Viel ist über die Ausdauer der kleinen Leser gestaunt worden, die den literarischen Potter-Hefeteig begierig aufgefuttert haben, ohne sich über müde Augen oder Magenschmerzen zu beklagen. Dabei ist es doch so einfach: Wer erst einmal die altmodische Zeitmaschine zwischen zwei Buchdeckeln für sich entdeckt hat, kennt das Gefühl, der Tag vergehe wie im Flug. Einer der ersten, der ein kindliches Publikum mit entsprechendem Lesestoff versorgte, war der britische Professor C.S. Lewis. Seine in den 1950er-Jahren entstandenen „Chroniken von Narnia“ bringen es auf immerhin sieben Bände und schlagen mit ihrer auf Kindergröße genähten Parallelwelt thematisch den Bogen zwischen Tolkiens „Herr der Ringe“-Trilogie und Joanne K. Rowlings Harry Potter. Kein Wunder also, dass nun auch der erste Teil der „Narnia Chronicles“ in der Hoffnung auf eine erfolgreiche Serienproduktion verfilmt wurde.
„Die Chroniken von Narnia“ beginnen mitten in der irdischen Zeitrechnung des Zweiten Weltkriegs: Nach einem schweren Bombenangriff auf ihre englische Heimatstadt werden die Geschwister Peter, Susan, Edmund und Lucy aufs Land verschickt und finden sich bald auf einem alten Gutssitz wieder, der neben einem schrulligen Professor und einer lärmempfindlichen Haushälterin auch einen wunderlichen Kleiderschrank beherbergt. Von außen wirkt das heimelige Ungetüm gar nicht so ungewöhnlich, doch im Inneren eröffnet er der Versteck spielenden Lucy die weiße Winterwelt von Narnia. Hier macht sie die Bekanntschaft eines freundlichen Fauns, der Bücher über den „Mythos Mensch“ im Schrank hortet und bei einer Tasse Tee von einer Prophezeiung und einer bösen weißen Hexe raunt. Offenbar hat das ausschließlich von Fabelwesen und sprechenden Tieren bevölkerte Narnia nur darauf gewartet, dass vier Menschenkinder es entdecken. Der Sage nach werden sie die eisige Herrschaft der Hexe Jadis beenden und die einstmals grünen Auen wieder zum Blühen bringen.
Bis sich die Prophezeiung erfüllt und die Geschwister die verwaisten Throne von Narnia besteigen, ist es freilich noch ein weiter Weg: Zunächst müssen die dem Fantastischen nicht gerade zugeneigten älteren Geschwister durch den Kleiderschrank gezwängt werden und sich dann damit anfreunden, dass auch sie einen Krieg zu führen haben. Denn natürlich gibt sich die Hexe nicht kampflos geschlagen, sondern zieht zunächst Edmond, das Sorgenkind im wohlerzogenen Quartett, mit etwas Naschwerk auf ihre Seite. Dank eines kauzigen Biberehepaars können sich die verbliebenen drei Abenteurer vor dem Wolfsrudel der Hexe retten und werden auf ihrer Reise ins Rebellenlager sogar vom echten Weihnachtsmann bedacht: Peter, der älteste, bekommt Schwert und Schild geschenkt, Susan Pfeil und Bogen und die kleine Lucy ein Fläschchen mit Lebenselixier. Derart für die große Entscheidungsschlacht gerüstet und um den reuigen Edmond ergänzt, schließen sich die Geschwister den Truppen des mächtigen Löwen Aslan an.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass sich die befreundeten Professoren Tolkien und Lewis ausgerechnet über den Grad an Eklektizismus in ihren Werken zerstritten haben sollen. Denn natürlich eint die Bücher weit mehr als sie trennt: die fabulierende Gelehrsamkeit, das nordische Ideengut, die apokalyptische Vision und nicht zuletzt ihre Entstehungszeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die wesentlich zur Mobilmachung einer entrückten Fantasiewelt beigetragen haben dürfte. So zahlreich sind die Berührungspunkte zwischen den beiden Mammutwerken, dass auch ihre Verfilmungen ein wesentliches Merkmal teilen: Am besten funktionieren sie als Illustration des literarischen Texts. Wer sich schon an der Lektüre der „Narnia Chronicles“ begeistert hat, wird wohl auch an ihrer Visualisierung Gefallen finden – für alle anderen erwachsenen Zuschauer beginnt sich das Ganze hingegen bald wie Kaugummi zu ziehen.
Doch die entscheidende Frage ist ohnehin, ob „Der König von Narnia“ für sein Zielpublikum das sein kann, was der Kleiderschrank für die kindlichen Protagonisten und ein gutes Buch für seine Leser ist: Das Einfallstor in eine andere Welt, von der man einfach nicht genug bekommt. Für die begleitenden Eltern ist es vielleicht wichtiger zu wissen, dass „Die Chroniken von Narnia“ einen weit geringeren Blutzoll fordern als der „Herr der Ringe“. Zwar sieht die monströse Armee der Hexe Jardis für einen Kinderfilm wirklich zum Fürchten aus, dafür ist aber selbst im hitzigsten Gemetzel nicht ein einziger Tropfen Blut zu sehen. Ähnlich zurückhaltend ist Andrew Adamson, der Regisseur von „Shrek“
(fd 34 929) und „Shrek 2“
(fd 36 557), bei der pädagogischen Botschaft seines Films: Wie seine literarische Vorlage ist „Der König von Narnia“ ein christlicher Katechismus, der Kindern Aspekte der Religionsgeschichte in einer fabelhaften Erzählung um Krieg und Frieden nahe bringen will. Das ist selten so offensichtlich wie bei Aslans Opfergang und Auferstehung, und im Vergleich zum etwas forciert wirkenden Zusammenraufen der Geschwister mitunter geradezu subtil.