Dokumentarfilm | Deutschland 2001 | 89 Minuten

Regie: Stefan Landorf

Dokumentarfilm über das Berliner Krankenhaus Moabit, speziell über dessen neurologische Abteilung. Die Klinik und ihre Arbeitsabläufe sowie die sozialen Strukturen werden systematisch und mit scharfem Blick für Details untersucht und mittels der rhythmischen Montage sowie einer exzeptionellen Tonebene künstlerisch anspruchsvoll komponiert. Dabei wird der Gegenstand keineswegs der experimentellen Ästhetik geopfert; vielmehr wird diese in den Dienst einer filmischen Würdigung des Klinik-Kosmos gestellt, der um den Menschen kreist. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Hochschule für Film und Fernsehen München (HFF)/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Stefan Landorf
Buch
Stefan Landorf
Kamera
Christof Oefelein
Musik
David Sanchez
Schnitt
Stefan Landorf
Länge
89 Minuten
Kinostart
16.06.2011
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
„Augen mal auf und einfach geradeaus schauen. Und wieder zu. Augen auf. Und zu. Augen auf. Augen zu. Jetzt mal bitte dabei tief und etwas schneller ein- und ausatmen.“ Schauen, Einatmen, Ausatmen: Im Krankenhaus ist auch das Selbstverständliche nicht normal. Schon die Einstiegszene von Stefan Landorfs Dokumentarfilm öffnet den klinischen Raum als filmischen. Landorf hat als Arzt gearbeitet, er sucht das Detail, die Nahaufnahme, den ungewohnten Blick. Das Ergebnis seiner Recherche im Berliner Krankenhaus Moabit beeindruckt: „Aufnahme“ zeigt nicht irgendeine Klinik, es ist „der“ Film zum Krankenhaus schlechthin. Landorf vollzieht eine doppelte Bewegung: In Close Ups seziert er den sozialen und technischen Raum „Klinik“: Da werden Kittel angezogen, Türen geschlossen, Medikamente verteilt, Betten geschoben, Patienten befragt – ein Kosmos aus routinierten, einstudierten, professionalisierten Abläufen. Insofern ist Landorf ist ein Analytiker des Sozialen. Doch auf einer zweiten Ebene montiert er die Szenen zu einem neuen, rhythmisch gestalteten Ganzen. Gedreht wurde in der neurologischen Abteilung der Klinik. Die sensible Kamera sieht genau hin: Reflexhämmer schlagen auf Gelenke, Hände betasten Beine, Bäuche, Arme, heben Knie an, strecken Füße, beugen Finger und Zehen. Ärzte, Schwestern und Pfleger streifen durch die Klinik, stehen im Fahrstuhl, diskutieren Patelarreflexe; in Team-Besprechungen berichten sie von ihren Patienten und Problemen, sie scherzen, lesen, sortieren Akten, diktieren Krankenberichte. Und sie sprechen mit Kranken: „Seit wann sind die Kopfschmerzen so?“, fragt die junge Ärztin eine Tinitius-Patientin: „Wie waren Sie vorher?“ Ein anderer sagt: „Ich wollt’ Sie mal pieksen.“ „Aufnahme“ zeigt die Welt der Medizin, ohne sie durch Kommentare zu verwässern. Die Szenen sprechen für sich, aber Landorf belässt es nicht dabei: Leitmotive durchziehen den Film, stakkatohaft aneinander geschnittene Takes wechseln mit längeren Einstellungen. In der Kombination der detaillierten Blicke auf Betrieb und Menschen wird klar: Das Krankenhaus ist selbst ein Organismus. Das hat nichts Metaphysisches an sich, sondern spiegelt nur wider, wie komplex und reichhaltig die Maschine „Klinik“ funktioniert. Dass diese Neukombination, diese synthetische Sicht gelingt, verdankt sich vor allem der Tonspur. Tonmann Patrick Veigels Liebe gilt den seltsamen Nah-Geräuschen von Geräten, Türen, Signalgebern, Menschen. David Sanchez hat aus dem Sirren, Klirren, Klackern und Knacken, dem Pfeifen, Rauschen und Dröhnen einen beeindruckenden, fast mystisch aufgeladenen Soundtrack komponiert; die exzellente Tonmischung besorgte Gerhard Auer. Immer wieder werden Ton- und Bildebene dissoziiert; mit gezieltem Voice Over autonomisiert der Film die Tonebene. All das zeugt vom Willen zur Kunst, doch in keiner Szene opfert Landorf seinen Gegenstand der experimentellen Ästhetik. Sein reichhaltiges, anregendes und feinfühlig gebautes Debüt entdeckt das Krankenhaus – trotz aller Technik und allem Mechanischen, trotz Routine und Betrieb – als einen sympathischen Ort. Denn hier kümmern sich Menschen um Menschen. „Aufnahme“ zeigt, dass das auch ein Wunder ist, wenn man nur genau genug hinschaut.
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