- | Deutschland/Griechenland/Spanien 2001 | 108 Minuten

Regie: Jeanine Meerapfel

Eine etwa 50-jährige Fotografin, die in London zur Welt kam, in Spanien aufwuchs und in Berlin verheiratet war, verlebt nach dem Tod ihrer Eltern und ihres Ehemannes einen Sommer im Haus ihrer griechischen Vorfahren auf einer Ägäis-Insel und unternimmt dabei eine Reise durch ihre Lebens- und Familiengeschichte. Stringent inszenierter, in wunderbar komponierten Bildern erzählter Film, dessen berührende Reflexion über Leben und Tod vor allem durch das intensive Spiel der Hauptdarstellerin nachvollziehbar wird. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Griechenland/Spanien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Integral Film/Malena Films/FS/El Imán/WDR/ARTE/ERT/Canal+
Regie
Jeanine Meerapfel
Buch
Jeanine Meerapfel
Kamera
Andreas Sinanos
Musik
Floros Floridis
Schnitt
Bernd Euscher
Darsteller
Angela Molina (Anna Kastelano) · Herbert Knaup (Max Feldmann) · Dimitris Katalifos (Leon Kastelano) · Maria Skoula (Anna Levi) · Agis Emmanouil (Nikola)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Anna Kastelano ist für einen Sommer auf die griechische Ägäis-Insel Syme zurückgekehrt, um das kürzlich geerbte Haus ihrer Familie zu verkaufen. Hier hatte die in London geborene Fotografin als Kind ihre Ferien verbracht, hatte sich mit der Nachbarstochter Zoi angefreundet, deren Tochter Dimitra nun selbst fast erwachsen ist. Als Anna durch das Haus geht, holen sie die „Geister“ der Vergangenheit ein: Sie erinnert sich an ihren Vater Leon, einen sephardischen Juden aus Thessaloniki, der 1938 nach England emigriert war und dort 1944 die Exil-Spanierin Malena geheiratet hatte. Anfang der 50er-Jahre trennten sich ihre Eltern, und sie ging mit ihrer Mutter nach Spanien. 1967 lernt Anna während einer Studentendemonstration in Berlin den Schriftsteller Max kennen und lieben. In Deutschland ereilt sie auch die Nachricht vom Tod ihres Vaters, den sie im Meer vor der geliebten Insel bestattete. Nach 30 Jahren glücklichen Zusammenseins ist nun vor einem Jahr auch Max gestorben. Die Trauer sitzt noch tief; dennoch lässt sich Anna auf ein Verhältnis mit dem viel jüngeren Nikola ein. Er, der eigentlich Dimitra versprochen ist, träumt von einer Computerausbildung in Berlin, während sie sich dazu durchringt, das Haus auf Syme zu behalten. „Die Erinnerung ist chaotisch“, sagte die Regisseurin anlässlich der Premiere ihres Films – und folgerichtig verzichtet sie bei ihrer filmischen Reise durch die Lebens- und Familiengeschichte ihrer Protagonistin auf eine chronologische Ordnung. Wenn Anna am Strand die selbst „geernteten“ Seeigel verzehrt, dann gesellen sich in ihrer – für den Zuschauer sichtbaren – Erinnerung sowohl ihr Vater wie auch Max für einen Moment zu ihr; die längst verstorbene Mutter geht ihr beim Kochen zur Hand und im Garten findet sich Annas gesamter Familien-Clan ein. Als sie später in einer Truhe das Tagebuch der Jugendliebe ihres Vaters findet, versetzt sie sich ins Davos des Jahres 1930 zurück, wo Leon die todkranke Anna Levi in einem Sanatorium kennengelernt hatte. Das kurze Glück mit der jüdischen Geliebten endet mit ihrer Beerdigung auf Syme , was fast zu einem Familienzerwürfnis führt. Anna ahnt, dass in ihrem Namen die Erinnerung an die erste, große Liebe fortlebt und ihre Mutter nie aus deren Schatten heraustreten konnte. Die Erkenntnisse, die sie aus ihrer inneren Zeitreise mit in die Gegenwart nimmt, lassen sie Trauer und Schmerz besser verarbeiten, helfen ihr aber auch, sich mit ihrem Alter ohne Koketterie auseinanderzusetzen: „Mein Bauchnabel wird runzlig“, sagt sie einmal – und man weiß, dass Anna mehr damit meint. Es geht eine innere Gelassenheit und Reife von dieser Person aus, die vor allem der ungeheueren Präsenz von Angela Molina zu verdanken ist, die sich auf die gesamte Inszenierung überträgt. „Annas Sommer“ mit seinen lichtdurchfluteten, nie in Folklore oder nostalgischer Verklärung steckenbleibenden Tableauxs des Angelopoulos-Kameramannes Andreas Sinanos entwickelt sich so zu einer berührenden Reflexion über Leben und Tod. Gleichzeitig kann man den Film aber auch als Reflexion der Regisseurin über ihr bisheriges Schaffen und den eigenen Alterungsprozess interpretieren – Jeanine Meerapfel in jener Zeit geboren, in der auch ihr Alter ego Anna das Licht der Welt erblickt. Auch werden die Themen ihrer bisherigen Filme hier gespiegelt: Die Suche nach der Heimat aus „Die Verliebten“ (1987), die Bedeutung des Exils in „Amigomio“ (fd 31 394), das Zerbrechen einer (Frauen-)Freundschaft („La Amiga“, fd 29 135), das sich hier in der Beziehung zu Zoi andeutet, die Bewältigung des jüdischen Traumas („Im Land meiner Eltern“, 1981), das Spannungsverhältnis zwischen zwei Kulturen („Die Kümmeltürkin geht“, 1985) und schließlich die Liebesgeschichte der Mutter aus „Malou“ (fd 22 882), die hier durch die des Vaters ersetzt wird. Mit einer stringenten Inszenierung hat sich Jeanine Meerapfel ganz von den Manierismen ihrer ersten Filme getrennt und zeigt eine erstaunlich sichere Hand bei der Führung der Schauspieler, die ihr nicht mehr aus dem Ruder laufen. Nur Herbert Knaup wirkt mit seinem Beamten-Aktentäschchen wie ein Fremdkörper im Berlin der 60er-Jahre. Das ist jedoch nur ein kleiner Wermutstropfen in einer filmischen Spurensuche, deren Klarheit und Schönheit sich in Gedanken, Bildern und Gesichtern dokumentiert.
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