Porträt-, Dokumentar- und Musikfilm, der in einem Geflecht aus Fotografien, Musikeinspielungen, Interviews und Spielszenen den für seine Jazz-Fotos berühmt gewordenen Fotografen William Claxton sowie seine Arbeitsweise und -philosophie vorstellt. Dabei ergibt sich ein höchst lebendiger, unterhaltsamer Einblick in die Welt des amerikanischen Jazz vom Bebop der 50er-Jahre bis zu neueren Strömungen der Gegenwart, die sich in Claxtons spezifischer Sichtweise spiegelt: die spontane, intuitive Improvisationsmusik findet in seinen künstlerisch hochrangigen Fotografien ihren Ausdruck. Ein anregendes Vexierbild auch über die Philosophie eines respektvollen Miteinanders in einer individualistischen Welt. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 12.
Jazz seen
Musikfilm | Deutschland 2001 | 81 Minuten
Regie: Julian Benedikt
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- EuroArts Entertainment/North by Northwest Ent./ZDF/arte/Bravo Television
- Regie
- Julian Benedikt
- Buch
- Julian Benedikt
- Kamera
- Matthew J. Clark
- Musik
- Till Brönner · div. Jazz-Standards
- Schnitt
- Andrew Hulme
- Länge
- 81 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Musikfilm | Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Fast jeder große Fotograf hat sein unverwechselbares Sujet oder „Genre“ und entwickelte auf diesem Gebiet seine ganz individuelle Handschrift. Jenseits all der Größen aus den Bereichen Mode oder Architektur, der Landschafts-, Porträt- oder Erotikfotografie oder den „Realisten“ mit ihren wichtigen Reportage-, Kriegs- oder sonstigen dokumentarischen Fotos gibt es nur wenige Fotografen, die sich auf die Abbildung eines primär akustischen Mediums wie den Jazz konzentriert haben. Sie nur als Porträtisten oder Dokumentaristen zu bezeichnen, wäre allerdings unzureichend, ging oder geht es Jazz-Fotografen wie Francis Wolff, David Redfern oder William Claxton doch stets um mehr als das bloße Abbild eines Musikers bei der Arbeit. So erfassen Claxtons einfühlsame, ungemeine stimmungsvolle und, wie es Helmut Newton einmal nannte, sehr emotionale Fotos auf kongeniale Weise die „Philosophie“ des Jazz, jene im Prinzip unwiederholbare Ästhetik der Improvisation, des spontanen Augenblicks manchmal „magischer“ musikalischer Ausdruckskunst. „Es muss jetzt passieren, und es darf nicht geplant sein“, erklärt Russ Freeman in Julian Benedikts neuem Film, und das verbinde den Jazz mit Claxtons Fotografie: der spontane, intuitive und doch in der richtigen Sekunde exakt und präzise erfasste „moment in time“, der dann zum fotografischen Spiegelbild der menschlichen, vor allem aber auch einer musikalischen „Seele“ wird. Bereits seit den 50er-Jahren folgte Claxton seiner Passion für die improvisierte Musik und lichtete ihre herausragenden Protagonisten ab, wobei er zum einfühlsamen Protokollanten des Bebop und seiner zahlreichen Verästelungen wurde; Claxton schuf für Größen wie Chet Baker, Ella Fitzgerald, Miles Davis oder John Coltrane Image prägende Bilder, wurde zudem zum aufmerksamen Chronisten des West-Coast-Jazz, dem er einen ganz eigenen visuellen „Look“ verlieh, ohne dabei die Musiker zu vernachlässigen; Claxtons Respekt vor ihrer Persönlichkeit brachte ihm das Vertrauen der Musiker als weitere entscheidende Voraussetzung für die stimmige Chemie seiner Fotosessions ein.
Von all dem und noch von viel mehr handelt Benedikts Porträt-, Dokumentar- und Musikfilm, der sich auf die Spuren des inzwischen über 70-jährigen Fotografen heftet und dabei vor allem das Bild eines freundlichen, zurückhaltenden, ja bescheidenen Arbeiters vermittelt, dem die Nähe zu den Musikern mehr bedeutet als aller Ruhm und alle Verehrung, die ihm bei Vortragsreisen oder PR-Veranstaltungen entgegengebracht wird. Manchmal erscheint es wie ein kleines Wunder: Da sind annähernd 50 Jahre Jazz ins Land gegangen, die Zeiten haben sich so sehr geändert wie die Musikstile, und doch begegnen zeitgenössische Interpreten wie Cassandra Wilson, Diane Krall oder Kurt Elling Claxton und seiner Kamera immer noch mit jenem unverbrüchlichen Vertrauen, das man ihm seit Jahrzehnten entgegenbringt. Hier kommt Benedikt wohl einem der großen Geheimnisse des Jazz nahe: dass diese Musik, die von einem Höchstmaß an individueller Ausdrucks- und Improvisationskunst lebt, nur dann funktioniert, wenn sie vom größtmöglichen Respekt vor den Fähigkeiten des Mitmusikers geleitet wird. In diesem Sinn ist Claxton für die Jazz-Virtuosen ein perfekter Verbündeter, ja sogar ein „Mitmusiker“, der ihre Musik tatsächlich sichtbar zu machen versteht.
Benedikt tut gut daran, sich auf ein multiperspektivisches „narratives“ Konzept einzulassen, das Claxtons Fotografien in ein vielschichtiges Spannungsverhältnis zu Musikeinspielungen, dokumentarischen Club-Sessions, Interview-Sequenzen, Arbeitsgesprächen (mit Jim Rakete und Helmut Newton), ja sogar einigen inszenierten Spielfilmszenen setzt, die Claxtons Kindheit sowie seine Beziehung zu seiner Frau, dem ehemaligen Starmodel Peggy Moffitt, illustrieren. Solche Spielszenen wirken mitunter etwas steif und redundant, fügen sich aber doch recht gut in den polyphonen Rhythmus ein, der den Film prägt. Gerade in den scheinbaren „Abwegen“, die Benedikt betritt, versinnbildlicht sich zudem trefflich die Philosophie des professionellen Miteinanders im Dienst der improvisierten Musik; dabei nimmt man es Benedikt auch nicht übel, wenn er „flunkert“ und das Ella Fitzgerald/Duke Ellington-Stück „Imagine my Frustration“ aus dem Jahr 1962 auf eine Zeitreise schickt, um es stimmungsgerecht in Claxtons Jugend in den 30er-Jahre aus dem Radio erklingen zu lassen; nicht minder sympathisch ist es, wenn er sich durch eine Begegnung zwischen Claxton und Kurt Elling dazu anregen lässt, den Chicagoer Stimmakrobaten noch einmal ausführlich während eines Stuttgarter Konzertauftritts zu verfolgen. Claxton ist in solchen Momenten gar nicht mehr der Porträtierte, sondern ein anregender Spiritualist, der den Regisseur – und mit ihm den Zuschauer – dazu animiert, sich frei genug zu fühlen, der eigenen Neugier und Faszination zu folgen. Was ließe sich Schöneres über einen „Jazz-Film“ sagen?
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