Nach dem Totschlag an ihrem Sohn, der ein Verhältnis mit einer geschiedenen Frau hatte, entwickelt sich der Alltag eines Ehepaars zum Albtraum voller gegenseitiger Anfeindungen, der in eine Verzweiflungstat mündet. Ein erschreckender Blick ins amerikanische Kleinstadt- und Familienleben, der ohne physische Gewaltausbrüche auskommt. Umso schmerzlicher werden die Formen struktureller Gewalt nachvollziehbar, durch die die intime Kenntnis des Ehepartners instrumentalisiert wird. Eine hervorragend gespielte intime Studie über die Abgründe eines Daseins, dem jäh das Zentrum entrissen wurde.
- Sehenswert ab 16.
In the Bedroom
Drama | USA 2001 | 131 Minuten
Regie: Todd Field
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Filmdaten
- Originaltitel
- IN THE BEDROOM
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Good Machine/Santdard Film Company
- Regie
- Todd Field
- Buch
- Todd Field · Robert Festinger
- Kamera
- Antonio Calvache
- Musik
- Thomas Newman
- Schnitt
- Frank Reynolds
- Darsteller
- Tom Wilkinson (Dr. Matt Fowler) · Sissy Spacek (Ruth Fowler) · Nick Stahl (Frank Fowler) · Marisa Tomei (Natalie Strout) · William Mapother (Richard Strout)
- Länge
- 131 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Jedes Wort, das man über den Inhalt dieses leisen Meisterwerks verrät, ist im Grunde ein Wort zu viel. Während im durchschnittlichen Thriller das einzige wirklich überraschende Blatt fünf Minuten vor Schluss gespielt wird und man deshalb getrost alle anderen Karten im Voraus aufdecken darf, erwischt „In the Bedroom“ den Zuschauer ständig auf dem falschen Fuß und zwingt ihn damit, den Blickwinkel immer dann zu wechseln, wenn er sich behaglich in seinem Überblick eingerichtet zu haben meint: Glaubt er eben noch die scheinbaren Hauptpersonen entdeckt zu haben, rücken plötzlich andere Figuren ins Zentrum; meint er, gleich Zeuge eines ausbrechenden Konflikts zu werden, ist er in Wirklichkeit Opfer einer raffinierten Inszenierung oder Komplize eines geheimen Einverständnisses; und wähnt er sich endlich dem Thema des Films auf der Spur, entpuppt sich seine selbstgerechte Abgeklärtheit als Holzweg. Immer wieder verirrt sich „In the Bedroom“ in scheinbar gefangene Zimmer, um ebenso regelmäßig eine Tür zu entdecken, durch die es dennoch weitergeht – und es handelt sich nicht einmal um Geheimtüren. Nur selten wird der Zuschauer so subtil und subversiv zum Spielball einer Inszenierung – es wäre deshalb ein Verbrechen, Todd Field mit Inhaltsangaben ins Handwerk pfuschen.
Die Ausgangslage wenigstens sei verraten: Ein wunderschöner Sommer in Maine geht seinem Ende entgegen. Frank Fowler muss sich entscheiden, ob er die Romanze mit Natalie Strout um eine Zwischensaison verlängern oder doch wie geplant sein Architekturstudium beginnen soll. Dieser Entscheidung sehen seine Eltern, Matt und Ruth, der Arzt und die Musiklehrerin, mit einiger Sorge entgegen, schließlich wohnt ihr einziger Sohn noch immer in seinem Kinderzimmer, zu jung und zu unschuldig für Natalie, die geschiedene, allein erziehende Mutter mit ihrem undurchsichtigen und lästigen Ex-Mann. Dann taucht man statt in den zunächst verheißenen mild dramatischen Sommernachtstraum in die schlimmste Sorte von Albtraum ein, jene, die so nahe am Alltag bleibt und die Koordinaten dennoch so heillos durcheinander bringt, dass man im Wachzustand noch stundenlang sein Leben neu ordnet – als wäre man auf der Tastatur verrutscht und könnte deshalb die eigene Lebensgeschichte nicht mehr entziffern. Endlich möchte man Ruhe haben und einen angenehmen traumlosen Schlaf schlafen, und das scheinen einem auch die langen Schwarzblenden zu verheißen, die dem Film seinen Rhythmus geben; und doch wird man unerbittlich gezwungen, immer wieder die Augen zu öffnen, „In the Bedroom“ gefangen und dazu verdammt, zuzuschauen.
Field ist etwas gelungen, das auch David Lynch gut anstehen würde, allerdings ohne Gewaltausbrüche und kryptisch verschlungene Pfade. Field erzählt „A Straight Story“, der man auch ohne Hochschulabschluss und Interpretationsseminar problemlos folgen kann. Aber gerade sein lakonischer und unspektakulärer Erzählfluss macht den Film erst recht beängstigend und die überraschenden Wendungen glaubwürdig. Sissy Spacek zum Beispiel: Noch nie war sie so schön und noch nie so Furcht erregend – ein Dampfkochtopf, der jeden Augenblick vor überkochender Aggression und Wut bersten müsste, aber nicht einmal „pffft“ macht. Wie sie ihren Mann zum gefügigen Werkzeug manipuliert, ist nicht nur ein Kabinettstück großer Schauspiel- und Inszenierungskunst, man befindet sich hier auch mitten „In the Bedroom“ – in einer Schlüsselszene dieses Ehedramas: Matt und Ruth schliddern in einen Streit, in dessen Verlauf sie ihm vorwirft, er habe seinen Sohn zu lasch erzogen und lebe in dessen Liebschaft seine eigene Fantasien aus, worauf er kontert und ihr die Fähigkeit zu Gefühlen und Anteilnahme abspricht. Gegenseitig schaukeln sie sich hoch, wobei ebenso echter Schmerz wie die Lust am Quälen und Gequältwerden hervorbricht. Dann, ganz abrupt, schwenkt Matt ein, nicht etwa, weil er im Unrecht wäre, sondern gerade weil er so sehr ins Schwarze getroffen hat, dass seine Vorwürfe zur Gemeinheit werden, und er sich entschuldigen muss. Erst jetzt öffnet Ruth ihr Herz, erzählt ihm, dass sie immer wieder dem Ex-Mann von Natalie begegne, und dass dieser sie, nach allem was er ihr bereits angetan habe, auch noch anlächle. Sie anlächle – es ist diese einzige winzige Lüge, mit der sie ihren Mann zum willigen Vollstrecker macht, mit einer Raffinesse ohnegleichen, in die wohl schon der scheinbar spontane Ehestreit eingeplant war.
Ob Ruth selbst mehr Gequälte oder eine Quälende ist, ob die osteuropäische A-Cappella-Musik, die sie mit ihren Schülerinnen einstudiert, Balsam für ihre Wunden oder ein ungestörter Brutkasten für Rachepläne ist, bleibt glücklicherweise wie so vieles ohne Antwort. Nachdem auch die einzige scheinbar konventionelle Suspense-Szene anders endet als erwartet (nämlich im Ehebett, wo sich das Ehepaar nach getaner Arbeit in stiller Harmonie voneinander abwendet), enthüllt erst die allerletzte Einstellung die Topografie dieses Albtraums. Immer wieder ist man durch das Eingangstor nach Camden geraten, in diesen geheimen Garten, und jetzt sieht man, wo sich dieser Horror abspielt – in einem putzigen, pittoresken und stinknormalen amerikanischen Kleinstädtchen. Eine Totale, die einen schaudern lässt, weil man lange genug dort festsaß, wo ein anständiger Mensch nie freiwillig hingeht: „In the Bedroom“ eines stinknormalen amerikanischen Ehepaares.
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