Der arabische Straßenjunge rief einst seinen Flaschengeist zu Hilfe, wenn er nicht mehr wußte, wie es weitergeht. Der moderne Zeichentrickfilm braucht keinen Dschinni - er hat ¡a Disney. Die Trickzeichner von Buena Vista kontern die düstere Romantik des letzten Jahres mit einem ungleich leichteren Stoff, auf "Die Schöne und das Biest
(fd 29 927) folgt der behende Aladdin mit seinen Abenteuern.In den Grundzügen ist die Geschichte aus Tausendundeiner Nacht die gleiche geblieben: Der Straßenjunge verliebt sich unsterblich in die schöne Tochter des Sultans, die bislang jeden ihrer reichen, eitlen Bewerber abgewiesen hat und den Vater mit ihrem Trotzkopf in größte Verlegenheiten stürzt. Der Zufall beschert Aladdin zwei findige Helfer, einen fliegenden Teppich und den besagten Flaschengeist, der nach seiner langen Gefangenschaft in einer dunklen Höhle fast platzt vor Tatendrang. Den kann der Junge auch gut gebrauchen, denn er hat mit dem finsteren Großwesir einen Widersacher vor sich, der mit allen trüben Wassern gewaschen ist.War die Geschichte von der Schönen und dem Biest auf eine Weise herzzerreißend und dramatisch. daß sie vielen Kindern das Hinschauen unmöglich machte, so betont "Aladdin" bewußt die heiteren, ausgelassenen Seiten des Märchens aus dem Morgenland, von der hellen, sonnigen Farbgebung über die jugendlich-unbekümmerte Liebesgeschichte bis zu den skurrilen Nebenfiguren, die sich nach Lust und Laune austoben dürfen: Aladdins Affe. zwischenzeitlich zum Elefantendasein verdammt, der Papagei des Wesirs, der unablässig Federn läßt, der Sultan als liebenswürdiger Trottel, der fliegende Teppich, der immer im richtigen Moment am rechten Ort schwebt (und in einer tricktechnischen Sonderleistung mit menschlichen Zügen ausgestattet wird). Und - natürlich - der Dschinni. Im Original wird er von Robin Williams gesprochen (in der deutschen Fassung vom entsprechenden Synchronsprecher), und das ist wahrlich kein Zufall. Der Flaschengeist plustert sich vom ersten Moment an zu einem Entertainer auf. der seine Arbeit als "Ein-Mann-Show" inszeniert, in atemberaubendem Tempo die Verkleidungen wechselt, pausenlos mit Worten jongliert (wobei die Synchronisation noch meint, mit ein bißchen Sächseln nachhelfen zu müssen) und ansonsten keine Gelegenheit ausläßt, der Lage ihren Ernst zu nehmen. Kleineren Kindern setzt der Film hier allerdings Grenzen: mit diesem Tempo, mit dieser Überfülle von Anspielungen sind sie glatt überfordert.Im übrigen liefern die Disney-Studios erneut ein Qualitätsprodukt erster Güte ah. Die fließenden Bewegungen, die "computerrealistischen" Hintergründe, die Tiefenschärfe -man hat sich an die tricktechnische Perfektion schnell] gewöhnt, sie ist fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Allerdings hat dieser hohe Standard eine Kehrseite: immer deutlicher wird die Diskrepanz zu den menschlichen Physiognomien, den Gesichtern vor allem; hier stagniert die Entwicklung, hier wirkt weiterhin die Ästhetik des Bilderbuchs. Das wird auch bei Walt Disney Pictures aufgefallen sein. Wie man andernorts sagt: Wir arbeiten daran.