88 - Pilgern auf japanisch

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 88 Minuten

Regie: Gerald Koll

Ein deutscher Filmemacher begibt sich im Frühjahr 2007 auf einen 1.300 Kilometer langen Pilgerweg, der die japanische Insel Shikoku umkreist und an 88 Tempeln und heiligen Stätten vorbei führt. Da er die Landessprache nicht beherrscht und sich nur schwer zurecht findet, ist er im wahren Pilger-Sinne ein Fremder, der sich auf dem Weg zu sich selbst in der Fremde orientieren muss. Ein sinnlicher, mitunter heiterer Dokumentarfilm, dessen Autor zugleich pointiert die Widersprüchlichkeit seiner Situation benennt, schließen sich das Pilgern und das Dokumentieren des Pilgerns sowie die Reflexion darüber doch eigentlich aus. (Teils O.m.d.U.) - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Filmproduktion René Perraudin
Regie
Gerald Koll
Buch
Gerald Koll
Kamera
Gerald Koll
Musik
Arpad Bondy
Schnitt
René Perraudin
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Nach der Bewältigung des immer populärer werdenden Jakobswegs machte sich der deutsche Filmemacher und Filmjournalist Gerald Koll, angeregt durch eine japanische Mitpilgerin, auf, um im Frühjahr 2007 den „hachijuhakkasho“, den angeblich längsten und ältesten Pilgerweg der Welt zu begehen, der die japanische Insel Shikoku mit einer Länge rund 1.300 Kilometern umkreist. Sein Weg wird ihn an 88 Tempeln und heiligen Stätten vorbei führen, und wenn alles klappt, wird er die vier klassischen Zustände der Pilgerreise durchlaufen: Erwachen, Disziplin, Erleuchtung, Nirwana. Soweit zumindest der Plan. Es ist ein Weg, auf dem sich der Fremde – das bedeutet das lateinische Lehnwort „Pilger“ eigentlich – immer wieder mit dem Fremden auseinander setzen muss. Mit nicht entzifferbaren Wegbeschreibungen, kaum zu erkennenden, winzigen Markierungen, Menschen, mit denen er sich kaum verständigen kann, unlesbaren Landkarten und einer vom Buddhismus geprägten Mentalität, die ein westlich geprägter Geist nur schwer nachvollziehen kann. Eigentlich sind dies die besten Voraussetzungen fürs Pilgern: fremd in der Fremde sein, um zu sich zu finden, loszulassen, sich auszuleeren, denn das soll der Sinn der strapaziösen Übung sein, die zwar die Beine beansprucht, in erster Linie aber dem Kopf zu Gute kommen soll. Entstanden ist ein sehr sinnlicher und mitunter heiterer Dokumentarfilm, in dessen Verlauf sich der Pilger nicht nur mit fremden Bräuchen und Ritualen konfrontiert sieht, sondern auch mit Erfahrungen fürs Leben: Im Frühjahr erwachen schließlich auch die Schlangen aus ihren Winterschlaf, und die mit den dreieckigen Köpfen sollen giftig sein; auch die Erfahrung, dass Platzregen überall nass ist, bereichert den mühsamen Fußweg irgendwie. Was Björn Koll aber entschieden umtreibt, ist es, die Bedeutung des Begriffs „henro boke“ zu ergründen; dabei stößt er jedoch zunächst allen Ortes auf Unverständnis, nicht nur wegen der Sprachbarriere. Niemand kann mit dieser Wortschöpfung etwas so richtig anfangen, und so fügt er sich in sein selbst gewähltes Schicksal und geht seinen Weg, auch wenn er sich dabei immer wieder verfranst und schon bald nicht mehr weiß, ob er Kloster Nr. 7 überhaupt angelaufen hat. Sein DV-Archiv kann darüber im Nachhinein keine Antwort mehr geben. Das „Sich leeren“ fängt ja gut an. „88 – Pilgern auf Japanisch“ wartet nicht mit touristischen Postkarten-Attraktionen auf, auch wenn die einzelnen Anlaufstellen im Laufe des Films quasi im Zeitraffer vorgestellt werden. Der Film bietet aber auch keine explizite Auseinandersetzung mit buddhistischer Spiritualität, er beschreibt vielmehr den Weg eines Europäers, der nach neuen Eindrücken und Erfahrungen sucht, sich vielleicht selbst an den Zustand der Erleuchtung, besser wohl Entrückung, der Intensiv-Wanderern durchaus vertraut sein dürfte, heran führen kann. Irgendwie geraten Björn Koll und sein Film dabei in eine geradezu klassische Zwickmühle, die der Filmemacher freilich erkennt und auch benennt: Er hat sich in eine Zwitterposition manövriert, kann nicht ganz Pilger sein, weil er diese Mission ständig durch seine Kameraarbeit unterbrechen muss, die ihn und seinen Schatten, seine Selbstgespräche und Lieder („Das Wandern ist des Müllers Lust ...“) übrigens eine wenig zu häufig im Bild hat, tut sich aber auch mit der Rolle des Dokumentaristen schwer, da er doch so gerne Pilger auf der Suche nach Leere wäre, den Weg dorthin aber immer wieder reflektieren und beschreiben muss. Vielleicht hat Gerald Koll zumindest eine Erkenntnisanfangsstufe erreicht, wenn er daran denkt, nichts mehr zu denken – auch so ein Paradox. Buddhismus ist eben so einfach, dass er schon wieder verdammt schwer ist. Übrigens: Am Ende seines Weges löst Björn Koll das große Rätsel: „henro boke“ bedeutet so viel wie „leer sein“, kann aber auch Dummkopf bedeuten, was sich nicht unbedingt ausschließen muss, in diesem Zusammenhang aber kein Makel zu sein braucht.
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