Nach dem Umzug von Berlin nach Kassel bricht eine junge Ärztin aus ihrem Alltag aus, verlässt Mann und Tochter, flieht für einige Tage zu ihrem Bruder in den Harz und lässt sich in einem abseits gelegenen Hotel auf den Flirt mit einem gealterten Tennis-Star ein. Die wortkarge, meisterhaft fotografierte Beschreibung eines stagnierenden Lebens, die ihre stimmigen Charaktere mit feinen Andeutungen präzise einfängt. Dabei erzählt der Film in subtilen Andeutungen von Menschen, die ihre Unzufriedenheit eher unbewusst empfinden und deren Ausbruchsversuche folglich ohne Zielrichtung sind.
- Sehenswert ab 16.
Montag kommen die Fenster
Drama | Deutschland 2005 | 92 Minuten
Regie: Ulrich Köhler
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Ö Filmprod./ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
- Regie
- Ulrich Köhler
- Buch
- Ulrich Köhler
- Kamera
- Patrick Orth
- Schnitt
- Kathrine Granlund
- Darsteller
- Isabelle Menke (Nina) · Hans-Jochen Wagner (Frieder) · Ilie Nastase (David Ionescu) · Amber Bongard (Charlotte) · Trystan Wyn Pütter (Christoph)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
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Eine ganz einfache, eine sehr komplizierte Geschichte: Die Ärztin Nina ist mit ihrem Mann Frieder und der gemeinsamen Tochter Charlotte von Berlin nach Kassel gezogen. Während Frieder Hausmann ist, hat Nina eine neue Stelle in der Klinik angetreten. Jetzt hat sie einige Tage Urlaub. Im neuen Haus muss man sich erst noch einrichten. Die alten Tapeten müssen herunter, der Flur muss gefliest werden, und: Montag kommen die Fenster. Frieder scheint zufrieden mit seinem Leben, kümmert sich um diese Dinge. Nina ist schwanger – vielleicht. Von Beginn an wirkt sie unzufrieden und wortkarg. Als Charlotte sie an den Haaren zieht, reagiert sie mit einer Härte, die das Kind verschreckt. Eines Abends macht sie sich unter einem Vorwand davon. Später wird Nina Frieder am Telefon sagen: „Ich komme nicht zurück.“ Doch ihr Aktionsradius ist eingeschränkt: Nina sitzt in der Falle. Zunächst besucht sie ihren Bruder Christoph, der mit seiner Freundin einige Tage im Familien-Blockhaus im Harz verbringt. In der Nähe befindet sich, mitten im Wald, ein Hotel, in das Nina eines Abends eindringt. Sie erkundet Räume und Flure und wird Zeugin einer Veranstaltung, bei der ein in die Jahre gekommener Ex-Tennisstar namens David Ionescu Charity-Matches absolviert. Nina und David kommen ins Gespräch, später entwickelt sich ein beiläufiger Flirt. Als Nina zum Ferienhaus zurückkommt, wird sie von Christoph, Frieder und Charlotte erwartet, die sich Sorgen machen. Doch es wird noch dauern, bis sich die Wogen wieder glätten.
„Alle beruhigen sich wieder“, weiß Nina bereits zu Beginn. Frieder, der sich während Ninas Auszeit seiner Ex-Freundin zugewandt hat, scheint da nicht so ganz sicher. Von einem gehörigen Misstrauen gegenüber dem, was gewöhnlich als Figurenpsychologie bezeichnet wird, ist auch Ulrich Köhlers zweiter Spielfilm geprägt. Bloß nicht zu viele Indizien um die Figuren herum organisieren, bloß nicht sämtliche Charakteristika in Dialoge fließen lassen, bloß nicht durch Informationsdichte die Beobachtungsgabe einschränken, scheint, wie bereits bei „Bungalow“ (fd 35 810), der Anspruch ans Drehbuchs gewesen zu sein. Die daraus resultierende Freiheit für die Darsteller wie auch für den Zuschauer tut dem Film ausgesprochen gut. Die Schweigsamkeit und Passivität der Figuren öffnen den Film einem reflektierten Realismus, der auf einer subtileren Ebene mit dem Zuschauer kommuniziert. So erscheint „Montag kommen die Fenster“ zunächst wie eine Variante der Revolte in „Bungalow“ unter veränderten Bedingungen. Agierte der Protagonist in „Bungalow“ noch im Nachklang der Postpubertät, so ist die Situation von Nina und Frieder deutlich erwachsener. Gegenüber ihrem Bruder erwähnt Nina einmal, dass sie nicht genau wisse, warum sie stets Charlotte und nicht ein anderes Kind aus dem Kindergarten abhole. Wenngleich man nur wenig über die Vorgeschichte des Paares erfährt, scheinen die Figuren doch in etwas hineingeschlittert zu sein, was sich zu einem Lebensentwurf verdichtet hat, der ihnen nun die Luft abschnürt. Man richtet sich ein, ist verheiratet, hat ein Kind und einen Job, der es sogar erlaubt, dass Frieder aussteigt und sich als Hausmann verwirklicht. Als Rettungsanker sind zur Not Frieders Eltern in der Nähe, deren Wohlsituiertheit ein Blick durchs Wohnzimmerfenster zeigt. Erinnert man sich indes daran, dass einmal Musik von „Ton Steine Scherben“ zu hören ist, merkt man, dass Köhler gar nicht so sparsam mit Informationen umgeht. „Montag kommen die Fenster“ entwirft ein präzises Generationenporträt von altgewordenen Achtundsechzigern und deren Kindern, die sich recht mühelos etabliert haben und deren lässiger Habitus es erlaubt, dass Charlotte sich am Abendbrottisch einen Schluck Bier einschenkt.
Ein besonderer Coup ist die Besetzung des Tennis-Intellektuellen und „Provos“ par excellence mit Ilie Nastase, der, in die Jahre gekommen, durch die Provinz tingelt und sich zynisch als „Hure“ sieht. Die kurze, fast somnambule und merkwürdig erotisch-unerotische Begegnung Ninas mit dem Ex-Star liefert einen zentralen Satz: „You live in a country where people eat well, drink well, fuck well and take tennis too serious.“ Tragödien sind unter solchen Bedingungen nicht mehr möglich, die Verhältnisse sind derart flexibel, dass sie jede Bewegung ersticken. In „Sehnsucht“ (fd 37 773) von Valeska Grisebach konnten sich die kleinbürgerlichen Akteure durch ihre nicht-kontrollierten Gefühle noch problemlos in jene Fallhöhe katapultieren, wo Ausbruchsversuche lebensgefährlich werden – in Köhlers kühler, seltsam ausgeblichener Welt ist so etwas nicht mehr denkbar. Der Tod des Nachbarn durch eine Verwechslung von Medikamenten ist denn auch fast eine komische Verkettung unglücklicher Umstände. Doch in einer Welt, wo die Gebrauchsanweisungen von Medikamenten mühselig übersetzt werden müssen, sind die Ninas und Frieders ohnehin nur Gäste, die am Rand stehen und sich den Luxus einer kurzen Sinnkrise leisten.
Dass der Film so vorzüglich funktioniert, hat einerseits mit der in jeder Einstellung wohl überlegten, meisterlich präzisen Kameraarbeit von Patrick Orth zu tun, der die Räume derart unglamourös inszeniert, dass man die Muffigkeit der Verhältnisse zu riechen meint. Andererseits ist die Besetzung perfekt. Hans-Jochen Wagner liefert ein brillantes Porträt des „neuen Mannes“, der seine Aggressionen schon mal hilflos an einem Fahrrad auslebt; Isabelle Menke ist wunderbar als Frau, deren Ausbruchsversuch kindlich-kiebig ohne Richtung bleibt, und deren größter Freiheitsgewinn darin besteht, die Minibar im Hotel zu plündern und kalten Braten mit den Fingern zu essen. Montag kommen dann tatsächlich die Fenster – und mit ihnen Devid Striesow, der noch einmal die Verbindung zu „Bungalow“ unterstreicht. Es sind die falschen Fenster! Jetzt wäre es für Frieder an der Zeit, richtig aufzubegehren, doch gerade jetzt hat er ganz andere Sorgen. Wenn die Fenster nicht eingesetzt werden und das Leben eine Baustelle bleibt, dann wäre das in anderen Filmen ein Hoffnungsschimmer; in Köhlers Welt ist es ein letzter grausamer Scherz der Verhältnisse.
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