Drama | Österreich 2003 | 90 Minuten

Regie: Nina Kusturica

Drei Frauen aus Wien, eine Studentin, eine wohlsituierte Hausfrau und eine Ausländerin, teilen das gleiche Schicksal, von ihren Männern körperlich wie seelisch misshandelt zu werden. Die mit dokumentarischem Blick inszenierte Studie verzichtet auf herkömmliche Dramaturgie ebenso wie auf Melodramatik und löst sich mitunter auch von der Chronologie. Die Glaubwürdigkeit der Hauptdarstellerinnen trägt dabei über die etwas konstruierte Handlung hinweg, da der Film Mut machen will, sich der Gewaltspirale zu entziehen, und nachdrücklich für das Recht auf Unversehrtheit plädiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AUSWEGE
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Universität für Musik und Darstellende Kunst, Wien
Regie
Nina Kusturica
Buch
Barbara Albert
Kamera
Tim Tom
Schnitt
Julia Pontiller
Darsteller
Liese Lyon (Claudia) · Manfred Stella (Werner) · Mira Miljkovic (Stadjana) · Igor Bararon (Dragan) · Dagmar Schwarz (Margit)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama

Diskussion
Der Telefongespräch scheint nur ein Teenager-Scherz zu sein: Umgeben von Klassenkameradinnen, ruft die Schülerin Bettina bei der Polizei an und täuscht glaubhaft vor, ihr Stiefvater würde sie bedrohen und schlagen. Das Gelächter ihrer Freundinnen ist ihr sicher. Doch zu Hause zeigt sich, dass das vermeintliche Spiel bitterer Teil ihrer Alltagsrealität ist. Bettina und ihrer kleinere Schwester müssen zusehen, wie ihr (Stief-)Vater Werner der Mutter Claudia mit Gewalt den Bikini vom Leibe reißt und sie in ihrer nackten Hilflosigkeit auf dem Balkon aussperrt. Ihre Blicke, ihre Reaktionen machen deutlich, dass sie nicht das erste Mal Zeugen von häuslicher Gewalt sind.

Drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen im Mittelpunkt von Nina Kusturicas Abschlussfilm an der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst: Neben der Studentin Claudia ist es die biedere, wohlsituierte Hausfrau Margit, die unter den Schikanen ihres Mannes zu leiden hat. Nie kann sie es ihm recht machen. Die Ausländerin Sladjana hat ebenfalls zwei Kinder und leidet unter den unbegründeten Eifersuchtsausbrüchen ihres Mannes Dragan. Diese drei Frauen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft eint, dass ihre Männer sie misshandeln – körperlich wie seelisch. Mit ihnen sind ihre Kinder von der häuslichen Gewalt betroffen, müssen diese hilflos miterleben, fallen ihr selbst zum Opfer oder spielen sie herunter, wie Margits erwachsener Sohn, der eigentlich nur will, dass sich die Eltern wieder ein bisschen besser verstehen.

Mit dokumentarischem Blick begleitet die 1975 in Bosnien-Herzegowina geborene und in Sarajevo aufgewachsene Kusturica ihre Frauenfiguren. Sie verzichtet auf herkömmliche Dramaturgie oder Melodramatik und löst sich immer wieder von der Chronologie der Handlung. Auch wenn sich zwei der Protagonistinnen einmal kurz begegnen, bleiben die Geschichten unverbunden nebeneinander stehen. Sie eint ihr wichtiges, oft gesellschaftlich ignoriertes Thema und die in allen drei Beziehungen ähnliche Gewaltspirale aus Angst, Streit, Reue des Mannes, Nachgeben der Frau um der Ehe oder der Kinder willen und schließlich erneuten unberechenbaren Gewaltausbrüchen. „Auswege“ zeigt, wie erschreckend nahe Zärtlichkeit und häusliche Gewalt beieinander liegen können: wie aus Dragans Hand, die Sladjana liebevoll streichelt, wenig später die zuschlagende Faust wird, wie Hans nach einem feucht-fröhlichen Fest gesteht, dass er seine Frau manchmal erschlagen könnte, wie aus Werners Versuch, die müde Claudia sexuell zu stimulieren, eine eheliche Vergewaltigung wird.

Den drei Frauenschicksalen gemeinsam ist, dass es sich um keine aufsehenerregenden, spektakulären Fälle mit brutalen Monstren als Ehemännern handelt, sondern um alltägliche Gewalt und Misshandlungen, die dadurch aber umso authentischer wirken. Diese dokumentarische Alltäglichkeit ist eine der großen Stärken des Films. Darin ist nicht zuletzt die Handschrift der Autorin und Regisseurin Barbara Albert („Nordrand“, fd 34 433) auszumachen, die das Drehbuch für „Auswege“ schrieb. Zu diesem positiven Eindruck trägt auch die Glaubwürdigkeit des insgesamt unbekannten Darsteller- Ensembles bei, vor allem der drei Hauptakteurinnen. Ihre Frauenfiguren sind keine starke Heldinnen, sondern verängstigte, gedemütigte und verletzte Menschen, denen die Ehemänner kein eigenes Leben zugestehen, die sie vielmehr kontrollieren und beherrschen wollen: Werners Wut entzündet sich an Claudias Interesse für ferne Länder, Margit kann ihre Yoga-Übungen nur heimlich machen, wenn Hans nicht zu Hause ist; Sladjana wird von ihrem Mann regelrecht eingesperrt. Alle drei schaffen schließlich den Ausstieg aus der Gewaltspirale. Und erfahren dabei, so will es der Film, jede Menge Hilfe und Unterstützung von offizieller Seite: Ein vorbildliches Gewaltschutz- und „Wegweisungsgesetz“ verweist tätliche Männer zehn Tage lang auf polizeiliche Anordnung ihrer eigenen Wohnung, die Einhaltung wird – im Film fast zu idealtypisch geschildert – penibel von der Polizei kontrolliert. Staatliche Interventionsstellen und Frauenhäuser (der Film entstand auf Initiative des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser) fangen die Frauen auf und ermöglichen ihnen erste Schritte in ein neues Leben ohne Gewalt in ihren eigenen vier Wänden. Denn, so die Botschaft von „Auswege“, „niemand hat das Recht, dich zu schlagen“. Der Film zeigt, dass und wie Frauen auf dieses Recht bestehen sollen und können.

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