Am Heiligabend des Jahres 1960 wird einer kanadischen Familie ein Junge geboren, dem heilende Kräfte zugesprochen werden. Der Junge hat aber eher Probleme mit der Mutter, die ihn herumreicht, seinen vier neidischen Brüdern, dem Vater, der seine aufkeimende Homosexualität ablehnt, und der Zeit der Jugend und des Erwachsenwerdens, in der Rock-Stars zu seinen Helden werden. Sehr unterhaltsam und manchmal auch wehmütig beschreibt der Film die Achterbahnfahrten des Aufwachsens in einer Durchschnittsfamilie. Eine originelle Familiengeschichte und zugleich eine treffende Epochenbeschreibung.
- Ab 14.
C.R.A.Z.Y. - Verrücktes Leben
- | Kanada 2005 | 127 Minuten
Regie: Jean-Marc Vallée
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Filmdaten
- Originaltitel
- C.R.A.Z.Y.
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Cirrus Comm./Crazy Films
- Regie
- Jean-Marc Vallée
- Buch
- François Boulay · Jean-Marc Vallée
- Kamera
- Pierre Mignot
- Musik
- David Bowie
- Schnitt
- Paul Jutras
- Darsteller
- Michel Côté (Gervais Beaulieu) · Marc-André Grondin (Zachary Beaulieu als Erwachsener) · Danielle Proulx (Laurianne Beaulieu) · Émile Vallée (Zachary Beaulieu als Kind) · Jean-Luc Brillant (Raymond Beaulieu)
- Länge
- 127 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Die 1970er-Jahre, denen sich immer wieder Regisseure in Deutschland, Frankreich, den USA und anderswo zuwenden, haben, wie jede Epoche, ein Image und eine Wahrheit. Sie waren Glamour und Muff: Kommerzialisierung der Rebellion in der großen, kleinen Welt des „Showbiz“ einerseits, noch längst nicht überwundene Nachkriegsspießigkeit andererseits, ob in Berlin, San Francisco – oder Montreal, wie dieser Film zeigt. Auf der Grundlage der Erlebnisse des Mitautors François Boulay erzählt der Film „C.R.A.Z.Y“ die Geschichte eines Erwachsenwerdens, genau genommen den schwierigen Weg vom Tag, da man in eine vom Schicksal ausgesuchte Familie geworfen wird, über die Zeit, da man sich sexuell und musikalisch orientiert, bis hin zum Moment, da man am Scheideweg steht zwischen Bruch oder Kontinuität, was das Verhältnis zur Familie angeht.
Es ist alles da: die erste Zigarette und der erste Joint, die erste Liebe und der erste Herzschmerz, die liebevolle Mama und der fordernde Vater, die nervenden Brüder und die manchmal seltsamen Freunde, die Apotheose der Rock-Stars und der eigene Weltschmerz. Aber etwas ist anders an Zachary. Er wird an einem Heiligabend geboren, was die Mutter schon für ein erstes Zeichen hält. Ein weiteres ist, dass Zac kleine Beschwerden offenbar heilen kann, selbst übers Telefon. Wie ein göttlicher Wunderknabe wird der Junge fortan herum gereicht, was ihm überhaupt nicht schmeckt und seine vier Brüder neidisch und kaltherzig werden lässt, ganz zu schweigen von der Welt außerhalb der heimischen vier Wände. Die Eltern, eben noch kritiklos verehrt, werden zunehmend peinlich. Mutters Heimchenrolle nervt, und Vater singt eben doch nicht ganz so gut wie Charles Aznavour. Aber das sind alles Kleinigkeiten, verglichen mit dem Moment, in dem der Vater seinen Lieblingssohn in Mutters Fummel erwischt – Schwule hat es nicht zu geben in seiner Familie. Daran hält sich Zac auch, jedenfalls so lange, wie es geht.
Ein bestechendes Element an dem Film ist seine Balance zwischen sehr eigenwilligen Geschichten und Regie-Einfällen sowie den allgemeingültigen Beobachtungen, die dahinter stecken. Meistens leise, manchmal wehmütig und selten grell ist der Humor des Films, und obwohl sich die erzählte Handlung über zwei Jahrzehnte hinzieht, behält sie anhand einiger wesentlicher Themen die Kontinuität der Geschichte im Auge. Da ist der gefährdete Zusammenhalt der Familie, um die sich niemand recht zu kümmern scheint, auf die aber niemand verzichten will und kann. Da ist das Coming-of-Age in einer Epoche, die trotz aller Hypes noch weit entfernt ist vom Jugendwahn und insofern nur das Streben nach dem Erwachsensein kennt – nur eben nach einem, das sich von den anderen Erwachsenen unterscheidet; und da ist das Coming-out-Drama, das eben keine Komödie ist, sondern eine ernste, manchmal bittere Angelegenheit: Ein Mitschüler, der Zac mit dessen latenter Homosexualität konfrontiert, wird von diesem schwer verprügelt, weil nicht sein soll, was nicht sein darf, um die Anerkennung des Vaters nicht zu verlieren; und da ist die christliche Symbolik, die zusehends an Gewicht gewinnt. Zac erlebt dreimal eine Wiederauferstehung, weil er dreimal das Schicksal herausfordert, er erlebt Sünde, Läuterung und Buße, etwa gegenüber seinem Bruder, der ignorant und drogensüchtig, aber eben auch cool und sexuell aktiv ist, und den er schließlich verrät. Und er erlebt Erlösung. Dafür muss er allerdings wie die Pilger oder die alttestamentarischen Juden nach Jerusalem ziehen. Das Prinzip der Überhöhung, das den Film kennzeichnet, greift auch hier: Die Dinge werden zu Ende gedacht und -fantasiert, bis der Geist frei ist und die Katharsis einsetzt, die Erlösung. So ist der brillant gespielte Film zugleich hautnah und metaphysisch, realistisch und allegorisch, familiär und soziologisch. Unter den zahlreichen kanadischen Filmen zum Thema Homosexualität ist er zweifellos eine Perle.
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