Ein kleiner Junge leidet schrecklich, wenn sein Vater auf Geschäftsreise geht, aus Angst, ihn zu verlieren. Als der Vater bei einem Verkehrsunfall tatsächlich ums Leben kommt, weigert sich der Sohn, die Tragödie anzuerkennen, bis er am Tag der ersten Mondlandung doch einen Weg findet, Abschied zu nehmen. Überzeugendes Regiedebüt, das trotz kleiner Schwächen in der Inszenierung durch seine emotionale Intensität überzeugt, wobei der kindliche Kosmos der Hauptfigur in atmosphärischen Bildern eindringlich dargestellt wird. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 8.
Hard Goodbyes: My Father
- | Griechenland/Deutschland 2002 | 108 Minuten
Regie: Penny Panaiotopoulou
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Filmdaten
- Originaltitel
- DISKOLI APOCHERETISMI: O BABAS MOU
- Produktionsland
- Griechenland/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Twenty Twenty Vision/CL Productions/Penny Panayotopoulou/Griechisches Filmzentrum
- Regie
- Penny Panaiotopoulou
- Buch
- Penny Panaiotopoulou
- Kamera
- Dimitris Katsaitis
- Musik
- Stavros Sofianopoulos
- Schnitt
- Petar Markovic · Angelos Angelopoulos
- Darsteller
- Giorgos Karaiannis (Elias) · Ioanna Tsirigouli (Mutter) · Stelios Mainas (Christos/Vater) · Christos Stergioglou (Onkel Theodosios) · Christos Bougiotas (Aris/Bruder)
- Länge
- 108 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 8.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Ein langer, dunkler Gang trennt den Sohn von seinem Vater. Immer, wenn der die Tür hinter sich schließt, heißt es Abschied nehmen. Wieder eine Geschäftsreise. Der zehnjährige Elias versucht ihn einzuholen, aufzuhalten, aber Dimitris Katsaitis’ Kamera zieht den Flur mit kurzer Brennweite gespenstisch in die Länge – er erreicht ihn nicht. Der Vater verschwindet im weißen Licht, die Tür fällt zu, aber noch immer will der Junge hinterher. Seine Mutter muss ihn festhalten. Sich in ihren Armen windend, greift er zur Gegensprechanlage, fleht seinen Vater an, da zu bleiben, umzukehren. Vergeblich. Jedes Mal leidet Elias; mehr als die Mutter und mehr als der ältere Bruder. Sein Vater verschwindet jenseits der Tür, und er selbst bleibt diesseits, verlassen im trüben Zuhause. Doch nach Tagen oder Wochen findet er eines Morgens eine Schokoladentafel am Fußende seines Bettes und weiß, dass sein Papa doch zurückgekommen ist. Dann liest der ihm Jules Verne vor, zeigt ihm, wie man sich rasiert, fährt mit ihm im ersten eigenen Auto spazieren. Gemeinsam fantasieren sie von einer glücklichen Zukunft. Die Gegenwart sieht anders aus.
Schwere Schatten lauern in der kleinen Wohnung. Low-Key und eine kontrastreiche Lichtgebung tauchen die mediterranen Farben in ein düsteres Noir. Gesichter im Halblicht. Weitwinkel und Untersicht formen den Grundriss von Elias’ kleiner Welt, ohne sie aus ihrer Umklammerung zu befreien. Wenn seine Eltern sich mal wieder streiten, flüchtet Elias ins Bad. Er hält sich die Ohren zu und fängt an zu zählen. Sie streiten sich oft. Der Frame im Frame aus Tischbeinen, Fenster- und Türrahmen lässt ihnen nur wenig Spielraum. Eng kadriert, bleibt ihnen kaum Luft zum Atmen. Auf wenigen Quadratmetern arrangiert Penny Panayotopoulou in ihrem Regiedebüt ein Familienuniversum, in dem sich die Zeit im Ungefähren verliert. In einer auf den kindlichen Lebenskern verdichteten, meist gereizten Atmosphäre fällt kaum auf, wo und wann die Geschichte spielt. Nämlich in Griechenland, kurz vor der ersten Mondlandung der Apollo 11 im Jahr 1969. Als Elias aber einen Zettel seines Vaters findet, rückt der bevorstehende „große Schritt für die Menschheit“ ins Zentrum des Films; allerdings nicht im eigentlichen Sinne, sondern als Chiffre des Abschieds. In dem Briefchen schreibt der Vater, diesmal dauere seine Reise länger, verspricht jedoch, rechtzeitig zur Mondlandung zurück zu sein. Die Sterne, scheint es, stehen nicht schlecht. Die Eltern sind (vorläufig) versöhnt. Das neue Auto bringt Hoffnung auf bessere Geschäfte.
Dann klingelt mitten in der Nacht das Telefon. Als sein Bruder Elias erzählt, Papa sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, will er es nicht glauben. Auch in den Tagen und Wochen danach weigert er sich, den Tod des Vaters zu akzeptieren. Da hilft es nichts, dass die verzweifelte Mutter alle Erinnerungsstücke wegwirft oder sein Onkel versucht, ihm behutsam die Wahrheit beizubringen. Elias bleibt dabei: Spätestens bis zur Mondlandung ist Papa zurück! Bis dahin schreibt er in dessen Namen seitenlange Briefe an die Großmutter und verteilt die gehorteten Schokoladentafeln in der Schulklasse als Beweise dafür, dass alle anderen sich irren. Erst in der Nacht, in der der erste Mensch den Mond betritt, gelingt es Elias, sich auf seine eigene, eigentümliche Weise von seinem Vater zu verabschieden.
Panayotopoulou, die auch das Drehbuch schrieb, erzählt ihre Geschichte durch Kinderaugen, und doch ist „Hard Goodbyes: My Father“ mehr als ein Kinderfilm: Ein Drama voller Fantasie, aber ohne Wunder und doch auf wundersame Weise wundervoll. Nah am Leben entwickelt es eine traurige, wehmütig-hoffnungsvolle Kraft, die den Tod ins heimische Wohnzimmer holt. Elias’ verstorbener Vater bleibt ständig präsent; nicht etwa durch Rückblenden, sondern in den Gesichtern und Gesten der Hinterblieben. Wie Elias’ Mutter, die die Kleider des Toten auf dem Bett ausbreitet, um sich an sie (und ihn) zu schmiegen, atmet jede Einstellung seinen Geruch. Nicht nur für ein Erstlingswerk ist Panayotopoulou ein starker, einfühlsamer Film gelungen. Die wenigen prätentiösen Szenen und formalen Ausrutscher, die dann vielleicht doch die Anfängerin verraten, sind schnell vergessen. Die phänomenale, natürliche Darstellung Giorgos Karayannis' macht es einem einfach, sich in die Lage von Elias hineinzuversetzen. Aber auch darüber hinaus wird eine emotionale Intensität spürbar, die nicht nur treffsicher auf Zuschauerherzen abzielt, sondern wohl auch aus dem Herzen kommt. Am Ende widmet die Regisseurin den Film ihren Eltern, die ihr „alles beibrachten – bis auf eines: Wie man Abschied nimmt.“ Vielleicht hat sie sich das mit diesem Film von der Seele geschrieben.
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