Mike Binders Familiendrama beginnt mit einer tristen Szene: Dünner Regen fällt, schwarze Schirme versammeln sich auf einem Friedhof um ein offenes Grab. Die Kamera zeigt die Gesichter der Hinterbliebenen, einer schlanken, blonden Mittvierzigerin, ihres Partners und ihrer Töchter. Dann sieht man die kleine Familie schweigsam im Auto davon fahren, und eine Off-Stimme – die Stimme der jüngsten Tochter – beginnt, von einem länger zurückliegenden Ereignis zu berichten, das aus der früher freundlichen Mutter Terry Wolfmeyer eine wütende, zutiefst verbitterte und launische Frau gemacht hat. Der Film greift diesen Bericht auf und erzählt als lange Rückblende von der Veränderung: Eines Abends, beim Dinner, muss Terry ihren vier halbwüchsigen bis erwachsenen Töchtern mitteilen, dass ihr Mann sie verlassen hat – er sei, so erklärt sie, mit seiner jungen Sekretärin nach Schweden durchgebrannt. Der Verlust wirft Terrys sorgenfreies Dasein einer amerikanischen Hausfrau des gehobenen Mittelstands aus der Bahn und setzt einen schmerzhaften Prozess in Gang, den sie durchmachen muss, um die Demütigung und die Wut über den untreuen Mann zu verwinden. Terry ertränkt ihre Gefühle entweder in Alkohol oder lässt sie an ihren vier Töchtern aus. Dabei haben die auch ohne die Launen ihrer Mutter genug eigene Probleme.
Die Exposition am Grab wird nicht näher erläutert, weshalb man sich während des Films immer wieder fragt, wer eigentlich beerdigt wurde? Standen wirklich alle Wolfmeyer-Schwestern am Grab, oder ist es eine von ihnen, die zu Tode kam? Oder der junge Mann, in den die jüngste Tochter verliebt ist und der ihr mit einem Bungee-Sprung von einem Baum beweisen will, dass er nicht nur ein Maulheld ist?
Im Original heißt der Film „The Upside of Anger“ – was mit dem kitschigen deutschen Titel wenig zu tun hat. Denn gerade die Wut der verlassenen Frau ist das zentrale Thema; mit einer kuscheligen Liebesgeschichte hat man es bei Leibe nicht zu tun – dafür ist die Hauptfigur zu spröde und eigenwillig. Die Grundkonstellation einer Mittelstandsfamilie, die mit dem schockartigen Verlust des „Familienoberhaupts“ fertig werden muss, erinnert vage an „Anatomie einer Entführung“
(fd 36 840); doch anders als Pieter Jan Brugges Psychodrama schlägt Binder neben dramatischen auch komödiantische Töne an, wobei er es trotzdem schafft, eindrücklich ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie der zurückgelassenen Ehefrau der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Während Helen Mirren in „Anatomie einer Entführung“ als allein gelassene Ehefrau mit beängstigender Disziplin auf den Verlust reagiert und mit stählerner Selbstkontrolle ihre Fassung bewahrt, spielt Joan Allen Terry als eine Frau, die nicht versucht, den Anschein von Normalität zu bewahren, sondern sich von einer harmlosen Hausfrau in ein richtiggehendes Biest verwandelt, das wie ein verletztes Tier beißt und kratzt, um den Schmerz zu kompensieren. Joan Allen mag nicht zu den Stars der Ersten Liga in Hollywood gehören, doch sie hat immer wieder durch eindrucksvolle Charakterdarstellungen auf sich aufmerksam gemacht: Für „Nixon“
(fd 31 795), „Hexenjagd“
(fd 32 403) und „Rufmord – Jenseits der Moral“
(fd 35 465) wurde sie für den „Oscar“ nominiert. Sie schafft eine Figur, die man aufgrund ihrer Launenhaftigkeit eigentlich gar nicht mögen dürfte, die aber durch ihre Widersprüchlichkeit stets das Interesse fesselt. Mal lässt sich Terry gehen und zeigt sich dann wieder als Mittelklasse-Dame, mal ist sie altjüngferlich verhärmt und ruppig, dann locker und sinnlich, mal weinerlich, dann knallhart, mal unverständlich grausam, dann wieder zärtlich.
Hilfestellung bei der Neuerfindung ihres Lebens leistet Terry ihr Nachbar Denny, ein Ex-Baseballstar, der als Radio-DJ arbeitet. Kevin Costner spielt ihn als gutmütigen Verlierer, der allein in einem recht verkommenen Junggesellen-Haushalt lebt. Denny hat wie Terry eine Schwäche für zuviel Alkohol. Zunächst sucht er in der weiblichen Welt des Wolfmeyer-Haushalts nach Nestwärme und Rückhalt und genießt unter den attraktiven Frauen die Rolle als „Mann im Haus“, bis ihm Terry wieder einen Dämpfer verpasst. Im Lauf des Films entwickelt er im Umgang mit der komplizierten Frau, die ihn mal anzieht, dann wieder von sich stößt, ein bewundernswertes Durchhaltevermögen und schafft es schließlich, ihr zu helfen wieder Fuß zu fassen. Auch für Terrys Töchter bedeutet die Bekanntschaft mit Denny eine Erleichterung – nicht nur, weil er gelegentlich als Blitzableiter für die Wut der Mutter herhält oder sie immer wieder aufzumuntern weiß, sondern auch, weil er ein wenig praktische Lebenshilfe leistet. Im Zusammenspiel mit Joan Allen gelingt Costner der schauspielerische Schwebeakt zwischen emotionalem Drama und Komödie. Gerade wenn es darum geht zu zeigen, wie sich die beiden von der Midlife-Crisis geplagten Nachbarn annähern und dabei eine Unsicherheit wie Teenager an den Tag legen, entstehen einige ebenso schöne wie komische Momente. In einer Fülle von Anekdoten entrollt Binder ein facettenreiches Familienporträt. Den häufigen Wechsel der Tonarten, den das Drehbuch anschlägt – mal lustig, mal tragisch, mal bissig, mal anrührend –, setzen die Darsteller vital und glaubwürdig um, sodass sich „An Deiner Schulter“ zu einem Film verdichtet, der jenseits fester Genremuster einen neugierigen Blick hinter die Fassaden des amerikanischen Familienlebens riskiert. Und da scheint es immer eine Leiche im Keller (oder anderswo) zu geben. Doch wenn diese beigesetzt ist, kann vielleicht ein neues Leben anfangen.