Wer noch nicht wusste, dass die Zeiten von Luis Trenker und seiner idealistischen Bergsteiger endgültig vorbei sind, dem wird es in "Cliffhanger", einem neuen Star-Vehikel von Sylvester Stallone, klargemacht. Wenn sich Hollywoods Film- und Stunt-Crews in die Alpen begeben, dann gilt es nicht, in Not geratene Bergsteiger zu retten oder eine vaterländische Mission zu erfüllen, sondern dann geht es wie in jedem Hollywood-Thriller simpel und einfach um Gauner und Moneten.
Der US-amerikanische Alpenverein hat den Film gerühmt und sich anerkennend über die "Echtheit" der bergsteigerischen Leistungen geäußert. Doch auch diese Bergsteigerei hat in ihrer Extremheit nicht mehr viel mit Luis Trenker zu tun.
Die Zeiten haben sich geändert, nicht nur im Flachland. Um das Positive vorwegzunehmen: Regisseur Renny Harlin hat ein schweißtreibendes Spektakel inszeniert, das über mehr riskante Situationen verfügt als sämtliche Trenker-Filme zusammen. Er setzt damit eine zaghafte Tradition fort, die im US-amerikanischen Kino mit Edward Dmytryks "Berg der Versuchung" begann und in Clint Eastwoods "Im Auftrag des Drachen" und Fred Zinnemanns "Am Rande des Abgrunds" ihre bisherigen Höhepunkte gefunden hat.
Harlin reiht eine haarsträubende Situation an die andere, als gelte es, ein Marathon bergsteigerischer Risiken zu veranstalten: "Stirb langsam" in den Dolomiten. Ja, es sind die Dolomiten, obwohl fortwährend von Colorado geredet wird. Und die haben in Auf - und Untersicht, aus Hubschraubern und mit modernstem Aufnahmegerät gefilmt, noch nie so dramatisch ausgesehen.
Was Harlin nach wie vor abgeht, ist der Sinn für Ökonomie. Nicht nur stehen die beiden besten Sequenzen gleich am Anfang des Films, sondern der Wiederholungseffekt lässt die Anteilnahme erlahmen, statt sie anzustacheln. Dadurch geschieht es, dass man der Handlung mehr Aufmerksamkeit widmet, die sich auf einem selbst für Actionfilme ungewöhnlich simplen Niveau bewegt.
Sie lässt sich mühelos in ein paar Sätzen rekapitulieren, ohne irgend etwas Wichtiges auszulassen. Nach einer den Film einleitenden tragischen Rettungsaktion trägt sich Stallone alias Gabe Walker mit Schuldkomplexen und sein Bergwacht-Kollege Hal (Michael Rooker) mit ebenso großen Hassgefühlen. Trotzdem müssen sie wieder zusammenarbeiten, als eine Bande von skrupellosen Geldhaien, die bereits Mannschaft und Jet eines staatlichen Dollar-Transports von 100 Millionen ausradiert hat, mit ihrem eigenen Flugzeug in eisiger Bergeinsamkeit notlandet. Die Beute haben sie bei ihrem waghalsigen Unternehmen verloren; sie liegt irgendwo im Schnee verteilt. Gabe und Hal kommen gerade recht, um zwischen abweisenden Bergtürmen und drohenden Lawinen die Suche nach den drei Koffern aufzunehmen.
Viele Zuschauer kennen John Lithgow als Hollywoods intellektuellen Standard-Ganoven und wissen von da an, welches Ende die Story nehmen wird. Bis zum Finale aber ist noch so mancher Abgrund und so manche Steilwand zu überwinden. Trotz der hohen Produktionsqualität der Stunts, Kletterszenen und Bergaufnahmen zeigt sich wieder einmal, daß ein Film ohne eine berührende Story nicht überleben kann. Offenbar hat auch Harlin die Schwächen gespürt. Deshalb versucht er im letzten Drittel, die sinkende Spannungskurve mit einer guten Portion Sadismus und Brutalität aufzufangen, nicht bemerkend, daß er den Film damit vollends dem Klischee des stereotypen Actionkinos der 1990er-Jahre überläßt. Was macht es da noch aus, daß die Unwahrscheinlichkeiten sich häufen und Sylvester Stallone so agiert, als ob er sich auf den Straßen von Chicago bewege.