Zatoichi - Der blinde Samurai

Action | Japan 2003 | 116 Minuten

Regie: Takeshi Kitano

Japan Mitte des 19. Jahrhunderts: Nach der erzwungenen Öffnung des Landes kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Ein blinder Masseur, Glücksspieler und virtuoser Schwert-Kämpfer findet in einem Gebirgsdorf bei einer freundlichen Dame Obdach und steht den Bauern gegen zwei rivalisierende Gangsterbanden bei. Ein Samurai-Film, kampfreich und hart, zugleich aber auch voller Spielereien, die die thematische Nähe zu Klassikern des Genres auf ironische Weise brechen. Zudem stellt der Film einen mehrfach gebrochenen Kommentar zur momentanen Fernost-Begeisterung durch die westliche Kultur dar. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ZATOICHI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Bandai Visual/Tokyo FM/Dentsu/Saitô Ent./Office Kitano
Regie
Takeshi Kitano
Buch
Takeshi Kitano
Kamera
Katsumi Yanagishima
Musik
Keiichi Suzuki
Schnitt
Takeshi Kitano · Yoshinori Ota
Darsteller
Beat Takeshi (Zatoichi) · Tadanobu Asano (Gennosuke Hattori) · Michiyo Ookusu (Tante O-Ume) · Yui Natsukawa (O-Shino, Hattoris Frau) · Gadarukanaru Taka (Geisha 1)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Action | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo/Concorde (16:9, 1.85:1 DD5.1 jap./dt., DTS dt.)
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Diskussion
Die Faszination der japanischen Kultur speist sich für den westeuropäischen Blick nicht zuletzt aus ihrer viele Epochen währenden Isolation und der daraus resultierenden Fremdheit. Vieles scheint hier noch in einem originären Urzustand befangen, sich zumindest teilweise der globalen Gleichschaltung entzogen zu haben. Ein frühes Beispiel der aggressiven Außenpolitik der USA zwang das Inselreich 1854 zur Aufgabe seines strikten Isolationskurses – im Weigerungsfall war die Beschießung mit Kanonenbooten angedroht worden. Bis dahin gab es nur wenige von außen massiv auf das Reich wirkenden Einflüsse. Diese geschichtliche Homogenität wirkt durch ihre immense Zeitmasse und der sich daraus ergebenden Trägheit bis heute fort – auch wenn Japan in den letzten 150 Jahren um so tiefgreifendere Verwerfungen realisieren musste. Bei der Bearbeitung historischer Stoffe ergibt sich daraus für die Filmindustrie ein enormer Standortvorteil, einfach deshalb, weil sich Ausstattung, Maske und Bühnenbild weit weniger kompliziert gestalten. Man müsste schon differenzierte Kenntnisse der Japanologie mitbringen, um konkrete szenische Details dem 13., 17. oder 19. Jahrhundert zuordnen zu können. Im Umkehrschluss dürfte es heute um ein Vielfaches komplizierter und teurer sein, eine Filmhandlung im Tokio des Jahres 1950 anzusiedeln als am Kaiserhof von Kyoto vor 1500 Jahren. Setzt man Geschichte und Status quo des japanischen und fernöstlichen Films ins Verhältnis zur internationalen Kinematografie, ergeben sich weitere, teils paradoxe Verschränkungen.

Seiner egalisierenden Natur entsprechend, versucht das ständig auf Frischblutzufuhr zielende System Hollywoods, das innovative Potenzial Asiens verstärkt anzuzapfen und zu absorbieren: Stars wie Tom Cruise werden in fernöstliche Plots eingepflanzt („Der letzte Samurai“, fd 36 316), Koryphäen aus Asien wie Jet Li, John Woo oder Jackie Chan drehen in Los Angeles. Zuletzt hat Quentin Tarantino mit „Kill Bill 1 + 2“ (fd 36 195, fd 36 482) seine Vision eines öst-westlichen Divans als exzessives Medien-Patchwork auf die Spitze getrieben. Wenn jetzt Takeshi Kitano den ersten Samurai- Film seines Oeuvres vorlegt, scheint es ein wenig, als wolle er das Thema zurück zu seinen Wurzeln führen und damit der nationalen Identität Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber so einfach sind die Dinge nicht. Kitano verdankt seine Bekanntheit als Filmemacher vor allem westlicher Rezeption. Seine Ästhetik speist ihre Originalität aus ästhetischen Symbiosen. Wie vor ihm nur Akira Kurosawa fungiert er als Scharnier zwischen dem Kino des Orients und Okzidents. Wohl nicht zufällig enthält „Zatoichi – Der blinde Samurai“ deutliche Verweise auf „Die sieben Samurai“ (fd 10 845) und „Yojimbo – Der Leibwächter“ (fd 23 508). Der Film kann deshalb als Versuch einer künstlerischen Selbstverortung zwischen Tradition und Gegenwart sowie Ost und West gelesen werden.

Kitano entwirft die Handlung vor dem Hintergrund der Umwälzungen, die Japan Mitte des 19. Jahrhunderts erschütterten. Im Gefolge der Öffnung nach Westen war es zum Bürgerkrieg gekommen; der 122. regierende Kaiser, Mutsuhito, hatte den mächtigen Shogun Keiki gestürzt, sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen und begonnen, das Land nach dem Vorbild westlicher Staaten zu zentralisieren. Mit diesen Tendenzen gingen Phasen der Anarchie einher. Lokale Potentaten, Händler und Kriminelle stießen in das Machtvakuum und versuchten, ihrer Einflüsse zu maximieren. Auf den Landstraßen irrte ein Heer von Entwurzelten: verarmter Landadel, letzte Angehörige von ausgelöschten Familien, Bettler, vertriebene Bauern und herrenlose Samurais. Mitten unter ihnen bewegt sich Zatoichi, ein blinder Glücksspieler und Masseur. Schon bald wird deutlich, dass der merkwürdige Reisende eine ganze Reihe von Geheimnissen birgt. Seine intuitive Sicherheit, mit der er beim Würfeln die Zahlen zu erkennen vermag, trägt ihm viel Argwohn ein. Ganoven, die in ihm eine leichte Beute vermuten, werden blitzschnell in Einzelteile zerlegt. Denn der vermeintliche Blindenstock umhüllt ein ungemein scharfes Samurai-Schwert, von seinem Inhaber trotz des Gebrechens virtuos gehandhabt. In einem entlegenen Gebirgsdorf hält Zatoichi in seiner Wanderung inne – hier reproduzieren sich die chaotischen Verhältnisse des Landes. Rivalisierende Gangsterbanden pressen der Bevölkerung die letzten Naturalien und Geldbeträge ab, Willkür steht auf der Tagesordnung. Neben dem Blinden, der bei einer freundlichen Bäuerin Unterschlupf findet und seine Mietschulden durch Massagen und Brennholzbereitung abarbeitet, laufen weitere Außenseiter auf: zwei durch Beischlafdiebstahl und Mord ihren Unterhalt bestreitende Geishas, ein erfolgloser Glücksspieler und der herrenlose Samurai Hattori – ein Genius des Schwertkampfes, der sich aus sozialer Notlage als Leibwächter bei der tonangebenden, lokalen Gangsterbande verdingt. Bald zeichnen sich die Konturen des Konflikts ab: Falls überhaupt jemand im Dorf den verborgenen Fähigkeiten Zatoichis Paroli bieten kann, dann der verzweifelte Hattori, der weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren hat. Mehr und mehr läuft das Geschehen auf diese Spieler-Gegenspieler-Konstellation zu: Zatoichi als Verteidiger der Entrechteten, Hattori als skrupelloser Söldner des Bösen. Es braucht nicht lange darüber spekuliert zu werden, wer nach den Regeln des Märchens zuletzt als Sieger vom Kampfplatz gehen wird.

„Zatoichi – Der blinde Samurai“ lebt vor allem von seiner Unbefangenheit. In seinem flach gehaltenen, elften Spielfilm leistet sich Kitano viele kleine Späße, baut Ideen ein, die er schon lange mit sich herum getragen zu haben scheint. Diesem Kinderglück des Ausprobierens ist ein Unterhaltungsfilm entsprungen, der den Urheber beim Drehen, Spielen und Montieren offenbar selbst bestens unterhalten hat. So übernimmt er mehrfach Geräusche aus der Handlung in die synthetische Tonspur, baut sie in die Filmmusik ein und spielt mit ihnen, montiert die Bilder rhythmisch zur Musik. Plötzlich hacken Bauern in einer absurden Choreografie auf ihren Acker ein oder arbeiten Zimmerleute wie unter der Anleitung Busby Berkeleys an einem neuen Haus. Es gibt mehrfach Andeutungen auf bizarre Rituale, die man nicht zu verstehen braucht, die aber wunderschön befremdlich wirken. Zuletzt, nachdem das Dorf dank Zatoichis Intervention das Joch der Banden abschütteln kann, gibt es noch ein langes Freudenfest mit viel Getrommel, Gesang und Tanz. Hier erlaubt sich Kitano eine ironische Umkehrung der momentanen Fernost-Begeisterung durch den Westen: Der zunächst sehr exotisch wirkende Festakt kippt immer mehr in eine frenetische Bühnenshow, die bald eher an „Stomp“ erinnert als an Kabuki. Kitano spielt den in dieser Szene gefeierten blinden Schwertkämpfer selbst. Seit der Regisseur einen schweren Motorradunfall hatte, sind seine Gesichtsmuskeln teilweise gelähmt. Die damit einhergehende stoische Physiognomie entspricht dem Gebaren seiner Filmfigur: blond gefärbtes Haar, die Augen stets geschlossen, die wenigen Worte aus seinem Mund mit Zen-Weisheiten durchsetzt. „Selbst mit offenen Augen kann ich nichts sehen“, lautet der letzte Satz im Film. Er verweist damit auf eine finale Wendung des Geschehens; ist aber auch programmatisch zu verstehen.

Ein besonderer Reiz der Arbeiten Kitanos besteht in ihrer Mimikri: Nichts bleibt, wie es zunächst erscheint. Zur Schau getragene Identitäten sind oft nur Tarnung, unter der sich ein ganz anderer Kern verbirgt. Frauen erweisen sich als Männer, Bettler als Millionäre, Blinde als Sehende und umgekehrt. Die damit verbundene Überraschung korrespondiert mit dem Charakter des Gesamtwerks von Kitano; sein nächster Film fällt bestimmt wieder ganz anders aus, als es „Zatoichi“ erwarten ließe.

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