Drama | Schweiz/Frankreich 2007 | 95 Minuten

Regie: Jacob Berger

Ein Tag aus dem Leben einer Familie, aus drei sich überschneidenden Perspektiven von Vater, Mutter und Sohn erzählt: Die Mutter, in deren Wahrnehmung Wirklichkeit und Vision zerfließen, bekommt mit, dass ihr Mann sie betrügt, während sich der frisch verliebte Sohn von den Eltern allein gelassen fühlt. Mit guten Darstellern besetztes Familiendrama, dessen stilsichere Inszenierung eine poetisch-realistische, dichte Atmosphäre erzeugt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
1 JOURNEE
Produktionsland
Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Vega/Why Not/Avventura/TSR
Regie
Jacob Berger
Buch
Jacob Berger · Noémie Kocher
Kamera
Jean-Marc Fabre
Musik
Cyril Morin
Schnitt
Catherine Quesemand
Darsteller
Bruno Todeschini (Serge) · Natacha Régnier (Pietra) · Noémie Kocher (Mathilde) · Louis Dussol (Vlad) · Hiro Uchiyama (der Japaner)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Eine Familie, ein Tag, drei Geschichten: Das ist das formale Konzept von Jacob Bergers (Klein-)Familiendrama. Nun ist die Idee, eine Geschichte aus mehreren Blickwinkeln zu erzählen, nicht neu; wenn sie aber so raffiniert umgesetzt wird wie hier, bieten sich nach wie vor faszinierende Möglichkeiten. Nicht einfach nacheinander – wie etwa in Angelina Maccarones „Vivere“ (fd 38 373) – handelt der in der Westschweiz und der Provence aufgewachsene Sohn des englischen Schriftstellers John Berger die drei Erzählstränge seines Films ab. Er springt auch nicht zwischen ihnen hin und her, sondern verwebt sie so kunstvoll ineinander, dass sich jeder Perspektivwechsel nahezu organisch aus dem Bisherigen ergibt. Den Ausgangspunkt bildet eine dreiköpfige Familie, die in Meyrin-Parc wohnt, einem am Reißbrett entstandenen Stadtteil Genfs, dessen geradlinige Architektur von flachen Dächern und breiten Fensterfronten geprägt wird. In einem dieser austauschbaren Häuser wachen Serge, seine Frau Pietra und ihr Sohn Vlad an einem Morgen auf. Draußen ist es dunkel, es regnet. Als Serge mit dem Auto wegfährt, beobachtet ihn Vlad von oben. Nur einige Häuser weiter stoppt Serge sein Auto, schleicht sich zu seiner Geliebten in die Wohnung und ins Bett. Er bleibt nicht lange. Es ist noch Nacht, als er weiterfährt und plötzlich etwas (jemand?) gegen sein Auto prallt. Im strömenden Regen hält er an, sieht sich um, ruft zögerlich. Niemand liegt auf dem Asphalt, niemand antwortet. Hinter der Hecke am Straßenrand aber hört er Atemgeräusche. Die Kamera nähert sich der Hecke, bedrohlich langsam und untermalt von unheilvollen Klängen, als ob etwas dahinter lauere. Was es ist, wer es ist, traut sich Serge nicht herauszufinden. Stattdessen fährt er davon, zum Radiosender, in dem er arbeitet. Das schlechte Gewissen aber treibt ihn durch den Tag und letztlich zur Polizei. Zuvor jedoch begegnet er unerwartet seiner Frau. Allerdings, ohne es zu bemerken. Pietra beobachtet Serge mit erschüttertem Gesichtsausdruck, der verrät, dass sie etwas Schreckliches erlebt haben muss. An dieser Stelle wechselt der Film erstmals die Perspektive und dreht die Zeit auf Anfang: Pietras Tag beginnt damit, dass sie mit ihrem Sohn beim Frühstück sitzt. Sie wirkt apathisch, depressiv; bringt Vlad zur Schule, fährt zur Arbeit in ein Museum. Im Bus wird sie Zeugin eines merkwürdigen Vorfalls: Ein Japaner will an einer Haltestelle zusteigen, doch die Bustüren öffnen sich nicht. Verzweifelt rennt er dem abfahrenden Bus hinterher, bis er spurlos verschwindet. Wirklichkeit und Visionen lassen sich in Pietras Leben nicht immer auseinander halten. „Andere träumen nachts, ich träume tags“, wird sie sagen, wenn sie dem Japaner später unter nicht weniger seltsamen Umständen wieder begegnet. Dennoch zweifelt sie nicht an ihren Sinnen, als sie früher als geplant nach Hause kommt und durch die geschlossene Wohnzimmertür hindurch hört, wie ihr Mann sie betrügt. Jetzt will sie nur noch weg. In diese Ehe(bruchs)geschichte eingeflochten ist der Tag des vorpubertären Vlad, der unglücklich in eine Mitschülerin verliebt ist, sich von seinen Eltern allein gelassen fühlt und schließlich tatsächlich von niemandem mehr abgeholt wird. Bis ihn die Mutter seiner Angebeteten mit zu sich nach Hause nimmt. Genau in das Haus und in die Wohnung, in die sich Vlads Vater am frühen Morgen schlich. So führt Berger die drei getrennten Erzählfäden am Ende wieder zur Geschichte einer Familie zusammen, in der vielleicht gar nicht viel passiert ist, sich vielleicht aber auch alles geändert hat. Vieles lässt „1 journée“ in einer geheimnisvollen Schwebe, die den Film auf fast magisch-märchenhafte Weise zwischen surreal dahingleitenden und trist-realistischen Momenten oszillieren lässt. Eine poetisch-realistische Atmosphäre bestimmt den Erzählrhythmus ebenso wie das undurchsichtige, schweigsame Spiel der starken Darsteller. Besonders Natacha Régniers Interpretation einer auf der schmalen Grenzlinie zwischen süßem Wahn und bitterer Wirklichkeit taumelnden Frau geht unter die Haut. Ein wunderbarer, wundersamer Film über Enttäuschungen und Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen, über Familie und das Leben – ein kleines Meisterwerk.
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