Ein Kompilationswerk als Liebeserklärung an Paris, bei dem 22 Regisseure jeweils ein anderes Arrondissement als Schauplatz für insgesamt 18 Kurzfilme wählen. Die hohe Kunst des flirrenden Buketts besteht darin, dass die Handschriften der Filmemacher jederzeit erkennbar bleiben, ihre raffinierten Fingerübungen aber zugleich in einen beschwingten Bogen eingebunden sind, der durch die unterschiedlichsten Facetten des Pariser Lebens leitet. Das Staraufgebot, die Vielfalt der Sujets und einfallsreichen Plots sowie die klug strukturierte Zusammenstellung ermöglichen zahlreiche Entdeckungen in den unterhaltsamen, mal wehmütigen, häufig humorvollen Geschichten, die ein positiver Grundton verbindet.
- Sehenswert ab 14.
Paris, je t'aime
- | Frankreich/Schweiz/Deutschland/Liechtenstein 2006 | 120 Minuten
Regie: Bruno Podalydès
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Filmdaten
- Originaltitel
- PARIS, JE T'AIME
- Produktionsland
- Frankreich/Schweiz/Deutschland/Liechtenstein
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Victoires International/Filmazure/Canal+/Pirol Stiftung/X-Filme Creative Pool
- Regie
- Bruno Podalydès · Gurinder Chadha · Gus Van Sant · Ethan Coen · Joel Coen
- Buch
- Emmanuel Benbihy · Bruno Podalydès · Paul Mayeda Berges · Gurinder Chadha · Gus Van Sant
- Kamera
- Matthieu Poirot-Delpech · David Quesemand · Pascal Rabaud · Bruno Delbonnel · Eric Gautier
- Musik
- Christophe Monthieux · Leslie Feist · Pierre Adenot · Marie Sabbah · Tom Tykwer
- Schnitt
- Anne Klotz · Simon Jacquet · Hisako Suwa · Alex Rodríguez · Luc Barnier
- Darsteller
- Bruno Podalydès (Fahrer) · Leïla Bekhti (Zarka) · Cyril Descours (François) · Marianne Faithfull (Marianne) · Elias McConnell (Elie)
- Länge
- 120 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (4:30 Min.) sowie Storyboards zum Segment "Tour Eiffel" von Sylvain Chomet (5 Min.). Durch die Möglichkeit, alle Kurzfilme einzeln anzuwählen, ergibt sich gegenüber dem in einem Stück laufenden Kinofilm die Möglichkeit, die Episoden neu zu kompilieren.
Diskussion
Kinoküsse auf dem Eiffelturm, Händchen haltende Paare am Ufer der Seine: Paris formt die Traumkulisse ungezählter Filmromanzen. In „Paris je t’aime“ tritt die Hauptstadt der Liebe selbst in den Vordergrund, wird Protagonistin eines Gesamtkunstwerks, das sich aus vielen kleinen Kinopretiosen zusammensetzt. 21 namhafte Regisseure aus aller Welt – von Tom Tykwer über die Coen-Brüder, Isabel Coixet, Alfonso Cuarón bis zu Gurinder Chadha, Wes Craven und Gus Van Sant – liefern für dieses von Emmanuel Benbihy und Claudie Ossard („Le Fabuleux destin d’Amélie Poulain“) produzierte, außergewöhnliche Projekt eigene Kurzfilmbeiträge. Alle Filme spielen im heutigen Paris und fast alle handeln, wie könnte es anders sein, von der Liebe. Doch nicht nur. Auch kulturelle Spannungen, soziales Gefälle, Gewalt, Trauer und Einsamkeit werden in Szene gesetzt; mal ironisch, mal melancholisch. Die Filmemacher verschließen nicht die Augen vor den Problemen der Millionenmetropole, tauchen jedoch selbst deren Schattenseiten in ein poetischzärtliches Licht.
Steve Buscemi gibt in „Tuileries“ von Joel & Ethan Coen einen drolligen Touristen, der in der Métro verprügelt wird, weil er einer hübschen Französin zu lange in die Augen geschaut hat. In einer der schönsten Episoden, Gurinder Chadhas „Quais de Seine“, verliebt sich ein Jugendlicher in eine Muslimin. Kulturelle und filmische Klischees prallen aufeinander: der coole Sprücheklopfer und das verschüchterte, verschleierte Mädchen. Normalerweise kann der Kino-Romeo in solchen Fällen schon mal den Dolch wetzen. Chadha aber lässt den westlichen Zuschauer mit seinen Vorurteilen ins Leere laufen. Nicht einmal der gestrenge, gläubige Großvater des Mädchens ist das, was er in den Augen des jungen Franzosen zunächst zu sein scheint. Der Kurzfilm präsentiert eine vielleicht idyllische Perspektive auf Paris; es ist aber ein Idyll, das nicht einlullt, sondern Mut macht, unabhängig vom ersten Anschein und trotz aller kulturell-religiösen Konflikte offen aufeinander zuzugehen. Bei Nobuhiro Suwa trauert eine Mutter (Juliette Binoche) um ihren verstorbenen Sohn. Dass ihr am nachtleeren „Place des Victoires“ im Zwischenreich von Wahn und Magie à la David Lynch ein Cowboy auf einem Pferd begegnet, der sie ein letztes Mal von ihrem Jungen Abschied nehmen lässt, beraubt ihr Leid nicht seiner Würde. Es fügt ihm nur eine tröstende Seele hinzu. Paris, so lässt sich die Szene lesen, wäre nur ein leerer, hohler Ort ohne die Menschen, die dort leben, mit ihren Sehnsüchten, Hoffnungen und eben ihrer Liebe.
Auch von der Liebe und doch ganz anders erzählt der Kanadier Vincenzo Natali: In „Quartier de la Madeleine“ verfällt ein junger Mann (Elijah Wood) einer Vampirin. Im Stile einer Comic-Verfilmung signalisiert das kitschige knallrote Blut, das über die grau schimmernde Straße rauscht, eine schwarz-romantische Vermählung. Noch einmal auf eine völlig andere Weise widmet sich Oliver Schmitz in „Place des Fêtes“ dem Gefühl, das Paris seinen Beinamen gab. Ein Sterbender gesteht einer Rettungshelferin seine Liebe. In mehreren Rückblenden erinnern sich beide an ihre wenigen, kurzen, meist flüchtigen Begegnungen. Zum gemeinsamen Kaffee kam es nie. Tom Tykwers „Faubourg Saint-Denis“ liefert gewissermaßen den Prototypen für das Gesamtprojekt. Mit Tykwers Werk als Vorzeigefilm und später dem Beitrag der Coen-Brüder versuchten die Produzenten, weitere Regisseure für ihr Vorhaben zu begeistern. Mit Erfolg. Die Mischung aus international namhaften und nicht ganz so namhaften Filmemacherinnen und Filmemachern geht auf. Tykwers ein wenig verkünsteltes „Lehrbeispiel“, in dem sich ein Blinder in eine Schauspielschülerin (Natalie Portman) verliebt, bleibt am Ende nicht einmal als einer der herausragenden Beiträge in Erinnerung. Nachhaltiger, weil eindringlicher wirkt etwa die Regiearbeit der beiden brasilianischen Filmemacher Walter Salles und Daniela Thomas, die in „Loin du 16ème“ lebensnah und sozialkritisch von einer jungen lateinamerikanischen Mutter erzählen, die ihren Säugling morgens in einer anonymen Kindertagesstätte abgeben muss, um anschließend das Baby einer wohlhabenden Familie zu betreuen. Vielfältige, inhaltlich und stilistisch unterschiedliche Kurzfilme verdichten sich zu einem schillernden Kaleidoskop der Handschriften. Jeder der Beiträge überzeugt für sich genommen durch professionelle filmische Qualität; die meisten erzählen kluge, unterhaltsame, manchmal wehmütige, häufig humorvolle Geschichten. Doch wie so oft bei Kurzfilm-Sammlungen verliert sich der Eindruck des einzelnen Werks im Ansturm der vielen. Dieses Grundproblem des Kurzfilms, der allein einen Kinoabend nicht trägt und im Zusammenspiel mit anderen an individueller Wirkkraft einbüßt, wird in „Paris, je t’aime“ aufgefangen, indem jeder der Filme, die jeweils nach verschiedenen Arrondissements benannt sind, im Grunde nur einen Teilabschnitt eines buntscheckigen cineastischen Stadtplans markiert. Gemeinsam ist allen ein positiver Grundton. Obwohl die meisten am Film beteiligten Regisseure sich in Paris einigermaßen auskennen dürften, dominiert der Außenblick. Eine realistisch-nüchterne Analyse der Pariser Gesellschaft findet nur selten statt. „Paris, je t’aime“ ist eine üppige, bildschöne Liebeserklärung, eine mit Stars wie Willem Dafoe, Nick Nolte oder Fanny Ardant gespickte Hommage an ein Paris der Touristen, der Liebenden und der Filmemacher.
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