicht allein damit erklärt werden können, dass es sich bei dem einen um einen Dokumentarfilm und bei dem anderen um einen Spielfilm handelt. In „Little Dieter“ wird Denglers Story überhöht durch ständige Reflexionen, Allusionen und Mystizismen. Bei aller Drastik und Dramatik der berichteten Ereignisse hat der Film die Qualität eines Traums. Realität, Illusion und Transzendierung der oft in hektischem Ton von Dengler selbst erzählten Geschichte greifen nahtlos ineinander. „Rescue Dawn“ ist demgegenüber mehr eine Hommage auf die Tugenden klassischer Hollywood-Filme. Er hat einen Helden, ein abenteuerliches Sujet und die technische und darstellerische Perfektion, die dazu gehören, um ein breites Publikum zu interessieren und mitzureißen. Nie zuvor ist Herzog dem amerikanischen Kino so nahe gekommen wie mit diesem Film. Aber dennoch lässt sich keinen Augenblick verkennen, dass es ein Werner-Herzog-Film ist. Er verzichtet nicht bloß auf Special Effects und Studio-Aufnahmen, sondern er setzt seine Crew derselben Unbill aus, mit der auch Dieter Dengler fertig werden musste: Der Dschungel, die Stromschnellen, die horrenden Regenfälle, die Schlange und die Maden, die sie essen müssen, sind echt. Stuntmen waren verpönt. Wenn ein Ochse den geschundenen Dengler durch das Lager schleift, so ist es Christian Bale, der die Tortur zu ertragen hat. Der Zuschauer weiß es nicht, aber er spürt es in jeder Einstellung. „Aguirre, der Zorn Gottes“
(fd 18 164) und „Fitzcarraldo“ lassen grüßen. Wie in jenen Filmen erstrahlt die tropische Landschaft in oft geradezu überirdischer Schönheit, um gleich im nächsten Bild der Brutalität Platz zu machen, mit der sie jedem Eindringling begegnet.
„Rescue Dawn“ ist ein Abenteuerfilm, geradeaus erzählt und schnörkellos in Szene gesetzt wie einst die Filme von John Huston und Howard Hawks. Er endet nicht wie „Little Dieter Needs to Fly“ mit einer Meditation, sondern mit einer geradezu überbordenden Akklamation für den Geretteten. Man kann das gewiss als amerikanischstes aller möglichen Enden betrachten. Man kann es aber auch als die Feier eines von unwahrscheinlichem Erfolg gekrönten Überlebenswillens ansehen. Oder als beides. Hat doch Herzog selbst gesagt, Dieter Dengler vereine für ihn alles, was er an Amerika liebe: Mut, Ausdauer, Optimismus, Selbstvertrauen. „Er war das Musterbeispiel eines Immigranten - ein junger Mann, der mit einem großen Traum nach Amerika kam und das Beste der amerikanischen Seele repräsentierte.“