Ein von der Drogenszene faszinierter Draufgänger und sein Kumpel suchen die schnelle Karriere und legen sich mit einer Hamburger Kiezgröße an. Beeindruckt von der Chuzpe der Neulinge, nutzt dieser ihren Aufstiegswillen und hetzt sie gegeneinander, als einer von beiden eigene Zwischengeschäfte macht. Originell besetzte, gut gespielte Milieuskizze. Die oft ausgesprochen harten Versatzstücke aus dem Genre-Fundus der Gangstertragödie sind freilich allzu offensichtlich kompiliert; auch wirkt die einfache Moral zu ernüchternd, um dem Film eine nachhaltigere Wirkung zu verleihen.
Chiko
Gangsterfilm | Deutschland 2007 | 92 Minuten
Regie: Özgür Yildirim
Kommentieren
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Corazon/NDR
- Regie
- Özgür Yildirim
- Buch
- Özgür Yildirim
- Kamera
- Matthias Bolliger
- Musik
- Darko Krezic
- Schnitt
- Sebastian Thümler
- Darsteller
- Denis Moschitto (Chiko) · Volkan Özcan (Tibet) · Moritz Bleibtreu (Brownie) · Fahri Ögün Yardim (Curly) · Reyhan "Lady Bitch Ray" Sahin (Meryem)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Gangsterfilm | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Einmal der Chef sein! Für Chiko ist das nicht bloß ein schöner Traum, sondern Tagesziel. Er ist in den besten jungen Jahren, hat keinen Respekt vor dem Machtgefüge auf dem Kiez und will nach oben. So ist es nur logische Konsequenz, dass er zusammen mit seinem besten Kumpel Tibet gleich beim erstbesten Kleindealer neue Realitäten schafft. Kein Wunder auch, dass der verprügelte Handlanger sogleich Brownie auf den Plan ruft, der hinter seiner „bürgerlichen Fassade“ als Musikproduzent und treu sorgender Familienvater der Kopf eines der führenden Drogen-Imperien Hamburgs ist. Brownie ist verärgert, aber irgendwie auch von Chikos Kaltschnäuzigkeit beeindruckt. Wo Konkurrenten normalerweise tot in der Gosse landen würden, bekommen die beiden Möchtegern-Gangster eine Chance als Angestellte. Gelänge es ihnen, binnen zehn Tagen zehn Kilo Gras zu verticken, hätten sie einen gut bezahlten „Job“ mit Aussicht auf Aufstieg. Chiko ist erstaunt, wie schnell er in seinem Traumberuf Karriere machen kann. Seine Philosophie geht auf, die da heißt: „Wenn Du der Beste sein willst, musst Du Respekt kriegen. Wenn Du Respekt kriegen willst, darfst Du keinem anderen Respekt zeigen. Und wenn Du keinem anderen Respekt zeigst, dann denken die Anderen irgendwann mal, Du hast den Respekt erfunden...“ Doch so windschief wie Chikos Weltbild, so trügerisch ist seine Zukunft in der „Branche“. Denn der Respekt bröckelt bereits in den eigenen Reihen. Geblendet vom schnellen Reichtum, beginnt Tibet, sein eigenes Geschäft aufzuziehen, zwackt dafür das ein oder andere Gramm vom Stoff ab und vergoldet es hinter den Rücken von Chiko und Brownie. Ein Deal, der, unprofessionell wie er vonstatten geht, nicht lange verborgen bleibt. Brownie setzt Chiko die Pistole auf die Brust: Entweder er beseitigt den Freund oder keiner der beiden – inklusive ihrer Familien – wird seines Lebens mehr froh.
Derartige Milieuzeichnungen, wie sie Özgür Yildirim in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm entwirft, sind so neu nicht. Von Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ (fd 33 374), der auch hier am Projekt mitproduzierte, bis zum einen oder anderen „Tatort“-Krimi wurde das Sujet oft variiert und durch allerlei Mafiosi-Rüstzeug aus dem jungen „wilden Hollywood“ aufgepeppt. Von daher ist, authentische Kiez-Schilderung hin oder her, „Chiko“ nicht herausragend. Auf der anderen Seite sind deutsche Genregeschichten im Kino derart rar, dass man einfach froh sein muss, wenn es mal nicht nur um tiefsinnig-tragische Dramen in „Berliner Schule“-Ästhetik geht. Yildirim ist im Spiel mit Zitaten so stilsicher, dass „Chiko“ zuallererst ein Film ist, den man gerne anschaut. Zudem gelingt es mit teils unverbrauchten, teils originell gegen den Strich besetzten, durchweg guten Darstellern, dass die Handlung trotz aller zelebrierten Plattitüden nahe geht. Vor allem Sympathieträger Moritz Bleibtreu ist in der Rolle des Wolfs im Schafpelz ein Gewinn. Die überbordende Melodramatik auf Seiten der Underdogs und deren Familien wird so ein wenig abgepuffert, allerdings nicht von jeglicher Abgeschmacktheit befreit. Ist es denn wirklich dramaturgisch notwendig, dass ausgerechnet Chiko seinen Freund töten soll und dass die Untreue Tibets vor allem durch tragische Schicksalsschläge in der Familie motiviert ist?
Auch moralisch ist „Chiko“ allzu unzweideutig: „Crime doesn’t pay!“ Das mag vielleicht angesichts des zu Beginn überschwänglichen Aufgehens der Helden in der Rechtlosigkeit „politisch korrekt“ sein, ist aber, nach all dem mitunter mitreißendem Spektakel eher ernüchternd. So wirkt der Schlag, den „Chiko“ mit seinem tragischen, zudem ungewöhnlich harten Finale versetzt, nicht lange nach, denn schließlich ist am Ende alles so, wie es sich gehören muss – in einem Film, der über weite Strecken damit kokettiert, dass die Helden von heute in der Realität selten auf der richtigen Seite stehen.
Kommentar verfassen