Ein junger Herumtreiber dringt in fremde Wohnungen ein, ohne etwas zu entwenden. Dabei begegnet er einer von ihrem Mann vernachlässigten und misshandelten Frau, die mit seiner Hilfe ihrer erstarrten Ehe entfliehen kann. Das Paar löst sich aus einer Realität, die seiner Liebe nichts mehr anhaben kann. Der weltentrückte Film ist geprägt von meditativer Ruhe und doppelgesichtigen Figuren, die durch die Liebe Frieden mit sich selbst finden. Dabei verwischt die kunstvolle Bildsprache die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit und löst die Handlung in ein zartes Märchen auf, dessen Protagonisten wie Engel erscheinen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 16.
Bin-Jip - Leere Häuser
Drama | Südkorea/Japan 2004 | 88 Minuten
Regie: Ki-duk Kim
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Filmdaten
- Originaltitel
- BIN-JIP
- Produktionsland
- Südkorea/Japan
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Happinet Pic./Kim Ki-Duk Film/Chungeorahm Film/Cineklick Asia
- Regie
- Ki-duk Kim
- Buch
- Ki-duk Kim
- Kamera
- Jang Seong-back
- Musik
- Slvian
- Schnitt
- Ki-duk Kim
- Darsteller
- Lee Seung-yeon (Sun-hwa) · Jae Hee (Tae-suk) · Kwon Hyuk-ho (Min-kyu) · Joo Jin-Mo (Kommissar Cho) · Choi Jeong-ho (Gefängniswärter)
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Man braucht einen Menschen nicht anzufassen, wenn man ihn berühren will. Es reicht, den Ort aufzusuchen, an dem er seinen Alltag verrichtet. Der junge Herumtreiber Tae-suk öffnet Wohnungen, die nicht die seinen sind. Ein simpler Trick verschafft ihm Sicherheit, dass sie für kurz oder lang unbewohnt bleiben. Er bedient sich aus dem Kühlschrank, macht die Wäsche, nimmt ein Bad, repariert defekte Elektrogeräte oder manipuliert diejenigen, die funktionieren. Ein unangemeldeter Mitbewohner auf Zeit, dem es Vergnügen bereitet, für wenige Stunden fremde Identitäten anzunehmen – seien sie von Wohlstand oder Armut bestimmt. Dann aber bleibt in einem protzigen Domizil sein Treiben einmal überraschend nicht unbemerkt: Die Bewohnerin, die kurz zuvor von ihrem herrischen Mann geschlagen worden ist, schleicht im Dunkeln durch die Korridore, bevor sie einem Geist gleich dem verdutzten Eindringling gegenüber tritt. Ihrem vom inneren Leid gezeichneten Gesicht ist anzusehen, dass sie in dem klaustrophobisch engen Puppenheim ihrer Ehe längst zum seelenlosen Gespenst erstarrt ist. Kein Wort fällt, dafür zurückgenommene Gesten, hinter denen sich die Emotionen verschanzen. Indem sie seinen Liebesblick mit einem stillen Glühen erwidert, fügt sich das Paar zusammen, löst es sich förmlich komplizenhaft aus der Realität.
Die Realität der koreanischen Großstadtgesellschaft scheint erbarmungslos und die Flucht in die Imagination vorprogrammiert. Als der polternde Ehemann die stille Zweisamkeit der beiden Seelenverwandten stört, setzt ihn Tae-suk im Garten mit gezielt platzierten Golfbällen außer Gefecht. Das Paar flüchtet auf dem Motorrad in die Nacht und macht sich gemeinsam auf die Suche nach verlassenen Unterkünften. Irgendwann treffen der Golfer und die Frau in einer Wohnung auf die Leiche des Bewohners. Anstatt die Flucht zu ergreifen, sorgen sie für eine würdevolle Bestattung und legen sich in seinem Bett schlafen. Dort werden sie am nächsten Tag von den Kindern des Toten entdeckt. Obwohl dieser eines natürlichen Todes gestorben ist, fällt sofort der Mordverdacht auf das bizarre Einbrecher-Pärchen. Auf der Polizeiwache lässt sich die Frau widerstandslos in die Hände ihres verhassten Ehemannes übergeben, während Tae-suk im Gefängnis landet. Von korrupten Beamten misshandelt, übt er sich in Körperbeherrschung und buddhistischen Exerzitien, trickst den sadistischen Zellenwächter aus und kehrt zu seiner Geliebten als unsichtbarer Geist zurück.
Die Geschichte einer doppelten symbiotischen Selbstfindung erzählt Kim Ki-duk mit psychologisch präzisem Ernst und zugleich surrealem Aberwitz. „Bin jip“, der übersetzt „Eisen 3“ heißt, ist der elfte Spielfilm des 44-Jährigen in nur neun Jahren, 2004 in Venedig mit dem „Silbernen Löwen“ für die beste Regie ausgezeichnet. Die filmischen Amokläufe seiner frühen Filme, die programmatisch „Crocodile“, „Wild Animals“ oder „Bad Guy“ hießen, sind längst ausgestanden, auch wenn Kim noch immer zu extrem kurzen Drehzeiten neigt: „Bin-Jip“ ist angeblich in nur zehn Tagen gedreht worden. Spätestens seit „Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling“ (fd 36 410) schleichen sich keine spektakulären Schockbilder mehr in seine subtilen Zwei-Personen-Stücke ein, vielmehr schwelgt Kim in meditativer Schönheit und entrückter Ruhe. Seine Filme erzählen gleichnishaft von Männern, die Schuld auf sich geladen haben – wie Tae-suk, der durch ein fehlgeleitetes Golfball-Geschoss mitten in der Stadt eine Frau tödlich trifft – und von ihren vereinsamten Leidensgefährtinnen, die mit dem Antlitz einer Madonna auf Erlösung von vergangenen Traumata warten. Es sind doppelgesichtige Figuren, die durch Liebe eine Art Frieden mit sich selbst finden und deren Motive doch bis zum Schluss unergründlich bleiben.
Die Ambivalenz der Existenz wird in der kunstvollen Bildsprache von den Elementen getragen. Der Wind während der Motorradfahrten, das grelle Licht am Morgen, wenn das Fenster in einer fremden Wohnung geöffnet wird, der Abgrund, in den der nach außen schmerzresistente Held im Gefängnis schaut, während er die Augen geschlossen hält – das sind lyrische Momente, an denen das Kino von Kim Ki-duk immer reicher wird. Beieinander und miteinander findet das Paar, was ihm fehlt, und lernt, erst die seelische und dann auch auf die physische Distanz zu überwinden, auch wenn ihr neues glückliches Leben der Lust des Regisseurs geschuldet ist, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit einzureißen. Im Finale wirkt der Film wie ein zartes Märchen, erscheinen seine Figuren wie Engel, die das irdische Jammertal mit einem einzigen Schmunzeln um die Mundwinkel vergessen lassen. Wenn man einräumt, dass das Kino eine Pforte zum Paradies sein kann, dann ist Kims Kino mit „Bin-Jip“ dem himmlischen Cineastenglück ein Stück näher gekommen.
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