K.aF.ka fragment

- | Österreich/Deutschland 2001 | 85 Minuten

Regie: Christian Frosch

Das Filmessay beschreibt auf Grundlage der berühmten Briefe Franz Kafkas an seine Geliebte Felice die seelische Entwurzelung eines Menschen als universelle Erfahrung. Basierend auf den Traditionen des österreichischen Experimentalfilms, findet der Regisseur eindringliche Ton- und Bildlösungen, arbeitet konsequent assoziativ und macht Lust auf eine neuerliche Lektüre der Texte Kafkas. Die bewusst gewählte "Primitivität" resultiert dabei aus der intimen Nähe zum Gegenstand. Indem der Filmemacher seinen Kafka-Film als Gegenentwurf zum "selbstzufriedenen" Ausstattungskino inszeniert, rettet er das Thema. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
K.AF.KA FRAGMENT
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
hammelfilm/konrad/froschfilm
Regie
Christian Frosch
Buch
Christian Frosch
Kamera
Johannes Hammel
Musik
Voov
Schnitt
Christian Frosch
Darsteller
Lars Rudolph (K.) · Ursula Ofner (F.)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Diskussion
In Österreich firmiert der Experimentalfilm faktisch als Staatskunst – in keinem anderen Land Europas vollzieht sich eine vergleichbare quantitative wie qualitative Kontinuität an immer neuen Filmen und Namen, obwohl es nur in Wien mit „Sixpack“ eine zentrale Institution zur Förderung und Verbreitung des unterrepräsentierten Genres gibt. Christian Frosch wurde 1966 in Österreich geboren und realisierte dort erste (experimentelle) Kurzfilme. Zum Studium der Filmregie kam er an die Berliner dffb, wo er 1995 seinen Abschluss machte. Sein erster abendfüllender Film „Die totale Therapie“ (fd 34 411) spielte zwar in der Alpenrepublik, präsentierte sich aber eher als konventioneller Spielfilm. Mit seinem zweiten Langfilm kehrt der Filmemacher ästhetisch und inhaltlich nun in seine österreichische Heimat zurück. Denn „K.aF.ka fragment“ speist sich einerseits aus den Wurzeln des experimentellen Kinos, andererseits aus den kulturhistorischen Erfahrungen der Donaumonarchie. Franz Kafka verkörperte als deutsch schreibender, im Prag lebender Jude wie kaum ein anderer die untergegangene ethnische Vielfalt der k.u.k.-Zeit und ihrer Ausläufer. Doch Froschs Film unternimmt keine Beschwörung dieser Epoche. Kafka steht vielmehr als Modellfigur eines universellen Zustands der Entwurzelung, der sich immer und überall neu personifiziert. In ihrer obsessiven Suche nach Heimat findet diese Figur das Exil der Sprache. Der Text wird Ziel und Weg in einem: Eine innere Freiheit, die gleichzeitig zum Gefängnis schrumpft, weil mit ihr die Unfähigkeit eines „normalen Lebens“ einher zu gehen scheint. Als „Seekrankheit auf festem Grunde“ beschrieb Kafka einst die Befindlichkeit seines Gemüts. Folgerichtig lässt Frosch seine Kafka-Reinkarnation Lars Rudolph durch Kulissen der Realität wanken, sich an Betonwänden vorantasten, Treppen hinabstürzen. Die Kamera betont durch Kippbewegungen das Unstete dieses Seins. Was ist es, was den kränkelnden Dichter, der sein Brot als Versicherungsangestellter verdient, so aus der Bahn wirft? Die Liebe zu Felice, wir wissen es aus seinen Briefen. Aber handelt es sich überhaupt um Liebe? Stellten diese Briefe nicht eher die Beschwörung eines seelischen Aggregatzustands dar, der, gemessen an der Wirklichkeit, scheitern musste? Bezog Kafka gar aus der vertrackten Beziehung zu Felice den Humus für seine Dichtung? War Kafka ein Beziehungsvampir? Christian Frosch legt eine solche Deutung nah, bezieht sich dabei auf schriftliche Äußerungen des Dichters gegenüber Max Brod, seines engsten Freundes und (glücklicherweise) unzuverlässigen Testamentsvollstreckers: „Das ganze Schreiben ist nichts als die Fahne des Robinson auf dem höchsten Punkt der Insel.“ Die Beziehung zu Felice Bauer fungiert in diesem Kontext als bewusste Inszenierung, die ihr Scheitern nicht nur von Beginn an in sich trägt, sondern gerade wegen ihres Scheiterns eingerichtet wurde. Daraus würde sich auch erklären, warum er seine Muße im fernen Berlin gesucht hat sowie die Tatsache, dass Telefonate innerhalb der aufkeimenden Beziehung von Kafka tabuisiert wurden. Ausschließlich über Briefe hatte der Austausch zu erfolgen, als fortgeschriebener Text also. Persönliche Begegnungen oder fernmündliche Gespräche störten nur. Briefe, eigentlich ja notgeborene Vehikel der Annäherung über räumliche Distanzen hinweg, werden in dieser Konstellation zu immer weiter übereinander gestapelten Folien der textlichen Selbstvergewisserung, die schließlich keinen Lichthauch mehr durchscheinen lassen. Statt zu verbinden, schaffen sie in zunehmendem Maße Distanz. Folgt man dieser Lesart, so erfüllt und erübrigt sich die „Beziehung“ zwischen Franz und Felice (und damit auch die Funktion der Briefe) in jenem Moment, da ihre eigentlich von vornherein determinierte Unmöglichkeit endgültig offenbar geworden ist. Endlich erweist sich die größte Angst für Kafka als gebannt – nämlich in die Ehe einzutreten. Dieser Schritt hätte seinen elementaren Fluchtimpuls weg von der Familie vereitelt. Mit anderen Worten: Kafka hat sich eine unerreichbare Geliebte gesucht, um einer kleinbürgerlichen Bindung nachhaltig zu entgehen. So fasziniert Frosch sich von diesem Paradox auch zeigt, so groß bleibt gleichzeitig seine Verehrung für Franz Kafka. Sein Film kommt nicht als Demontage oder gar als moralische Bezichtigung eines allgemein anerkannten Künstlers daher, sondern als höchst individuelle Liebeserklärung. „K.aF.ka fragment“ stellt selbst nichts anderes dar als einen Brief. Und Frosch teilt diesem Brief das Wertvollste mit, was er seinerseits als Künstler zu bieten hat: seine eigene Kreativität. Mehrere Jahre montierte er das ursprünglich auf Super-8 gedrehte Material, suchte nach Bild- und Tonlösungen, die dem Stoff adäquat waren, ohne Kafka zu entmündigen. Die bewusst gewählte handwerkliche „Primitivität“ resultiert dabei aus der geradezu intimen Nähe zum Gegenstand. Auch die Wahl der beiden Darsteller, zu denen der Filmemacher eher private als geschäftliche Beziehungen unterhält, gehört zu diesem Konzept der Unmittelbarkeit. Indem Frosch seinen Kafka-Film als Gegenentwurf zum selbstzufriedenen Ausstattungskino inszeniert, rettet er das Thema – zumindest für sich selbst. Die Beschäftigung mit dem Komplex bleibt Fragment, muss Fragment bleiben, kann aber forgesetzt werden.
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