Filmbiografie des Sängers und Schauspielers Dean Reed, der 1972 aus den USA in die DDR übersiedelte und sich 1986 in Ost-Berlin das Leben nahm. Der Regisseur befragt Zeitzeugen und montiert überliefertes Material aus öffentlichen und privaten Archiven. Dank interessanter Gesprächspartner, klug ausgewählter, oft metaphorisch eingesetzter Filmzitate und Bezüge zur Zeitgeschichte entstand ein ebenso ernsthaftes wie unterhaltsames Porträt, das den Spuren eines politischen Träumers folgt, sich dabei aber weder in die Niederungen der Spekulation begibt noch zu unkritischer Schwärmerei neigt. (Teils O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Der rote Elvis
Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 94 Minuten
Regie: Leopold Grün
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Totho cmp
- Regie
- Leopold Grün
- Buch
- Leopold Grün
- Kamera
- Thomas Janze
- Musik
- Monomango · Olivier Fröhlich · Jan Weber
- Schnitt
- Dirk Uhlig
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Dean Reed, der Sänger aus Colorado, ließ sich 1972 als 34-Jähriger in der DDR nieder. Ein Jahr zuvor, während der Leipziger Dokumentarfilmwoche, hatte er seine spätere Frau Wiebke kennengelernt: eine Liebe, die, so hoffte der Schwärmer, ein Leben lang halten würde. Und noch etwas anderes begeisterte ihn: Wenn er auftrat, jubelten ihm viele zu, viel mehr als zu Hause in den USA, wo er nur ein Rock’n’Roller unter anderen war. Schon nach wenigen Tagen in der DDR gab er zu Protokoll: „Kunst und Kultur sind hier den Menschen zugänglich und beeinflussen sie positiv. Die Menschen werden besser durch sie.“ An seine Erscheinung erinnerte sich die Essayistin Jutta Voigt noch im Abstand von Jahrzehnten: „Männer und Frauen waren hingerissen vom Charme dieses Traumrevolutionärs aus Amerika, der aussah wie ein Simultanbild aus James Dean und John F. Kennedy. Irgendwas musste dran sein am Sozialismus, wenn so ein Mensch extra aus Denver kam, um gegen die Unterdrückung der Dritten Welt zu singen. Und die Funktionäre der Abteilung Agitation und Propaganda waren froh, dass alles so allgemein blieb, so unverbindlich romantisch und sentimental, dafür liebten sie den Cowboy aus Colorado. Er nannte sie ‚meine lieben Compañeros‘.“
Anderthalb Jahrzehnte später, im Juni 1986, wurde seine Leiche aus einem See im Südosten Berlins gezogen. Die „lieben Compañeros“ sprachen von einem Unglücksfall; tatsächlich aber hatte sich Dean Reed das Leben genommen. Schon lange litt er unter Depressionen. Er sehnte sich nach Colorado und ahnte doch, dass er mit seiner radikalen linken Gesinnung dort nie wieder willkommen sein und heimisch werden würde. Seine Ehe mit der Schauspielerin Renate Blume war in eine Krise geraten. Das junge Publikum in der DDR hatte sich längst von dem „singenden Friedenskämpfer“ abgewandt und betrachtete seinen Beitrag, die Agonie rosarot einzufärben, als puren Anachronismus. Auch er selbst wollte sich nicht mehr ins politische Schema pressen lassen. Ferner hatte er Sorge, das aufwändige Spielfilmprojekt „Bloody Hearts“ über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und die Indianerproteste von Wounded Knee, das er als Hauptdarsteller und Co-Regisseur bei der DEFA plante und das kurz vor Drehbeginn stand, nicht zu bewältigen. Eine künstlerische Niederlage würde, so meinte er, sein Aus bedeuten. Es kam vieles zusammen, das ihn schwer belastete.
Nun hat sich der 1968 in Dresden geborene Regisseur Leopold Grün des Sängers angenommen. In „Der rote Elvis“ rekonstruiert er die letzten 15 Jahre im Leben Reeds, befragt Zeitzeugen, montiert überliefertes Material aus öffentlichen und privaten Archiven. Die Spanne der Befragten reicht von einer jungen Russin, die Dean Reed nie begegnet ist, ihn aber als Projektionsfläche ihrer eigenen Träume und Sehnsüchte benutzt, über Wiebke Reed, die heute eine Schauspieleragentur leitet, bis zu Armin Mueller-Stahl, der gemeinsam mit dem Rockstar in der DEFA-Verfilmung von Jack Londons „Kit & Co.“ (fd 23 993) gespielt hatte. Isabel Allende Bussi, die Tochter des einstigen chilenischen Präsidenten, und Bergarbeiter aus Rancagua erinnern sich der begeisternden Auftritte vor und nach dem Militärputsch. Dokumentarfilmszenen zeigen Reed in einem Trainingscamp der Palästinenser; der amerikanische Regisseur Will Roberts, der schon 1985 ein Porträt über Reed drehte („American Rebel“), denkt über die ambivalenten Beziehungen des Helden zu seiner Heimat nach. Die Interviews sind weitgehend chronologisch montiert. In den besten Momenten belegen sie nicht nur äußere Stationen dieser Biografie, sondern beschreiben auch den komplizierten Charakter des nach außen hin meist nur als Strahlemann erscheinenden Barden. So erinnert sich Regisseur Celino Bleiweiß, der ihn in der Hauptrolle seiner Eichendorff-Adaption „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1973) besetzte, an Reeds „Angst vor dem Leben“. Und Maren Zeidler, eine heimliche Geliebte, skizziert einstige Gedanken an einen gemeinsamen Suizid, lange bevor Reed seinen Selbstmord in die Tat umsetzte. Dank solcher Gesprächspartner und der Bezüge zur Zeitgeschichte wird „Der rote Elvis“ zu einem ernsthaften, nachdenklichen Porträt, das sich nicht in die Niederungen von Spekulation oder Häme begibt, aber auch keine unkritische Schwärmerei betreibt.
Zum Fluss des Films tragen nicht zuletzt die klug ausgewählten, oft metaphorisch eingesetzten Spielfilmausschnitte bei. Schon die Ouvertüre, eine knappe Szenenfolge von der Ankunft Dean Reeds auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld 1971 bis zur Trauermeldung in der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ (1986), enthält eine Sequenz aus dem „Taugenichts“-Film, in der eine junge Frau mit einer Blume übers Wasser eines Sees streift – ein Verweis auf Reeds Todesumstände. Später gibt es eine Szene aus dem DEFA-Indianerfilm „Blutsbrüder“ (1975), in dem die von Reed gespielte Hauptfigur nach einem Massaker an Indianern eine US-Flagge zerbricht. Die Episoden über Reeds Verhalten nach der Biermann-Ausbürgerung wird mit einer weiteren Szene aus dem „Taugenichts“ eingeleitet, in der das Lied „Die Gedanken sind frei“ erklingt. Zu den kuriosen Entdeckungen des Filmteams gehört eine Jugendsendung des DDR-Fernsehens mit einer Live-Telefonschaltung zu dem „in den USA eingekerkerten“ Sänger, in dem dieser davon erzählt, wie prächtig es ihm gehe. Dass „Der rote Elvis“ auf eine Rekonstruktion des Lebens von Dean Reed vor seinem Aufenthalt in der DDR, also auf Kindheit und Jugend, Kinoauftritte in Italien oder Tourneen in der Sowjetunion bewusst verzichtet, verhilft ihm zu Dichte und Konzentration. „Der rote Elvis“ kommt ohne Kommentar aus. Interviews und Filmzitate sprechen, klug montiert, ihre eigene Sprache. Dem Lebensbild Dean Reeds gibt es nun eigentlich nichts mehr Wesentliches hinzuzufügen. Ob sich Tom Hanks und Steven Spielberg, wie vor Jahren geplant, weiter an einem Spielfilm zum selben Thema versuchen wollen, ist ungewiss. Authentischer als „Der rote Elvis“ wird das Biopic nicht ausfallen können. Einigen der im Abspann genannten Gesprächspartner, die im Film keinen Platz mehr fanden, wird man hoffentlich auf einer späteren DVD begegnen: so den Politikern Lothar Bisky und Peter-Michael Diestel, der Diseuse Gisela May und dem Publizisten Victor Grossman.
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