In the Mirror of Maya Deren

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz/Österreich/Frankreich 2002 | 103 Minuten

Regie: Martina Kudlácek

Dokumentarisches Porträt der Avantgardefilmerin Maya Deren (1917-1961), das nicht nur die Persönlichkeit und das Werk einer ebenso kompromisslosen wie rastlosen Künstlerin vorstellt, sondern sich in einer Collage aus Fotos, essayistischen Impressionen und durch Aussagen von Weggefährten ihrem Wesen anzunähern versucht. Der Film vermittelt das Bild einer faszinierenden Frau, die nicht nur im Bereich des poetisch-abstrakten Films eine Schlüsselstellung einnahm, sondern auch durch ihre ethnografischen Studien auf sich aufmerksam machte. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IN THE MIRROR OF MAYA DEREN
Produktionsland
Deutschland/Schweiz/Österreich/Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Tag/Traum/Österreichisches Filmistitut/Dschoint Ventschr/Navigator/Wiener Film Fond/arte
Regie
Martina Kudlácek
Buch
Martina Kudlácek
Kamera
Wolfgang Lehner · Stéphane Kuthy
Musik
John Zorn
Schnitt
Henry Hills
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Künstlerporträt
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Diskussion
Eine junge, schwarz gelockte Frau mit schrägen Augen, an einem Fenster stehend, die beiden Hände gegen das Glas gelehnt, wendet ihren Blick nach draußen. Auf der Fensterscheibe spiegeln sich nach Art einer Aureole die Lichtreflexe von Bäumen, die sich unsichtbar für den Zuschauer jenseits der Bildfläche befinden. Die Projektion bildet einen imaginären Kopfkranz, der sich um ihr Haar wie auf einem Gemälde Botticellis legt. Das Standfoto in Nahaufnahme stammt von Alexander Hammid und ist das bekannteste Bild von Maya Deren, gleichsam eine Ikone des Avantgardekinos – als Kadervergrößerung aus ihrem erstem Film „Meshes of the Afternoon“. Die Pionierin der amerikanischen Avantgarde-Bewegung schrieb mit diesem Werk Filmgeschichte, das Vergangenheit und Gegenwart, Zeit und Raum, Wirklichkeit und Einbildung ineinander fließen lässt. Eine Verfolgungsjagd nach einer flüchtig erblickten Gestalt mit Spiegelkopf endet in Gewalt und Tod, ein geheimnisvolles Messer und ein Schlüssel entziehen sich dem Zugriff der Protagonistin: Das Thema eines Angsttraums liegt einer verschachtelten Erzählstruktur zugrunde, in der die Frau und ihre aus den Fugen geratene Welt gefangen bleiben. Die Zeit läuft rückwärts, ist beschleunigt oder verlangsamt, die Handlungen werden gestoppt, verdichtet, wiederholt. Den rätselhaften Charakter der zum Teil gespenstischen stummen Bilder verstärken der filmische Rhythmus und die Montage. Der Film, trotz Derens Ablehnung der Psychoanalyse unverkennbar freudianisch, generiert das Motiv der Suche zum Movens seines Stils. Der Blick von Maya Deren, die in den aufeinanderfolgenden Träumen ihren anderen „Ichs“ begegnet, erschließt sich als Selbstbetrachtung, als metaphorischer Spiegelblick. Im Jahr der russischen Revolution 1917 in Kiew geboren, wächst Eleanora Derenkovskaya in einer priviligierten jüdischen Familie auf. Ihr Vater Salomon ist Psychiater, ihre Mutter verfügt über eine musikalische Ausbildung. Fünf Jahre später flüchtet die Familie vor dem politischen Chaos in die USA und verkürzt bei der Einwanderung ihren Nachnamen auf Deren. Bedingt durch die Scheidung der Eltern, besucht Maya ein Internat in der Schweiz, lernt französisch, nimmt auch weiter Russischunterricht. Nach der Heirat mit dem aus Russland stammenden Gregory Bardacke geht sie nach New York, wo sie ein Studium in englischer Literatur absolviert. 1941 begegnet sie der Choreografin, Tänzerin und Anthropologin Katherine Dunham und schließt sich deren Tanztruppe an. Die Begründerin des „Black Dance“, für deren anthropologische Studien Deren sich begeistert, inspiriert sie zu dem Essay „Religious Possession in Dancing“. Auf einer Tournee in Los Angeles 1942 lernt sie den Prager Experimentalfilmer Alexander Hackenschmied kennen, der sich später Hammid nennt. Er gibt ihr den Namen der buddhistischen Göttin Maya. Mit der kleinen Erbschaft ihres Vaters kauft Deren eine 16mm-Bolex-Filmkamera, um mit Hammid als Kameramann 1943 „Meshes of the Afternoon“ zu drehen, das Schlüsselwerk der vom Surrealismus beeinflussten amerikanischen Filmavantgarde der 1940er- und 1950er-Jahre. Traum, Lyrik und moderner Tanz liefern fortan Vorlagen für „Psychodramen“ und „Trance“-Filme, mit denen sie den poetisch-abstrakten Film in Abgrenzung zu Hollywood begründet. Am Anfang ihres aufschlussreichen Künstlerporträts legt Martina Kudlácek das „Botticelli Picture“ in die Hand seines Urhebers, als sie Alexander Hammid, heute über 90 Jahre alt, mit Hilfe von Erinnerungsstücken seine Zusammenarbeit und Ehe mit Maya Deren kommentieren lässt. Später taucht das Bild als Zitat innerhalb der ursprünglichen Filmsequenz auf, und – eingefroren – in einer Passage, in der Kudlácek in den Zettelkästen der legendären Filmemacherin und Ethnografin blättert und es durch eine Assoziativmontage mit dem Stichwort „window versus mirror“ in Verbindung bringt. Der Spiegel avanciert so zu einer Metapher für die vielschichtige Persönlichkeit von Maya Deren, die die österreichische Dokumentaristin in einer kompakten Collage aus Fotos, essayistischen Impressionen von den Orten ihres Wirkens, unveröffentlichten Archivaufnahmen und in Interviews mit Zeitgenossen zu beschwören vermag. Hinzu kommen Derens Musikaufzeichnungen aus Haiti und John Zorns kongeniale Filmmusik. Seit ihrem Tod 1961 ist Maya Deren zu einem Mythos geworden, um den sich viele Geschichten ranken. Neben Hammid, Katherine Dunham und Judith Malina vom „Living Theater“ kommen Größen der New Yorker Filmszene wie Stan Brakhage, Amos Vogel und Jonas Mekas zu Wort. Dabei entsteht das Bild einer faszinierenden Frau, die in ihrem Leben Intellektualität und Leidenschaft verkörperte, kompromisslos und exzessiv. Tanz stellte für sie eine Brücke zwischen den Kulturen dar, weckte ihr Interesse an den haitianischen Voudoun-Ritualen und Trancetänzen, die sie über 21 Monate lang dokumentierte und in ihrer ethnografischen Studie „Divine Horsemen: The Living Gods of Haiti“ beschrieb. In „A Study in Choreography for Camera“ (1945), „Ritual in Transfigured Time“ (1946) und „Meditation on Violence“ (1948) entwickelte Deren ihr Choreocinema, Filme, in denen Tänzer von der Schwerkraft befreit, aus eigener Kraft zu schweben scheinen. Oft ist ihre subjektive Kamera kein neutrales Aufzeichnungsgerät, sondern, an den Bewegungsabläufen beteiligt, ein Partner der „Ballerina“. Für Deren, deren energische Stimme Kudlácek immer wieder aus dem Off ertönen lässt, war Film ein Medium, das Grenzen durchbrechen half und nach höchster Perfektion verlangte, eine zeitgemäße Kunstform, die die Struktur der Bewegung offenbarte. Trotz deren technisch-ökonomischer Widerspenstigkeit hätte sie sich in keinem anderen Medium annähernd so gut ausdrücken können. Die rigorose Kreativität forderte aber ihren Preis: Die Intensität ihrer Filme korrespondierte mit der ihres rastlosen Lebens, das ein vorzeitiges Ende fand.
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