Videogramme einer Revolution

Dokumentarfilm | Deutschland 1991 | 107 Minuten

Regie: Harun Farocki

Dokumentarfilm, montiert aus mehreren hundert Stunden Bildmaterial zur Revolution in Rumänien, die in den letzten Dezember-Tagen des Jahres 1989 zum Sturz Ceaucescus führte. Er demonstriert einerseits die Strategien der alltäglichen televisionären Inszenierung von Macht und rückt andererseits den Stellenwert des Fernsehens in der rumänischen Revolution in ein anderes Licht, als es die offiziellen Bilder bislang zeigten. Eine anspruchsvolle medienkritische Auseinandersetzung mit dem Informationsgehalt von (Fernseh-)Bildern, deren Untersuchung zur Wirklichkeit zurückführt. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Harun Farocki/Bremer Institut Film/Fernsehen
Regie
Harun Farocki · Andrej Ujica
Buch
Harun Farocki · Andrej Ujica
Schnitt
Egon Bunne
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Vom 21. bis 26. Dezember 1989: ein Volk (?) lehnt sich gegen seinen Tyrannen auf, tötet ihn, versucht eine neue Gesellschaft zu erbauen auf den Leichen. So zumindest sah es am Bildschirm aus. Sah es so aus, weil es wirklich so war, oder sah es so aus, weil es so aussehen sollte, weil Revolutionen auf eine bestimmte Art und Weise aussehen? Hat die Geschichte eine so starke Eigendynamik der Darstellung entwickelt, daß sich ihre Darstellung zum Ritual entwickelt hatte, so daß nun die Revolutionäre bestimmte Riten erfüllen mußten auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft? Kann diese Gesellschaft unter diesen Bedingungen überhaupt eine neue sein, wenn nur das Ritual erfüllt wurde und keiner "Nein" sagte? Das Land heißt Rumänien, der Diktator heißt Ceaucescu, das Datum stimmt. Der Rest ist Fernsehen, Video, Homemovies.

Die Rumänische Revolution oder das, was man in den Medien als solche darstellte, war ein gigantisches Fernsehspiel mit echten Menschen (Toten). In Rumänien entledigte sich das Volk (?) jener Menschen, die es jahrelang tyrannisiert hatten. Das Fernsehen war die ganze Zeit dabei - aber man bekam nicht alles zu sehen. Und es gab auch noch viele Video-Amateure, die die Ereignisse filmten.

Man kann nicht sagen, Harun Farocki und Andrei Ujica haben die Wahrheit gefunden, als sie sich auf die Suche nach inoffiziellen Film/Videoaufnahmen machten, diese mit den offiziellen Bildern verglichen, kontrastierten, so die offizielle Wahrheit durch andere Perspektiven erweiterten, entlarvten. Was sie fanden, war eine andere Sicht auf die Ereignisse. "Videogramme einer Revolution" ist diese andere Sicht. Der Film besteht nur aus found footage, nichts wurde nachgedreht; die Szenen wurden streng chronologisch geordnet, beginnend mit der letzten Rede Ceaucescus und endend mit der ersten Zusammenfassung der Aburteilung des Diktatorenpaares und seiner Hinrichtung. Zu sehen sind nur Film/Videoauf-nahmen, zu hören nur Originaltöne, ab und an hebt eine Kommentarstimme die Bilder, die man im Augenblick sieht, auf eine andere Ebene - oder sie gibt den Bildern eine neue Perspektive, indem sie auf Fakten hinweist, die man nicht sehen kann, wenn es denn Fakten sind und nicht Vermutungen, Ideen. Direkt zu Beginn etwa werden die vom offiziellen Fernsehen übertragenen Bilder der Ceaucescu-Rede kontrastiert/komplettiert durch nicht gesendete Bilder. Töne oder Aufnahmen aus anderen Perspektiven: Nebensächlichkeiten wie der Mann hinter Ceaucescu bekommen plötzlich eine größere Bedeutung. Ergänzt werden diese Bilder durch Aufnahmen von Video-Amateuren (in dem ganzen Film gibt es so gut wie keine Filmbilder, fast nur Video), die bestimmte Dynamiken, Bewegungen aus den vorherigen Aufnahmen fortführen. Anders herum: Man sieht die Revolutionäre bei ihren Vorbereitungen für ihre erste große Rede, die man dann im Anschluß auch noch zu sehen bekommt, die aber auch anders wirkt: es ist, als ob Charaktere, die man kennengelernt hat mit der Zeit, eine bestimmte Handlung ausführen; die Bilder verändern sich. Und noch anders: Da sieht man Bilder der Armee, die auf ein Haus schießt, man hört Schüsse: es heißt, Heckenschützen der Securitate seien in diesen Häusern. Die Off-Stimme sagt, daß diese Häuser so etwas wie Fassaden und diese Heckenschützen vielleicht auch so etwas wie Potemkinsche Killer seien, denn zu sehen ist niemand. Die Off-Stimme vermutet, daß es diese Heckenschützen gar nicht gibt, daß sich die Revolutionäre diese Geschichte ausgedacht haben, um mit der Angst-Dynamik der Tyrannen gegen die Tyrannen zu arbeiten. Was man nicht erfährt: Warum erheben sich die Menschen gerade in diesem Augenblick? Man erfährt ohnehin nichts über die Menschen, man sieht nur eine Dynamik, die ihren Gang nimmt; man sieht eine unmenschliche Tragödie. Man sieht Geschichte zu.

"Videogramme einer Revolution" ist ein Film darüber, wie Geschichte mit den Medien gemacht wird, vielleicht auch darüber, wie das Fernsehen Geschichte macht: Die Ereignisse in Rumänien werden nicht umsonst als die Erste Fernseh-Revolution bezeichnet, eine Fernsehstation stand im Mittelpunkt der Ereignisse; allein deshalb konnte man diesen Film nur über diese Ereignisse machen, die Realität ist hier schon eine Meta-Realität. Also ein Film über das Sichtbare und das Unsichtbare, ein Film über das Medium an sich und wie es in das alltägliche Leben eingreift, wie es einfach da ist, aber auch, wie es das Leben beeinflußt. Farocki/Ujica kommen am Ende zu zwei Ergebnissen: erstens haben sie das Panorama auf die Ereignisse in Rumänien im Dezember 1989 so sehr erweitert, daß man nun, zweitens, keine echte Wahrheit mehr hat, denn mit jedem neuen Bild, Ton ergeben sich neue Fragen. Am Ende hat man nur noch Fragen und keine Antworten - es gab auch nie welche. Man kann nach diesem Film keine Nachrichtensendung mehr sehen, ohne daß einem tausende von Fragen durch den Kopf gehen.

Farocki/Ujica haben die Video-Revolution als Drama strukturiert, was sie vielleicht ihrer Anlage nach auch war. Gibt es vielleicht deshalb keine wirkliche Erklärung für das plötzliche Aufflackern eines revolutionären Geistes? Ein irrationaler Antrieb entflammt bürgerlich-romantische Ideale, ein Aufstand bricht los, ein bürgerliches Trauerspiel nimmt seinen Lauf. Farocki/Ujica machen klar, daß eine Revolution nie stattfand, es wurde nur eine neue Führung eingesetzt. Die Revolutionäre verhalten sich genauso wie die Unterdrücker - vorbei der Jubel, es hat sich nie etwas verändert, der Filmtitel ist im Kern ein Witz. Die einzige Revolution ist der Film selbst, die Revolutionäre sind Farocki/Ujica, die den Kommentar geschrieben haben. (Vgl. Bericht in fd 24/1992, Seite 36)
Kommentar verfassen

Kommentieren