Dynamo Kiew - Legende einer Fußballmannschaft

- | Deutschland 2000 | 60 Minuten

Regie: Alexandra Gramatke

Im Jahr 1975 war Dynamo Kiew der erfolgreichste Fußballverein der Welt, ihr Stürmer Oleg Blochin wurde zum Weltfußballer gewählt. Der kluge Dokumentarfilm spürt dem Mythos dieser Mannschaft nach und lässt die einstigen "Helden" zu Wort kommen. Im Rückblick wird das Sportsystem als staatstragende Säule ebenso deutlich wie die Wehmut der Spieler, die ihre Talente nicht wie westliche Sportler vermarkten konnten, sondern sich mit systembedingten Beschränkungen arrangieren mussten. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
thede filmproduktion
Regie
Alexandra Gramatke
Buch
Alexandra Gramatke · Barbara Metzlaff
Kamera
Barbara Metzlaff
Musik
Jan Feddersen
Schnitt
Maria Hemmleb
Länge
60 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Als Dynamo Kiew, die Mannschaft um den wieselflinken Stürmerstar Oleg Blochin und Kapitän Viktor Kolotow 1975 neben dem Europapokal der Pokalsieger in einem atemberaubenden Spiel gegen Bayern München auch noch das Supercupfinale gewann, war die Sensation perfekt: Das Fußball-Kollektiv aus der Ukraine wurde als beste Vereinsmannschaft der Welt gehandelt. Ein Verein, dessen Spieler im Dienst des sozialistischen Staats standen, den Rang von Offizieren bekleideten und als solche mit 300 bis 400 Rubel besoldet wurden. Schon aus dieser Tatsache wird ersichtlich, dass die Sportler nicht nur für Kiew kickten, sondern als perfekt eingespielte Propagandamaschine zu funktionieren hatten, die helfen sollte, die vermeintlichen Minderwertigkeitsgefühle der großen Nation abzubauen, deren Spieler folglich nicht nur als Idole, sondern auch als Nationalhelden gefeiert wurden. Der ebenso kurzweilige wie mit 60 Minuten äußerst kurze Dokumentarfilm von Alexandra Gramatke und Barbara Metzlaff geht dem Mythos des „Roten Orchesters“ nach. Historische Aufnahmen und kritische Stellungnahmen der Helden von einst verdichten sich dabei zu einer filmischen Einheit, die weit über Fußballspiel und Spielanalyse hinaus geht. Es schwingt ein wenig Bitterkeit mit, wenn die Spieler eingestehen, dass sie ihren (kapitalistischen) Marktwert überhaupt nicht begriffen hatten Für ihren Sieg wurden sie mit einer Prämie von vierhundert Mark abgespeist, wobei ihnen allerdings das Privileg zustand, eine Zweizimmer-Wohnung kostenlos und - was entscheidender war, ohne über eine Warteliste - beziehen zu können. Die Diskrepanz gegenüber westlichen Vereinen wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass der Fußball sich in diesen Jahren endgültig anschickte, sein Image als Malocher-Sport abzulegen - schließlich war die Ära von Beckenbauer, Breitner und Netzer angebrochen, in der die Grundsteine für millionenschwere Karrieren gelegt wurden. Lebenswege und berufliche Bahnen, wie sie sich die Spieler aus Kiew nicht einmal im Traum vorzustellen wagten, die „unverkäuflich“ waren und damit auf keine Karriere im kapitalistischen Ausland hoffen konnten. Ihr Starstatus erlaubte lediglich unmerklich längere Haare und eine ebenso bunt wie oft unpassend zusammengewürfelte westliche Kleidung. Ein wenig wehmütig denken die ukrainischen Kicker an ihre große Zeit zurück, die ihnen noch heute, da ihr einstiger Verein als Aktiengesellschaft geführt wird, ein Auskommen und einen Platz in der Altherrenmannschaften sichert. Doch mit der Versorgung ist das so eine Sache, wenn man monatelange auf sein karges Gehalt warten muss und nie so recht weiß, wie es weiter geht. Oleg Blochin, der einstige Weltfußballer, der Beckenbauer mit 80 Stimmen schlug, trainiert heute eine griechische Mannschaft. Noch immer ist er stolz auf die „kollektive Schnelligkeit“ seiner Mannschaft und lächelt verklärt, wenn er von der „besten Zeit“ seines Lebens spricht, eine Zeit, die sich für ihn nicht in Devisen ausgezahlt hat, sondern durch das Bewusstsein, ein wahrer Held zu sein. Durch die Auslotung dieses Spannungsfeldes zwischen individuellem und kollektivem Bewusstsein ist den beiden Autorinnen ein außergewöhnlich vielschichtiger Dokumentarfilm gelungen, der gesellschaftliche und sportpolitische Bezüge zugleich nie außer acht lässt. So erfährt man beispielsweise auch, dass kein Spiel von Dynamo Kiew je live in der Sowjetunion übertragen wurde, weil das „Rote Orchester“ stets nur von seiner besten Seite gezeigt werden sollte - wozu eine Niederlage, wie sie im Sport nun mal nicht auszuschließen ist, nicht gepasst hätte. Eine eigenwillige Art der Wertschätzung durch Funktionäre, die sich um den Verein und seine Helden mit allen erdenklichen Mitteln kümmerten - auch mit denen der Zensur.
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