Dokumentarfilm über ein Wiener Kino, in dem ausschließlich alte deutschsprachige Unterhaltungsfilme laufen, sowie über seine Besucher, die alle im Rentenalter sind. Der Film stellt ihre unterschiedlichen Lebensweisen vor, zeigt ihre veralteten Ansichten zu Gesellschaft, Politik und Kino, bietet aber auch Einblicke in ihre verschiedenen Weisen, mit Alter, Einsamkeit und Tod umzugehen. Im Ton ist der ausgesprochen unterhaltsame, ebenso liebenswert wie abgründig argumentierende Film nie spöttisch, sondern vor allem neugierig.
- Ab 14.
Bellaria - So lange wir leben!
- | Deutschland/Österreich 2002 | 95 Minuten
Regie: Douglas Wolfsperger
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Filmdaten
- Originaltitel
- BELLARIA - SO LANGE WIR LEBEN!
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- EPO-Film/arte/WDR
- Regie
- Douglas Wolfsperger
- Buch
- Douglas Wolfsperger
- Kamera
- Helmut Wimmer
- Musik
- Hans Jürgen Buchner
- Schnitt
- Götz Schuberth
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Kino sei doch eigentlich erfunden worden, um dem Publikum Traumwelten zu bieten, sagt ein hagerer älterer Herr, der vor Jahren als Damenimitator und Tänzer unterwegs war. Blut, Geburten und überhaupt den ganzen Realismus wolle er im Kino nicht sehen. „Die neuen Filme sind nichts für mich“, gesteht auch eine ältere Dame mit spürbarem Abscheu in der Stimme; auch sie hat einst gesungen und getanzt. Dieselben Ansichten zum Thema Kino äußert eine Handvoll weiterer Herrschaften: ein Lehrer mit Regietalent, eine Frau mit einem Uhren-Tick, ein paar einsame Witwen. Was sie dagegen alle lieben, ist das deutschsprachige Kino der 30er-, 40erund 50er-Jahre, die Blütezeit der Ufa also mit ihren Operettenverfilmungen, Lustspielen, Melodramen und Heimatfilmen. Sie alle gehen regelmäßig, manche täglich, ins „Bellaria“, ein einzigartiges Kino in Wien, das ausschließlich Unterhaltungsfilme aus jener Epoche zeigt. Der Filmvorführer ist so alt wie die ältesten Filme, die hier laufen, und er hat auch manche Erklärung für die Vorlieben seiner Stammgäste parat. Die männlichen Hauptfiguren in seinen Filmen zum Beispiel wiesen noch den „Vorkriegscharakter“ auf, seien also noch echte Herren und hätten noch nicht solche Probleme mit dem Alkohol wie die Nachkriegsmänner.
Douglas Wolfsperger ist in seinem Dokumentarfilm über das kulturelle Relikt „Bellaria“ und seine Besucher mit Konsequenz und Raffinesse vorgegangen. Anfangs zeigt er harmlose ältere Menschen bei ihrem Lieblingsvergnügen, dem Kinobesuch, ihre Rührung angesichts der Liebesschwüre von Johannes Heesters, ihre Erheiterung bei Heinz Rühmann. Dann lässt er sich von jedem Besucher ein wenig aus dem Leben erzählen und begleitet sie nach Hause. Schließlich haben sie genug Vertrauen gefasst, um ihre Ansichten über die Welt und das Leben kundzutun. Über die Ausländer zum Beispiel, um das „Problem“ doch mal beim Namen zu nennen. Der Ton von Wolfspergers Film ist jedoch nie spöttisch. Scheinbar unbeteiligt lässt er sich auf seine Gesprächspartner ein. Er bohrt nicht nach und widerspricht nicht, er will einfach nur wissen. Und so erfährt er, dass diejenigen „Bellaria“-Besucher mit künstlerischer Vergangenheit ihren Idolen auch schon begegnet sind, wie Zarah Leander, Lilian Harvey oder Ilse Werner. Allerdings werden sie von einem skurrilen weiblichen Zwillingspaar aus München in den Schatten gestellt, das sich schon mit Hunderten von Prominenten hat ablichten lassen.
Wie so oft im Dokumentarfilm bringt erst der Schnitt den Tonfall und die Wahrheit hervor. Unterlegt von Haindlings Musik im Stil alter Schlager, versammeln sich die neutralen Beobachtungen zum Panoptikum einer Generation, die es ablehnt, in der Gegenwart zu leben, die ihren Lieblingsfilmen ebenso über die Jahrzehnte treu geblieben ist wie den einst sorgfältig eingebläuten Ansichten über Männer und Frauen, über Fremde und Vaterland. Das ist oft unterhaltsam und manchmal erschreckend. Aber Wolfsperger, der in den vergangenen Jahren sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme gedreht hat, erzählt noch andere Geschichten. Kleine Dramen aus dem Leben, die rührend sind: eine an sich fröhliche Frau, die sich jeden Abend vom Bild ihres verstorbenen Gatten verabschiedet; eine andere, die, damit ihre Rente fürs Kino reicht, sich ausschließlich aus Konservendosen ernährt und ihre Eichenschrankwand mit Vorrat für die kommenden Monate vollgestellt hat. Letztendlich zeigt sich hier wie bei den anderen Gesprächspartnern eine von vielen Möglichkeiten, mit dem Alter und der Einsamkeit umzugehen. Und mit dem Tod. Wolfsperger begleitet einige von ihnen auf den Friedhof und erfährt, wo und wie sie begraben sein wollen. Und Karl Schönböck, den Ufa-Star, der eines Abends das „Bellaria“ besucht, fragt er nach der Angst vor dem Tod. Habe er nicht, sagt der – und stirbt kurz nach den Dreharbeiten.
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