The White Diamond

Dokumentarfilm | Deutschland/Japan/Großbritannien 2004 | 91 Minuten

Regie: Werner Herzog

Fesselnde Dokumentation über eine Expedition im Regenwald von British Guyana, in deren Verlauf mit Hilfe eines Helium gefüllten Mini-Zeppelins Flora und Fauna der Baumwipfel erforscht werden sollen. Neben der Naturdokumentation verdichtet sich der Film zu einer mitunter quälenden Selbstreflexion der Hauptfigur, die das traumatisierende Unglück eines Freundes und Kollegen überwinden will. Der symbolträchtige Film bietet atemberaubende Bilder, wobei Werner Herzog eine visuelle Kontinuität zu seinen früheren Arbeiten herstellen kann. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE WHITE DIAMOND
Produktionsland
Deutschland/Japan/Großbritannien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Marco Polo Film/NDR Naturfilm/NHK
Regie
Werner Herzog
Buch
Annette Scheurich · Rudolph Herzog
Kamera
Henning Brümmer · Klaus Scheurich
Musik
Ernst Reijseger · Eric Spitzer
Schnitt
Joe Bini
Länge
91 Minuten
Kinostart
10.03.2005
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Auf dem Münchner Filmfest lief 2004 „Incident At Loch Ness“, Zak Penns erstaunliche Doku-Fiction über eine Fake-Documentary in Schottland mit Werner Herzog in der Hauptrolle. Herzog fungierte in diesem Film gewissermaßen als Superzeichen, das das Titanische des Unternehmens, das Ungeheuer von Loch Ness filmisch herauszufordern, personalisierte. Herzog spielte seine Rolle in „Incident At Loch Ness“ mit derart viel Lust an der eigenen Entmystifizierung und so sympathisch selbstironisch, dass sein eigenes, Legenden umranktes Werk unvermittelt in einem neuen Licht erstrahlte. An diesen Film muss man auch bei „The White Diamond“ wiederholt denken; plötzlich ertappt man sich dabei, dass man den Namen Dieter Plages, eines Filmemachers, um den es u.a. in Herzogs neuem Film geht, diversen Suchmaschinen überantwortet. Man ist unsicher (gemacht) worden. Während Herzogs Spielfilmproduktion seit zwei Jahrzehnten, wahrscheinlich sogar schon seit „Fitzcarraldo“ (fd 23 356) völlig außer Tritt geraten ist, gestaltet sich seine Dokumentationen allemal sehenswert. Gerade „The White Diamond“ zeigt, dass Herzogs Gespür für filmische Themen noch vorhanden ist, versam­melt dieser Film doch fast die Essenz des Herzog-Kosmos: Der Film erzählt von einer eigensinnigen Kraftanstrengung, die dazu dient, in unbekannte Dimensionen des südamerikani­schen Urwaldes vorzudringen, auf eine Weise, die Wissenschaft und Mythos miteinander verschmilzt. Letztlich geht es in „The White Diamond“ um den Traum des Menschen vom Flie­­gen, wobei es hier um ein Fliegen geht, das meditative Stille zulässt. Herzog begleitet den Forscher Graham Dorrington in den Dschungel von British Guyana. Der will dort mit Hilfe eines Helium gefüllten Mini-Zeppelins die Flora und Fauna der Wipfel des tropischen Regenwaldes erkunden. Doch für Dorrington ist noch ein anderer Aspekt bei dieser Expedition von Interesse: Mit einem Prototyp dieses Luftschiffes verunglückte sein Freund, der berühmte Tierfilmer Dieter Plage, vor elf Jahren auf Sumatra durch eine Verkettung unglücklicher Umstände tödlich. Für Dorrington geht es nun auch darum, durch den Erfolg der aktuellen Expedition dieses Trauma zu überwinden; für Herzog ist die menschliche Dimension des Unternehmens Grund genug, Dorrington ausgiebig Raum zur quälenden Selbstreflexion zu geben. Zudem nutzt er zwei beeindruckende Ausschnitte aus Plages Filmen, die die Gefahren und die Faszination beim Drehen von Tierfilmen dokumentieren. Naturdokumentation scheint plötzlich ungleich spannender als eine Spielfilmproduktion. Dieses neugierig mäandernde und offene Erzählverfahren ist charakteristisch für „The White Diamond“, der viel mehr als die Dokumenation einer Expedition ist. Herzog lässt sich von der Regenwald-Landschaft rund um die gewaltigen Kaieteur-Wasserfälle gefangen nehmen, erzählt von den Mythen der Region und präsentiert einen Eingeborenen, den Rastafari Marc Anthony Yhab, der seine Familie vermisst. Dieser ist es auch, der das sanft dahingleitende Luftschiff mit dem titelgebenden weißen Diamanten vergleicht. Später wird das Filmteam einen Ausflug zu den nahe gelegenen Minen unternehmen, auch hier auf der Suche nach einem weißen Diamanten. Immer wieder gelingen Herzog – unterstützt von den famosen Klängen von Ernst Reijseger und Eric Spitzer – Bilder von geradezu magischer Qua­li­tät, etwa wenn er zeigt, wie ein riesiger Schwarm Schwalben in einer Höhle hinter einem mächtigen Wasserfall verschwindet. Hier knüpft Herzog an die visuelle Kontinuität seiner frühen Filme wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ (fd 18 164), „Fata Morgana“ (fd 17 677) oder auch „Herz aus Glas“ (fd 20 061) an; dank der Anwesenheit von Marc Anthony kommt es gar zu einer Referenz an die wunderbaren Hühner aus „Stroszek“ (fd 20 331). Eine Prise Selbstironie ist gleichfalls spürbar, wenn sich der Regisseur mit seinem „Hauptdarsteller“ Dorrington vor laufender Kamera streitet und selbstredend davon ausgeht, in einer eventuellen Krisensituation an Bord des Luftschiffes das Kommando an sich zu reißen. So lässt diese bemerkenswert fesselnde Dokumentation kaum einen Wunsch offen und tröstet auch darüber hinweg, dass dem Erzähler Werner Herzog die fiktionalen Stoffe, die seine Fantasie angemessen beflügeln, wohl ausgegangen sind.
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