Ein Junge aus einem mexikanischen Provinzstädtchen verbringt einen Tag damit, lust- und ziellos nach einem Ersatzteil für das Auto zu suchen, das er am Morgen gegen einen Telefonmasten fuhr. Erst im letzten Drittel des bestechend kadrierten, nahezu dialoglosen Debütfilms wird klar, dass sein Vater Tags zuvor starb. Beeindruckende Meditation über die Konfrontation mit dem Tod, die nicht in Melancholie ertrinkt, sondern zurück ins Leben findet.
- Sehenswert ab 14.
Lake Tahoe
- | Mexiko 2008 | 85 Minuten
Regie: Fernando Eimbcke
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Filmdaten
- Originaltitel
- LAKE TAHOE | TE ACUERDAS DE LAKE TAHOE
- Produktionsland
- Mexiko
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Cinepantera/Fidecine/IMCINE
- Regie
- Fernando Eimbcke
- Buch
- Fernando Eimbcke · Paula Markovitch
- Kamera
- Alexis Zabe
- Schnitt
- Mariana Rodríguez
- Darsteller
- Diego Cataño (Juan) · Héctor Herrera (Don Heber) · Daniela Valentine (Lucía) · Juan Carlos Lara (David) · Yemil Sefami (Joaquín)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Ein verschlafenes Provinzstädtchen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán ist der Schauplatz von Fernando Eimbckes meisterlichem Debütfilm, in dem ein Jugendlicher frühmorgens das rote Auto seines Vaters gegen den einzigen Telefonmasten weit und breit fährt. Viel kaputt geht dabei nicht, aber der Motor will nicht mehr anspringen. Also macht sich Juan auf den Weg, um Hilfe zu holen. Das ist der Auftakt zu einer scheinbar ziellosen Odyssee, die sich über einen Großteil des Tages hinzieht und mit einer Handvoll skurriler Figuren bekannt macht: mit dem alten Automechaniker Don Heber und seinem Hund Sica, mit einem jugendlichen Kung-Fu-Afficinado oder einer jungen Mutter, die viel über Punkmusik weiß, aber kaum etwas von den Ersatzteilen versteht, die sie verkauft. Von einer Handlung im eigentlichen Sinne kann dabei kaum gesprochen werden, weil das Leben in der weitläufigen, wie ausgestorben wirkenden Hafengegend aus nichts als Warten und einer endlosen Folge vergeblicher Angänge zu bestehen scheint. Daran lässt der in fein ausgeklügelten, aber absolut statischen Scope-Einstellungen aufgenommene Film keinen Zweifel, auch wenn die sekundenlangen Schwarzblenden, mit denen die Szenen getrennt sind, anfänglich ziemlich irritieren. Doch was zunächst wie bemühte Konzeptkunst wirkt, die durch den Verzicht auf Filmmusik zusätzlich unterstrichen wird, entwickelt eine wachsende Spannung und entpuppt sich spätestens im zweiten Drittel als radikale Filmästhetik, mit der Erfahrung des Todes umzugehen. Als der Junge nämlich am späten Nachmittag mit dem notdürftig reparierten Auto nach Hause kommt, realisiert man, dass sein Vater vor Kurzem gestorben ist. Auf den Spuren von Robert Bresson spürt Eimbcke dem Riss im Erfahrungskontinuum des Protagonisten nach, für den alles leer und zugleich doch von existenzieller Wichtigkeit ist. Die lethargische Mattheit, die über seinen antriebslosen Versuchen lag, das kaputte Fahrzeug wieder in Gang zu setzen, entschlüsselt sich retrospektiv als Ausdruck des Schocks, unter dem die Selbstverständlichkeit alltäglicher Routinen zur hohlen Geste gerinnt.
Es fällt nicht schwer, den Film als Meditation über die Konfrontation mit dem Tod zu begreifen, freilich ohne existenzialistische Verzweiflungs- oder melancholisch-depressive Vanitas-Attitüden. Die mitunter fast surrealen Brüche und kuriosen Wendungen des nahezu dialoglosen Plots befördern wie die wuchernde Vegetation und das intensive Licht eine Leichtigkeit, die bei aller Schwere nicht erstarren lässt, sondern trauernd-trotzig ins Lebens zurück findet. Die Dramaturgie des Films läuft deshalb nicht auf den Moment zu, an dem die Todesnachricht manifest wird, sondern nimmt einen wesentlich weiteren Horizont ins Visier, der Platz lässt für widersprüchliche Gefühle und Handlungen, mitunter sogar für ausgesprochenen Slapstick. Beeindruckend ist auch der Umgang mit der filmischen Zeit und das innovative Sounddesign, das aus Alltagsgeräuschen und Sprachfetzen eine flirrende Atmosphäre des Ungefähren schafft, in der sich das unausgesprochen Lastende mit der Gleichgültigkeit der Natur und vielleicht einer gewissen fatalistischen Grundhaltung zu einer Art kosmischen Kreislauf verbinden. Ein Filmdebüt, das viel verspricht.
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