Eine Alleinunterhalterin, die durch die nordfranzösische Provinz tingelt, geht eine Beziehung mit einem arbeitslosen Lebenskünstler ein, besinnt sich nach einer Weile aber wieder auf Mann und Kind und kehrt zu den bürgerlichen Konventionen zurück. Lakonisch entwickeltes Road Movie, das mehr über die Vergänglichkeit der Zweisamkeit philosophiert als sich auf sein authentisches Liebesdrama vom Rande der Gesellschaft einzulassen.
- Ab 16.
Wenn die Flut kommt
Road Movie | Belgien/Frankreich 2004 | 90 Minuten
Regie: Yolande Moreau
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Filmdaten
- Originaltitel
- QUAND LA MER MONTE...
- Produktionsland
- Belgien/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Ognon Pic./Stromboli Films/RTBF
- Regie
- Yolande Moreau · Gilles Porte
- Buch
- Yolande Moreau · Gilles Porte
- Kamera
- Gilles Porte
- Musik
- Philippe Rouèche
- Schnitt
- Eric Renault
- Darsteller
- Yolande Moreau (Irène) · Wim Willaert (Dries) · Jackie Berroyer (Journalist) · Olivier Gourmet (Polizist) · Philippe Duquesne (Cafébesitzer)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Road Movie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Der Film gewann 2005 in Frankreich zwei „Césars“, für das beste Debüt und für die beste Hauptdarstellerin, was umso erstaunlicher war, als er dafür auffällig gemächlich und randständig daher kommt. Es ist eine dieser Geschichten, die das französische Kino liebt, weil sie von kleinen Leuten in der Provinz erzählt, von der Poesie des Alltags und des Glücks einer flüchtigen Begegnung. Ein mit grässlich belgischem Akzent parlierender Handwerker von der traurigsten Gestalt trifft in Nordfrankreich auf eine ebenso korpulente wie resolute Komödiantin, die mit ihrer One-Woman-Show „Sale Affaire“ in Altersheimen, Kindergärten und auf lokalen Theaterbühnen auftritt. Den Kontakt mit Mann und Kind hält sie per Handy, wenn sie in den fremden Hotelzimmern nachts das Heimweh einholt. Jeden Abend schminkt sich die Alleinunterhalterin die Arme blutrot, zieht ein gestreiftes Hausfrauenkleid über und schlüpft hinter eine gruselige Gesichtsmaske. Mit großer Verwandlungskunst verkörpert sie die hinterhältige und respektlose Kunstfigur einer Mörderin auf der Suche nach der großen Liebe, die sich jeden Abend einen anderen Liebhaber, genannt das „Kücken“, aus dem Publikum auf die Bühne holt.
Dazu gehört auch der arbeitslose Dries, der in einer Scheune haust und bei Faschingsumzügen gelegentlich ins Innere überlebensgroßer Pappmachéfiguren schlüpft. Der mal aufbrausende, mal schüchterne Aussteiger hängt sich an die reisende Volksschauspielerin, folgt ihr auf ihrer Tour als „Kücken“ und wird irgendwann nach langem Werben auch im wahren Leben ihr Liebhaber. Zusammen gehen sie „on the road“ durch eine graue Industrielandschaft, die von der dokumentarischen Kamera mit flüchtig aus dem Auto eingefangenen Naturbildern konterkariert wird. Einsamkeit und Empathie bringen das Musterexemplar eines kauzigen Außenseiter-Pärchens für kurze Zeit näher, ohne dass man etwas über ihre Vergangenheit erfahren würde. Das Drehbuch konzentriert sich ganz auf die Gegenwart: Mit Dries Clique feiern die beiden feucht-fröhliche Volksfeste und übernachten wie verspätete Hippies in freier Wildbahn – bis die kleinbürgerliche Konvention die verheiratete Frau überwältigt und ihr Realitätssinn der zaghaften Romanze den Garaus macht.
Yolande Moreau spielt in diesem lakonischen Road Movie nicht nur die Hauptrolle, sondern zeichnet auch zusammen mit Gilles Porte für das Drehbuch und die Regie verantwortlich. Dazu passt, dass die Ausgangsidee des Films an Moreaus eigene Biografie angelehnt ist: Mitte der 1980er-Jahre tourte sie mit der schwarzen Komödie „Sale Affaire du Sexe et du Crime“ durch Frankreich, die Schweiz und Kanada. Das Wissen um die Hochs und Tiefs eines Tournee-Lebens merkt man ihrem Debüt an. Fast in Echtzeit fängt sie die Monotonie der Auftritte ein, den Wechsel zwischen lärmender Bierzelt-Atmosphäre und stimulierendem Lampenfieber hinter der Bühne großer Theaterhäuser. Musikalisch untermalt mit Verdis „La Traviata“, setzt der Film aber auf allzu deutliche Kontraste zwischen gesellschaftlicher Norm und Abweichung und entgeht auch nicht immer der Verklärung einer unabhängigen Künstlerexistenz, anstatt wie Kaurismäki in „Das Leben der Bohème“ (fd 29 437) die Thematik augenzwinkernd zu dekonstruieren. Die Geschichte tritt deswegen immer wieder auf der Stelle und bleibt leicht vorhersehbar. Doch auch die Figuren sind allzu plump überzeichnet: Moreaus Frisur orientiert sich bisweilen an Pippi Langstrumpfs roten Zöpfen, und der Darsteller des Provinzbohemien Dries gibt sich abwechselnd als einfältiger Prolet und gutmütiger Dorfphilosoph. Es hilft dem Film auch nicht, dass er Anleihen bei Jean-Pierre Jeunet macht, wenn Eifelturm-Attrappen auf Straßenkreuzungen der Orientierung dienen und Hotelzimmer gelegentlich vor lauter kitschigen Blumentapeten den Bildrahmen sprengen. In solchen Momenten wird man den Eindruck nicht los, dass Moreau trotz allen Realismus doch nur ein Märchen über die Vergänglichkeit der Zweisamkeit erzählen möchte und kein authentisches Liebesdrama vom Rande der Gesellschaft. Sympathisch und bitter-süß fällt das erste dann auch aus; das zweite aber bleibt in seiner beobachtenden, scheinbar desillusionierten Zurückhaltung weniger ergiebig, als man sich wünschen würde.
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