Dark Horse (2005)

Tragikomödie | Dänemark/Island 2005 | 104 Minuten

Regie: Dagur Kári

Ein junger Legastheniker verweigert sich allen Anforderungen des Daseins und driftet ziellos durchs Leben, bis seine Freundin schwanger und er von der Realität eingeholt wird. Ein letztes Mal bäumt er sich gegen die bürgerlichen Werte auf, bevor er Abschied von der Unbeschwertheit seiner Jugend nimmt. Die mit sympathischen Antihelden bevölkerte Tragikomödie findet schrittweise zu einem zart schwebenden Rhythmus und öffnet sich dabei für meditative Ruhemomente. Mit augenzwinkerndem Humor erzählt, entwickelt der Film seine Geschichte in einzelnen, klar voneinander abgetrennten Kapiteln. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VOKSNE MENNESKER
Produktionsland
Dänemark/Island
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Nimbus Film/Zentropa Ent./Zik Zak Kvikmyndir/DR TV-Drama
Regie
Dagur Kári
Buch
Dagur Kári · Rune Schjøtt
Kamera
Manuel Alberto Claro
Musik
slowblow
Schnitt
Daniel Dencik
Darsteller
Jakob Cedergren (Daniel) · Tilly Scott Pedersen (Franc) · Nicolas Bro (Großvater) · Morten Suurballe (Richter) · Nicolaj Kopernikus (Tejs)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie

Heimkino

Verleih DVD
good!movies (1:1.85/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Nachwuchsregisseur Dagur Kári, 1973 in Frankreich geboren, in Island aufgewachsen und an der Dänischen Filmhochschule in Filmregie diplomiert, ist ein Mann der raffinierten Einfälle: gerade so bizarr, dass sie Interesse nicht nur wecken, sondern auch halten können – und gerade konventionell genug, um sein Publikum nicht vor den Kopf zu stoßen. Nach seinem viel beachteten Erstling „Nói Albi-nói“ (fd 36 217), einer lakonischen Außenseiter-Ballade aus Island, entwirft Kári diesmal einen ganzen Mikrokosmos lebensfremder Charaktere, die zwischen dem Bedürfnis nach Ordnung und der Sehnsucht nach Unordnung in den Tag hineinleben, wobei sie von allerlei neurotischen Macken heimgesucht werden. Ihr karikaturhaft überzeichneter Nonkonformismus erinnert dabei unverblümt an den augenzwinkernden Humor, den schon Kaurismäki in „Das Leben der Bohème“ (fd 29 437) zur Vollendung brachte, oder an die wunderbar ins Leere laufenden Dialoge, die Jim Jarmusch in seinen frühen Filmen wie „Stranger Than Paradise“ (fd 24 712) kultivierte. Bis auf eine einzige Farbeinstellung in nostalgischem, kontrastreichem Schwarz-weiß gedreht, gibt sich die Inszenierung vorbehaltlos dem großstädtischen Schauplatz hin – nur dass ein seltsam altmodisches Kopenhagen als trostlose Attrappe des Sixties-Looks hier kaum wieder zu erkennen ist. Antihelden gibt es viele in dieser sympathischen Tragikomödie, doch keiner von ihnen lebt seine Verweigerung so unbeschwert wie der junge Legastheniker Daniel. Wenn er nicht völlig überschuldet in einem Wohnwagen haust oder sich in seinem Fiat 500 entspannt durch die menschenleere Stadt treiben lässt, verdient er Geld als Sprayer von fremden Liebeserklärungen, mit denen er regelmäßig den Unmut von Polizei und Justiz auf sich lädt. Etwas von diesem unbekümmerten Schlingeln und Gleiten durch angeeignete Terrains besitzt auch der Film, was ihm jedoch nicht zum Vorwurf gereicht, da er trotz bekannter Muster durchgehend zu unterhalten vermag. Auf Kollisionskurs mit der Außenwelt befindet sich auch Daniels bester Freund Roger, der zwar einem geregelten Job in einer Schlafklinik nachgeht und seinen Alltag nach einem klaren Moralkodex strukturiert, eigentlich aber von seiner Berufung zum Fußball-Schiedsrichter überzeugt ist – und das, obwohl er keinerlei Anstalten unternimmt, sein enormes Übergewicht loszuwerden. Unter Realitätsverlust leidet auch sein Verhältnis zu Frauen, wenn er das Liebesgeständnis einer nach der Einnahme von halluzinogenen Pilzen delirierenden Brötchenverkäuferin für bare Münze nimmt und erst zur selbstkritischen Einsicht gelangt, als ihm Daniel die notorisch verträumte Franc ausspannt. So unbeholfen die eigene Lebensplanung, so überfordert zeigt sich Daniel auch von Francs Schwangerschaft, die das Ende seiner fortgeschrittenen Junggesellenidylle einläutet. Ein letztes Aufbäumen gegen bürgerliche Familienwerte verschlägt ihn nach Spanien, wo er inmitten einer öden Wüstenlandschaft Abschied von der Unbeschwertheit der Jugend nimmt und zaghaft seine neue Vaterrolle akzeptiert. Episoden wie diese reiht Kári unter Kapiteln aneinander, die mit Titeln wie „Daniel gegen das System“, „Versuchskaninchen“ oder „Rote Karte“ an die Handlungsanleitung aus Stummfilmen erinnern. Ohne sich groß um logische Anschlüsse zu kümmern, konterkariert er Daniels Reifungsprozess mit der Midlife Crisis eines Richters, der ihn wegen Sachbeschädigung zu Sozialarbeit verurteilte. Der Beamte hat bereits all die Lebensetappen hinter sich gebracht, auf die Daniel erst zusteuert. Angeödet von der alltäglichen Routine aus Beruf und Familienleben, entflieht er auf einer vermeintlichen Dienstreise in ein Hotelzimmer, wo er, „bewaffnet“ mit einer Weinflasche, vor dem Fernseher solange die Zeit tot schlägt, bis der Kommentar eines greisen und weltentrückten Pianisten seine Aufmerksamkeit erregt: „Das Stück sollte eher geträumt als gespielt werden“, vertraut dieser seiner Schülerin an. Ein Ratschlag, den zumindest Kári meisterhaft verinnerlicht hat, denn „Dark Horse“ gewinnt spätestens in der zweiten, zum Existenzdrama tendierenden Hälfte einen ganz eigenen, zart schwebenden Rhythmus. Kunstvolle Zeitellipsen und meditative Ruhemomente treten an die Stelle gelegentlich allzu gefälliger Pointen, und auch wenn das Happy End in diesem überaus stilbewussten skandinavischen Kleinod nicht ausbleibt, lauert hinter der Versöhnung mit den Anforderungen des Lebens schon der nächste Absturz, und auch der Wille zum Befreiungsschlag ist nicht weit. Bleibt zu hoffen, dass auch Kári den Sprung in die Selbstständigkeit wagt und in seinem nächsten Film seine Vorbilder hinter sich lässt.
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