Workingman's Death

Dokumentarfilm | Österreich/Deutschland 2005 | 126 Minuten

Regie: Michael Glawogger

In fünf Bildern und einem Epilog unternimmt der essayistische Dokumentarfilm den Versuch, dem allmählichen Verschwinden schwerer körperlicher Arbeit aus dem Lebenskontext der Moderne auf die Spur zu kommen. In ausgesuchten, bildmächtigen Einstellungen werden Bergarbeiter in der Ukraine porträtiert, die auf eigene Faust Kohle abbauen, indonesische Kulis, die zentnerschwere Kiepen voller Schwefel ins Tal schleppen, das blutige Treiben auf einem Schlachthof in Nigeria, die lebensgefährliche Verschrottung von Öltankern in Pakistan, Stahlarbeiter in China. Die mitunter fast circensischen Schauwerte des Gesehenen werden durch ein ausgeklügeltes Sound-Arrangement, die betörende Musik des Avantgarde-Künstlers John Zorn und durch den O-Ton des Films ebenso klug wie assoziationsreich unterstützt. Ein irritierend-visionärer Film, der nicht nur nach der Veränderungen moderner Arbeitswelten fragt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WORKINGMAN'S DEATH
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Lotus Film/Quinte Film/arte
Regie
Michael Glawogger
Buch
Michael Glawogger
Kamera
Wolfgang Thaler
Musik
John Zorn
Schnitt
Monika Willi · Ilse Buchelt
Länge
126 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, ein informatives Booklet sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Real Fiction (1.78:1, DD2.0 div.)
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Diskussion
Michael Glawoggers neuester Dokumentarfilm macht es dem Zuschauer nicht leicht. Was will allein der Titel sagen? Spielt er auf den physischen Tod der Arbeiter an, die in den ausgewählten Extrembeispielen des Grazer Regisseurs ihre Haut im wahrsten Sinn des Wortes zu Markte tragen? Zielt er auf die Auszehrung der Arbeiterklasse im soziologischen Sinn ab, die, jenseits aller gesellschaftlichen Organisationsformen, ihr Leben als Geworfenheit ins Dasein zu akzeptieren hat? Oder konfrontiert er schlicht mit dem Verschwinden schwerer körperlicher Arbeit, die angesichts der Globalisierung nur noch an den Rändern des Globus zu finden ist? Vielleicht aber ist „Workingman’s Death“ auch nur ein Bilderrausch der Extreme, der den ans Lamentieren gewöhnten Westeuropäer angesichts von Dauerarbeitslosigkeit, Hartz IV und ähnlichen Reglementierungsversuchen mit Arbeitswelten konfrontieren will, die das normal Fassbare schlicht übersteigen? Gerahmt wird Glawoggers in fünf Stationen unterteilter Film, der Elemente von Dantes Inferno mit Szenen Breughelscher Eindringlichkeit verbindet, von Bildern aus Zeiten, in denen Arbeit noch hoch im Kurs stand – zumindest wenn man der Propaganda glaubt. So liefern Aufnahmen aus KGB-Archiven den Einstieg, die den stalinistischen Paradearbeiter Alexei Stachanow 1935 unter Tage zeigen, bei jener legendären Schicht, in der er im Alleingang 102 Tonnen Kohle abgebaut haben soll. Der Dank des Vaterlandes war Stachanow gewiss, sein Denkmal, unter dem samstags immer noch Hochzeitspaare posieren, ziert nach wie vor den Hauptplatz der ukrainischen Stadt Donbass und soll an jene vermeintlich gute Zeit und ihre Ideale erinnern. Heutzutage macht Planübererfüllung ohne Plan jedoch nur noch wenig Sinn; die einstigen Helden der Arbeit führen ein Leben am Rande des Existenzminimums. Auch die fünfte Episode in China, die knapp und eher als Apendix vom vagen Anschluss der Stahlproduktion an den Weltmarkt erzählt, schlägt eine Brücke zur angeblich glorreichen Vergangenheit, auch hier in Form eines Denkmals, das als sozialrealistisches Gruppenbild den revolutionären Kampf idealisiert. Die Gegenwart sieht – bei allem Zweckoptimismus – freilich anders aus. Heute stellen die Kinder der Stahlkocher das patriotische Monument in Form eines lebenden Bildes nach – nur so zum Spaß, und in der letzten Einstellung lässt Glawogger während des Abspanns seinen Film rückwärts laufen: Nun geht ein einsamer Chinese aus der Episode, die euphemistisch „Zukunft“ heißt, anscheinend in die Vergangenheit zurück. In eine Zeit, als es noch Zukunft und Ideale gab? Natürlich darf man von einem Dokumentarfilm nicht erwarten, dass er ein unverstelltes Abbild der Wirklichkeit zeigt. Die politischen Intentionen des Regisseurs fließen ebenso ein wie sein Stilwille, und davon hat Glawoggers Film einiges zu bieten. Allein die pathetisch-ironische Titelung der einzelnen Episoden („Helden“, „Geister“, „Löwen“, „Brüder“) will in Korrespondenz mit den gezeigten Bildern gestellt werden, die wiederum so exotisch-atemberaubend sind, dass es einem das Denken verschlagen kann. In der Urkaine kriechen arbeitslose Bergarbeiter in 40 Zentimeter schmale Flöze und ringen dem Berg eine Handbreit vor ihrem Gesicht kiloschwere Gesteinsbrocken ab („Helden“), indonesische Tagelöhner machen sich auf den beschwerlichen Weg, um nach einem obligatorischen Ziegenopfer ihre Kiepen mit den Schwefelablagerungen eines Vulkans zu füllen und die bis zu 100 Kilogramm schwere Last an staunenden Touristen vorbei ins Tal zu schleppen („Geister“). Die Episode „Löwen“ macht mit dem blutigen Alltag in einem Schlachthof im nigerianischen Port Harcourt vertraut, in dem Ziegen und Kühe geschächtet und anschließend über brennenden Autoreifen geröstet werden. Dann entführt der Film nach Pakistan, wo an einem einsamen Strand Ozeanriesen in ihre Stahlbestandteile zerlegt werden. Dieses vierte Bild der Arbeit („Brüder“) ist das vielleicht bizarreste des Films, weil sich hier gar nichts mehr selbst erklärt; die lebensgefährliche Arbeit der gottesfürchtigen Muslime erscheint als Tätigkeit im Auftrag einer nicht näher definierbaren Obrigkeit, weshalb die Arbeiter nicht müde werden zu behaupten, schon längst mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Nach diesen überwältigen Bildern sind die Aufnahmen aus China mit ihren vermeintlich glücklichen Stahlwerkern und ein kurzer Nachklapp aus Duisburg-Meiderich, wo eine 1985 stillgelegte Stahlhütte unter Mitwirkung des englischen Lichtkünstlers Jonathan Park in eine industrielle Parklandschaft verwandelt wurde, als eine Art Austrudeln eines Films anzusehen, der sich an seiner eigenen Gewichtigkeit erschöpft hat. In Duisburg-Meiderich ist von Arbeit nicht mehr die Rede, statt dessen tummeln sich Schulklassen auf dem Gelände, die Schüler ärgern sich gegenseitig mit Wasserbomben oder geben sich neckische Küsse. Glawoggers Film ist weit entfernt von den ethnologischen Beschreibungen, wie sie etwa Filme der Dokumentaristen Erich Langjahr oder Jacqueline Veuve ausmachen, er stellt Arbeit als pittoreskes Überlebensspiel dar, wobei die exzellente Kameraarbeit von Wolfgang Thaler eine kongeniale Unterstützung durch den Soundtrack des Avantgarde-Musikers John Zorn erhält, der, bei aller Zurückhaltung, den einzelnen Episoden seinen Stempel aufdrückt und regionale Klänge mit seiner Weltmusik mischt, immer aber auch ein offenes Ohr für die Originaltöne des Films hat. Beispielsweise in der Indonesien-Episode, wenn das Knarren der Tragegestelle den eigentlichen Rhythmus des Films vorgibt und die Mühsal der Arbeit akustisch erfahrbar macht. Diesem Inszenierungskonzept ist auch die Farbgebung des Films verpflichtet, der jeder einzelnen Episode eine andere dominante Farbe zuordnet, die sich aufgrund der Arbeit und der Werkstoffe quasi von selbst ergibt. Glawogger stellt eine Arbeitswelt vor, die an ihre eigenen Ursprünge zurückführt, er nutzt seine pathetische Denkmal-Verklammung aber auch, um seine Protagonisten im Mittelteil der jeweiligen Episoden, in den Erholungsphasen, wenn über Gott und die Welt, Frauen und Musik geredet wird, posieren zu lassen. So werden Heldenbilder überliefert, die verwegen, vermummt, mal mit nicht vorhandenen Presslufthämmern, mal mit Kalaschnikows ihre Selbstidealisierung formulieren. So sollen Bilder von etwas vermittelt werden, was sich nach der Meinung des Regisseurs überhaupt nicht darstellen lässt – Bilder von körperlicher Arbeit, die sich in westlichen Ländern in einer „light“-Kultur verflüchtigt hat. Hier sind freilich berechtigte Zweifel angebracht, ob man dem österreichischen Regisseur in allen seinen Extremüberlegungen folgen will. Stahl wird schließlich auch hierzulande noch gekocht und auch Kohle abgebaut, selbst Schlachthäuser werden Tag für Tag mit Tieren beschickt. Allerdings liefert die alltägliche, weitgehend auch automatisierte Arbeit wohl kaum so spektakuläre Bilder wie aus jenen Zonen, in denen die Menschen noch weitgehend mit der Hand zugange sind.
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