Unter Ausschluss der männlichen Öffentlichkeit fand im April 2006 in Teheran ein Freundschaftsspiel der iranischen Frauen-Fußballnationalmannschaft gegen einen kleinen Berliner Club statt. Der inszenatorisch eher konventionelle, gleichwohl höchst spannende und gelungene Dokumentarfilm bildet dieses Sportereignis als realen Freiraum in einer wenig toleranten Gesellschaft ab. Die Impressionen aus den Nischen eines inoffiziellen Iran stellen starke Mädchen und Frauen vor, die ihre Rechte gegen eine sie gängelnde Männerwelt einfordern. (Teils O.m.d.U.)
- Ab 12.
Football Under Cover
Sportfilm | Deutschland 2008 | 89 (Kurzf. 52) Minuten
Regie: Ayat Najafi
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Flying Moon Filmprod./RBB/arte
- Regie
- Ayat Najafi · David Assmann
- Buch
- Ayat Najafi · David Assmann
- Kamera
- Anne Misselwitz · Niclas Reed Middleton
- Musik
- Niko Schabel
- Schnitt
- Sylke Rohrlach
- Länge
- 89 (Kurzf. 52) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Genre
- Sportfilm | Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Dass im Iran fußballbegeisterte Frauen leben, ist seit Jafar Panahis „Offside“ (fd 37 673) auch im Westen bekannt. Dass es sogar eine iranische Frauenfußballnationalmannschaft gibt, die im April 2006 in Teheran gegen einen kleinen Berliner Club zum Freundschaftsspiel antrat, dürften trotz Ayat Najafis und David Assmanns „Football Under Cover“ aber nur wenige erfahren. Der Dokumentarfilm über unbekannte Fußballspielerinnen wird ungeachtet der faszinierenden interkulturellen Geschichte, die sich dahinter verbirgt, wohl kein Massenpublikum finden. Dabei sind es keineswegs ästhetische Qualitäten, die den sorgfältig und flüssig montierten, handwerklich aber eher biederen Film so sehenswert machen. Es ist vielmehr der Umstand, dass sich Form und Inhalt hier wechselseitig bedingen, der den Film zum Ereignis macht. Ohne den Film hätte das Fußballspiel zwischen dem Kreuzberger Verein „BSV Al-Dersimpor“ und dem iranischen Nationalteam nicht stattgefunden. Ein kreatives, nie verheimlichtes Wechselspiel, das die Regisseure, die zugleich Organisatoren sind, so beschreiben: „Der Film ist also die Abbildung einer Wirklichkeit, die es ohne ihre Abbildung gar nicht gegeben hätte.“
Die Idee zum Film entstand auf dem Berlinale Talent Campus 2005, wo die Geschwister David und Marlene Assmann, die einen Film über den Club, in dem Marlene spielte, eingereicht hatten, auf den Iraner Ayat Najafi trafen, der einen Film über ein Fußball spielendes Mädchen gedreht hatte, das Mitglied des iranischen Nationalteams war. Najafi erzählte den beiden, dass die iranische Nationalmannschaft nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer Halle trainieren dürfe und noch nie gegen ein anderes Team angetreten sei. So entstand der Plan, ein Spiel zwischen der iranischen Frauen-Nationalelf und Marlenes Club, dem „BSV Al-Dersimpor“ zu veranstalten – und das Ereignis auf Film zu dokumentieren. Die Regisseure begleiten sich also im Grunde selbst bei dem schwierigen Unterfangen, Spiel und Film zu organisieren. Für die Drehgenehmigungen war es hilfreich, dass der Film nicht im Iran aufgeführt werden sollte. Ein anderer Grund war wohl die bevorstehende Männer-WM in Deutschland, für die sich der Iran qualifiziert hatte. Dennoch verliefen die Vorbereitungen alles andere als reibungslos. Visa-Anträge wurden nicht weitergereicht, der Spieltermin mehrfach verschoben, bis die Spielerinnen des „BSV Al-Dersimpor“ sich schließlich ohne Visum, dafür aber mit Schleiern auf den Weg nach Teheran machten.
Über solche Widrigkeiten hinaus erzählt der Film aber vor allem von jungen Frauen in Teheran und Berlin, die mit ihrer Fußball-Leidenschaft über alle kulturellen Barrieren hinweg eine gemeinsame Sprache sprechen. Die kleine Susu aus Berlin-Kreuzberg etwa ist selbst Muslimin, würde aber nie daran denken, ein Kopftuch zu tragen. Sie klettert über den Zaun auf den Trainingsplatz, selbst wenn die Tür daneben offen steht. Mit Fußballspielen fing sie an, weil sie mit ihrem großen Bruder wetteiferte. Der hat mittlerweile mit dem Fußball aufgehört, Susu aber ist dabei geblieben. Am liebsten spielt sie gegen Jungs. Denn es gibt nichts Schöneres, sagt sie, als es denen zu zeigen. In Teheran hockt Niloofar im Wohnzimmer vor der Playstation und schwärmt von David Beckham. Obwohl die Kamera läuft, trägt sie kein Kopftuch. Später zieht sie sich die Baseballmütze tief ins Gesicht und geht als Junge verkleidet zum Fußballspielen in den Park. „Ich tue, was mir gefällt“, sagt sie. Narmila kickt währenddessen mit ihrer Mutter auf der Straße, im wallenden Kleid und mit Kopftuch. Vor der Revolution spielte die Mutter selbst in der iranischen Frauennationalmannschaft. Deutschland, erinnert sie sich stolz, hatte damals noch gar kein Frauenteam. Sie war es, die ihrer Tochter das Flanken beibrachte.
Es sind diese Impressionen aus den Nischen des inoffiziellen Iran, die das Leben dort näher bringen und den Film in eine aufregende, intime, vom totalitären Regime immer wieder behinderte Kulturreise verwandeln. So wird der Austragungsort vom imposanten Azadi-Stadion kurzerhand auf einen kleinen, verkümmerten Platz mit abgetretenem Rasen und zerfetzten Toren verlegt. Obwohl die Frauen keine Werbung für ihr Spiel machen dürfen und Niloofar aus ungeklärten Gründen nicht mitspielen darf, findet die Partie trotzdem vor Hunderten begeisterter Zuschauerinnen statt. Die in schwarze Kutten gehüllten Sittenwächterinnen appellieren vergebens an den „Anstand“ der hüpfenden und jubelnden Frauen und provozieren so nur wütende Sprechchöre, in denen die Zuschauerinnen ihr Recht auf Fußball gegen die sie gängelnde Männerwelt einfordern. Fußball wird so zur Chiffre der Freiheit. Indem er für die Dauer eines Fußballspieles einen realen Freiraum eröffnet, geht „Football Under Cover“ sogar noch einen Schritt weiter als „Offside“. Während in Panahis Inszenierung die am Rande des Azadi-Stadions festgehaltenen weiblichen Fußballfans verzweifelt versuchen, einen Blick auf das Spielfeld zu erhaschen, sind es diesmal Männer, die draußen bleiben und wie der türkische Vereinspräsident aus Kreuzberg durch den Zaun spähen müssen, ehe Polizisten sie zurechtweisen. Eine Szene, die verdeutlicht, dass auf dem Weg zu einer toleranten Weltgesellschaft noch viele Schritte zu tun sind. Die, wenn der türkische Präsident von „BSV Al-Dersimpor“ seine Mädels über den Zaun hinweg mit „Deutschland, Deutschland“ anfeuert, aber auch zeigt, dass die vom Film eingeschlagene Richtung stimmt.
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